Ihre Post:Ihre Post zum Frontalunterricht

In seinem Gastkommentar hat Arne Ulbricht jüngst eine Lanze für den mittlerweile verpönten Frontalunterricht gebrochen. Dazu kamen zustimmende, aber auch empörte Leserbriefe.

Viele sind überfordert

1 / 1
(Foto: dpa)

"Einfach erzählen" vom 28. Februar/1. März: Bei mir als Kinderpsychiaterin werden zunehmend Kinder zur Abklärung von Legasthenie, Dyskalkulie oder ADHS vorgestellt. Die Ursachen der Schwierigkeiten, die die Kinder haben, ist häufig die Folge falscher Lehrmethoden. Die Abkehr vom geführten Klassenunterricht, dem Arne Ulbricht in seinem Gastkommentar wieder den ihm angemessenen Stellenwert einräumt, entzieht den Schülern die zentrale Instanz in der Schule: den Lehrer. An dessen Person, am erwachsenen Gegenüber, entwickelt sich die Persönlichkeit der Kinder, ihre emotionale und soziale Psyche. In allen neuen Lehrplänen wird der Lehrer zum "Coach" oder "Lernbegleiter" degradiert, der lediglich die passende "Lernumgebung" bereitstellen soll. Die Schüler hingegen sollen zu Experten des Lernens werden, sie sollen sich alles "selbst gesteuert" und "eigenverantwortlich" erarbeiten mit Wochenplänen, in Lernwerkstätten, mit Präsentationen, am Computer. Viele sind überfordert, sind auf sich alleine gestellt und kommen nicht gut voran. Sie werden entmutigt, zweifeln an sich und entwickeln entsprechende Auffälligkeiten. Vom Lehrer geführter Klassenunterricht ist der Kern pädagogischer Arbeit in der Schule: Mit seinem Wissen (der Lehrer hat eine Ausbildung für die sachlichen Inhalte und die didaktische Aufbereitung), seinem Geschick und seiner Persönlichkeit hat der Lehrer die Möglichkeit, allen Schülern gemeinsam einen Lerngegenstand zu vermitteln, mit ihnen gemeinsam daran zu arbeiten. Hier kann es gelingen, den Einzelnen im Blick zu haben, zu ermutigen, die Schüler aufeinander zu beziehen. So kann zusätzlich zu den beschriebenen Vorteilen einer fundierten Wissensvermittlung ein Miteinander und eine Klassengemeinschaft entstehen. Das alles geht weit über die heute propagierte Aneignung von Kompetenzen hinaus. Und das muss in der Lehrerausbildung wieder gelehrt werden. Ansonsten wird das weiter voranschreiten, was Eltern, Ausbilder, sogar Professoren seit Längerem zum Verzweifeln bringt: Sie müssen Hilfslehrer sein - sofern sie es leisten können -, weil die Kinder durch immer weniger Anleitung keine soliden Grundfertigkeiten mitbringen, von dem überfordert sind, was sie selbst gesteuert lernen sollen und entmutigt aufgeben oder verhaltensauffällig werden. Dr. Elke Möller-Nehring, Erlangen Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe derSüddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Zum Glück wird umgedacht

Gewiss wird niemand etwas dagegen haben, wenn eine Lehrkraft ihren Schülern gerne "einfach" etwas erzählt. Warum aber dem Autor zu den erforderlichen "Kernkompetenzen eines Lehrers" nicht mehr einfällt als ein "Lob des klassischen Frontalunterrichts", ist bedenklich. Frontalunterricht hat nämlich nur dann zu Recht "ein katastrophales Image", wenn er als Methode andere Lernmethoden allzu sehr dominiert. Und das geschieht häufig in einem ausdifferenzierten Fachlehrersystem der Sekundarstufen. Ich kenne niemanden, der sich eine "Schule ohne Lehrer" wünscht, hingegen viele Verantwortliche, die sich darum bemühen, die Beziehungsfähigkeit als Kernkompetenz von Lehrkräften zu stärken, ebenso wie deren Kompetenz, Schülerinnen und Schüler darin zu befähigen, auch möglichst selbsttätige Lernerfahrungen zu machen. Wie wichtig das für Kinder ist, sagt uns nicht erst die aktuelle Lernforschung mehr als deutlich. Gerade das stellt höchste Anforderungen an die Professionalität des Pädagogen. Zum Glück wird inzwischen daran auch in deutschen Bildungsministerien im Kontext der Lehrerausbildung gearbeitet. Der "klassische Lehrer" hingegen, dessen Renaissance sich der Autor wünscht, ist nicht geeignet, den Anforderungen individualisierten Lernens zu entsprechen. Gernot Zeitlinger, Mainz, Montessori-Landesverband Rheinland-Pf. Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe derSüddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Kooperative Lernformen

Ein Lob des Frontalunterrichtes kann es nicht geben, weil es keine guten oder schlechten Unterrichtsmethoden gibt. Die Auswahl der Methode ist abhängig von den Zielen, die man im Unterricht erreichen will. Mit gut gemachtem Frontalunterricht kann man Wissen gut aufbauen. Ein Fehler wird dabei allerdings gemacht: Es gibt viel zu viel Frontalunterricht. Die Pisa-Studie hat gezeigt, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler viel wissen, dieses aber nicht anwenden können. Und das Letzte lernt man eben nicht in Frontalsituationen, sondern in der Anwendungssituation. Zudem wird im Frontalunterricht häufig der Durchschnittsschüler angesprochen, die leistungsschwächeren haben nichts davon und müssen im gegliederten Schulsystem die Schule verlassen. Arne Ulbricht würde also den Frontalunterricht fortsetzen, obwohl auch er erkennt, dass ein Teil der Schüler den Inhalt schon verstanden hat. Warum sollen sich Schüler im Unterricht langweilen? Schon der erste Pädagogikprofessor Ernst Trapp hat 1780 diesen Mangel erkannt. Daher auch die nachdenklichen Worte der neuen bayerischen Schülersprecherin zur Rolle des Gymnasiums. Gute Schulen haben dieses Problem längst erkannt und haben ihre Unterrichtsstunden zum Beispiel auf 90 Minuten verlängert, damit die Schüler Gelegenheit bekommen, das neu Erlernte auch anzuwenden. Die Methoden, die von Heinz Klippert zusammengestellt wurden, haben einen anderen Nachteil: Sie sind nicht mit wissenschaftlichen Untersuchungen unterlegt. Wenn man Anwendungssituationen in den Unterricht hereinbringen will, dann lohnt sich ein Blick auf die sogenannten kooperativen Lernformen (Gruppenpuzzle, Lerntempoduett), die in ihrer Wirkung unbestritten sind. Univ.-Prof. Matthias v. Saldern, Lüneburg, Mitglied des Fachausschusses Bildung der Deutschen Unesco-Kommission Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe derSüddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

© Süddeutsche Zeitung vom 11.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: