Hochschulen:Jenseits von Lehre und Forschung

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Raus aus dem Elfenbeinturm: Sich gesellschaftlich zu engagieren, gehört mittlerweile zum Selbstverständnis der Hochschulen in Deutschland. Doch manche Wissenschaftler sehen diese "dritte Mission" durchaus kritisch.

Von Kathrin Konyen

Was brauchen Flüchtlinge, um sich in einer Stadt zurechtfinden zu können? Mit dieser Frage sind Studentinnen der Hochschule Neu-Ulm (HNU) in Asylunterkünfte gegangen. Dabei entstand die Idee, einen Stadtplan zu erstellen, in dem alle relevanten Anlaufstellen verzeichnet, mehrsprachig beschrieben und mit Piktogrammen versehen sind. "Obwohl die meisten Flüchtlinge Smartphones besitzen, haben sich die Studentinnen für einen gedruckten Stadtplan entschieden, weil man damit eher angesprochen wird", erklärt Julia Kormann, HNU-Vizepräsidenten, das Projekt.

Gesellschaftliches Engagement in der Region Ulm/Neu-Ulm gehört für die HNU zum Selbstverständnis: Studierende, Professoren, Dozenten und Verwaltungsmitarbeiter sind aufgefordert, Projekte außerhalb der reinen Lehre zu machen und damit zur Profilbildung der HNU beizutragen. Mit diesem Ansatz ist sie nicht allein: In ganz Deutschland sehen Hochschulen sich heute in der Verantwortung, etwas zum Gemeinwohl beizutragen; in Bayern haben laut einer Studie alle 16 Hochschulen dies in ihren Zielvereinbarungen mit dem Wissenschaftsministerium festgeschrieben. Von der "Third Mission", der dritten Mission, sprechen Hochschulforscher und stellen damit neben die Kernaufgaben Lehre und Forschung den gesellschaftlichen Auftrag.

"Die Studierenden sollen nicht nur das Wissen und das Geldverdienen sehen, sondern auch die Bedeutung von ehrenamtlichem Engagement", sagt Neu-Ulms Oberbürgermeister Gerold Noerenberg. Seine Verwaltung ist immer wieder in den Genuss dieses Engagements gekommen: So haben Studierende die Social-Media-Kanäle der Stadt analysiert und die Homepage einer Bürgerstiftung auf Vordermann gebracht. "Die gesellschaftliche Vernetzung der Hochschule Neu-Ulm taucht nicht nur in Sonntagsreden und Broschüren auf, sie wird tatsächlich gelebt", sagt auch Landrat Thorsten Freudenberger.

Die Idee, dass Wissenschaftler und Studierende nicht nur theoretisch arbeiten, sondern ihr Wissen auch im wirklichen Leben anwenden, ist nicht neu. Schon in den 50er-Jahren existierte die Forderung, dass Hochschulen und Universitäten raussollen aus ihrem Elfenbeinturm. Bis vor einigen Jahren gab es vor allem im Bereich der Wirtschaft entsprechende Kooperationen. Gerade für die als Fachhochschulen gegründeten Einrichtungen war es von Beginn an eine der Aufgaben, "Entwicklungsimpulse" in die Wirtschaft zu geben. Oberbürgermeister Noerenberg spricht davon, dass durch die Hochschule in Neu-Ulm eine "Professionalisierung der Wirtschaft" stattgefunden habe. Zudem sei die Hochschule in Zeiten des Fachkräftemangels auch ein wichtiger Standortfaktor, ergänzt Landrat Freudenberger.

Ein Professor befürchtet, dass die Hochschulen ihren Absolventen "das Wasser abgraben"

Doch wird das wirtschaftliche Engagement, die Zusammenarbeit mit Unternehmen, auch kritisch gesehen. In der erwähnten Studie, die vom IHF-Institut des bayerischen Staatsministeriums gemacht wurde, äußert ein Professor die Befürchtung, dass die Hochschulen, indem sie "Leistungen für lau anbieten", den "Absolventen das Wasser abgraben". Wieso sollte eine Firma etwa einen Wirtschaftsinformatiker anstellen, wenn auch die ortsansässige Hochschule die anfallenden Fragen bearbeiten kann? Vizepräsidentin Kormann sieht dieses Problem nicht. Am Ende würden ja keine fertigen Projekte stehen, und die Ideen wären dann zum Beispiel Thema von Seminar- oder Abschlussarbeiten.

Nun beschränken die Hochschulen in den letzten Jahren ihre Kooperationen nicht mehr nur auf die Wirtschaft. Wie die IHF-Studie zeigt, engagieren sie sich daneben vor allem im sozialen Bereich - gefolgt von Kultur, Ökologie und Politik. Diese Ausweitung bestärkt die Skeptiker, die befürchten, dass das außerhochschulische Engagement zu Lasten von Lehre und Forschung geht. Ein Argument, mit dem auch Vizepräsidentin Kormann an der HNU zu kämpfen hat. Ihre Strategie entspricht da den Wünschen, die in der IHF-Studie zur Förderung des Engagements angegeben wurden: Kormann hat der dritten Mission einen institutionellen Rahmen gegeben. Im "Zentrum für interdisziplinäres, internationales und engagiertes Lernen", das auch mit einer eigenen Stelle ausgestattet ist, werden die Aktivitäten der Hochschule gebündelt.

Kormann ist überzeugt, dass sich aus dem Transfer des theoretisch Gelernten in die Praxis neue Fragen und neue Felder der Betätigung ergeben. Doch auch die Wirkung auf die Persönlichkeit der Studierenden sei nicht zu unterschätzen, sagt sie. "Die laufen danach gerader durch die Hochschule."

© SZ vom 06.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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