Hochschulen:Der Mittelbau macht mobil

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Peter Grottian, 76, lehrte bis 2007 Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin - an diesem Institut wurde Franziska Giffey 2010 mit der Arbeit "Europas Weg zum Bürger" promoviert. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Hungerlöhne im Universitätsbetrieb sind ein Skandal, über den viel zu lange viel zu wenig gesprochen wurde. Doch nun regt sich Widerstand. Ein Gastbeitrag von Peter Grottian, Professor im Unruhestand.

Von Peter Grottian

Prekäre Beschäftigung an deutschen Universitäten ist eine Tatsache, die häufig verdrängt wird. 160 000 wissenschaftliche Mitarbeiter haben nur halbe Stellen, fast 100 000 Lehrbeauftragte arbeiten de facto für drei Euro die Stunde. Doktoranden müssen mit Brosamen-Stipendien durchkommen, Privatdozenten lehren zum Nulltarif. Doch in den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder, die Ende Januar begonnen haben, spielt all das keine Rolle. Zufall ist das nicht. Der Niedriglohnsektor kommt in der Logik der Vollbeschäftigten und der sie vertretenden Gewerkschaften nicht vor.

Die Macht der Professoren soll beschränkt werden

Viele Drittmittelangestellte, Doktoranden, Stipendiaten und Lehrbeauftragte wollen sich das nicht mehr gefallen lassen. Der akademische Mittelbau macht mobil. 150 wissenschaftliche Mitarbeiter aus 25 Universitäten gründeten am vorvergangenen Wochenende in Leipzig das "Netzwerk für gute Arbeit in der Wissenschaft". Wo bisher nur wenige Initiativen als Einzelkämpfer tätig waren - Peter Ullrich, einer der Koordinatoren des Netzwerks, sprach von einem "oft individualisierten Haufen" -, wollen die Initiatoren ihre gemeinsamen Interessen nun auch gemeinsam vertreten. Statt alleine wegen der Vertragsverlängerung zu bibbern, setzen sie auf kollektiven Widerstand.

Am ersten Tag des Leipziger Treffens schälte sich ein eindeutiger Konsens heraus. Er umfasst drei Forderungen. Das Netzwerk setzt sich erstens dafür ein, dass die Macht der Professoren eingeschränkt wird. Das Lehrstuhlprinzip gehöre abgeschafft und in ein mitbestimmungsfähigeres Departmentsystem überführt, so wie es in den USA praktiziert wird. Die Vorstellung, dass Professoren alles zu bestimmen hätten, gehöre in die Mottenkiste - zumal die Innovationen in der Wissenschaft selten von bemoosten Karpfen stammten.

Abgeschafft gehöre zweitens die Habilitation. Nur noch Deutschland halte an diesem strukturell frauenfeindlichen "Old Boys' Network" fest. Drittens müssten die für 85 Prozent der Wissenschaftler geltenden ein- bis zweijährigen Befristungen auf fünf Jahre erweitert, entfristet oder in eine Daueranstellung umgewandelt werden. Keine vergleichbare Wissenschaftsgesellschaft verlasse sich so ausschließlich auf Professoren wie Deutschland. Keine behandele wissenschaftliches Personal derart schlecht. Eine wissenschaftliche und selbstgesteuerte Arbeit müsse auf Dauer möglich sein, ohne Professor zu werden. Schon jetzt könnte man gegen den Skandal des Niedriglohnsektors etwas tun: in den Tarifverhandlungen mit einem Gesamtvolumen von mehr als sieben Milliarden Euro 500 Millionen Euro für die prekär Beschäftigten abzweigen.

Das Netzwerk will in wenigen Wochen ein Manifest erarbeiten, das die zentralen Forderungen bündelt. Gleichwohl: Manifeste gibt es eigentlich genug. Besonders die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat hier Vorzeigearbeit geleistet. Es hört und liest nur niemand. Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und der Wissenschaftsrat haben sich noch niemals ernsthaft mit der prekären Beschäftigung im Wissenschaftsbereich beschäftigt. In einem umfangreichen Gutachten des Wissenschaftsrates kommt sie nur als Fußnote vor. Die Bundestagsabgeordneten, die für Bildung zuständig sind, glänzen zuweilen mit schierer Ahnungslosigkeit. Diejenigen, die sich vorkämpfen, sind ohne großen Einfluss in ihren Fraktionen. Bildung ist in der Politik nur scheinbar ein wichtiges Thema.

Vor allem die Studenten sollten den Protest unterstützen

Mit papierenen Forderungen ist es also nicht getan. Die Versammelten einigten sich darauf, der HRK mit einer "fürsorglichen Belagerung" Dampf zu machen. Von zentraler Bedeutung sind darüber hinaus Proteste, von denen eine breitere Öffentlichkeit Notiz nimmt. Zwar schätzten die Versammelten in Leipzig einen Flächenstreik wie 2009 als unrealistisch ein. Sie trauten sich allerdings zu, bis zum Frühsommer einen exemplarischen Streik in drei bis vier Universitäten zu organisieren.

Ebenso wichtig sind Bündnisse mit den Gewerkschaften und Studenten. Die Gewerkschaftsvertreter, darunter der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller, wirkten auf dem Treffen in Leipzig zurückhaltend. Bildet sich da etwa eine Alternativ-Gewerkschaft? Das aber hat das neue Netzwerk nicht im Sinn.

Die anwesenden Studenten wiederum versicherten ihre Unterstützung. Die Mehrzahl der Studenten weiß allerdings so gut wie nichts über die prekären Arbeitsverhältnisse. Doch gerade auf sie wird es ankommen. Der Mittelbau selbst ist traditionell ängstlich, die Professoren neigen nicht zur Aufmüpfigkeit. Nur mit der Unterstützung der Studenten kann es dem Netzwerk gelingen, die überfällige Diskussion loszutreten. Dann gibt es Hoffnung, dass Bildung und Hochschule doch noch zu einem Thema vor der Bundestagswahl werden könnten.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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