Eltern und Schule:"Es geht hier nicht darum, einander Vorwürfe zu machen"

Lesezeit: 3 min

Susanne Eisenmann diskutiert in der Ulm-Messe mit Eltern und Lehrern über Erziehungs- und Bildungsarbeit. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Baden-Württembergs Bildungsministerin lädt zum Elterabend en gros.

Von Fabian Busch

Kritik lässt sich leichter verdauen, wenn sie humorvoll verpackt ist. Deshalb stehen in der Ulmer Donauhalle zunächst zwei Lehrer auf der Bühne, die im Nebenberuf Kabarettisten sind. Sie stellen ein Eltern-Lehrer-Gespräch nach: Der Vater von Torben kritisiert höflich die schlechten Noten, die sein Sohn bekommt. Und die Schlägerei, die das Kind angezettelt hat? Sei doch nur Spaß gewesen. Als der Lehrer schüchtern erklärt, Torbens kognitive Fähigkeiten hätten nachgelassen, wird der Vater wütend: "Mein Sohn ist doch nicht kognitiv!" Die meisten Zuschauer lachen herzlich. Andere blicken etwas gequält drein.

"Elternabend" heißt die Gesprächsreihe, zu der Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann Mütter und Väter in diesem Jahr einlädt. Beim Auftakt in Ulm steht zuerst ein Podiumsgespräch mit Eltern- und Lehrervertretern auf dem Plan, danach dürfen die Zuschauer ans Mikrofon treten und Fragen stellen. Die für ihre direkte Art bekannte CDU-Politikerin gibt sich in ihrer Begrüßung diplomatisch: "Es geht hier nicht darum, einander Vorwürfe zu machen." Aber Redebedarf sieht sie durchaus. Schon in der Einladung hatte Eisenmann bemängelt, bei den Schulen werde zu viel abgeladen. Was gehört zum Erziehungsauftrag der Familien, was zum Bildungsauftrag der Lehrer? Das will sie abgrenzen. Und lässt durchblicken: Grundschulkindern das Radfahren oder Jugendlichen das Erstellen der Steuererklärung beizubringen, sei nicht Aufgabe der Schule.

Eine Mutter erzählt, dass sie auf ein Gespräch mit einem Lehrer monatelang warten musste

Das Format scheint neu zu sein. Zumindest in den schülerreichsten Ländern - neben Baden-Württemberg sind das Nordrhein-Westfalen und Bayern - sind solche Abende unbekannt. Auch in Berlin und Hamburg suchen die Kultusminister den Austausch mit Eltern eher im kleinen Rahmen. Der Bildungssenator der Hansestadt etwa besucht regelmäßig alle 17 Kreiselternräte, wo er mit je 20 bis 50 Müttern und Vätern drängende Fragen bespricht - etwa die, wie groß Schulen in einer wachsenden Stadt werden dürfen. Dafür müsste Eisenmann im Flächenland Baden-Württemberg viel reisen. Doch ihr Konzept kommt an: Die 470 Plätze in der Donauhalle waren rasch ausgebucht. Denn Eltern haben ebenfalls Redebedarf, mischen sich immer öfter und lauter ein in die Frage, was Schule leisten soll. An diesem Abend geht es aber auffallend sachlich zu. Die Eltern tragen unaufgeregt ihre Anliegen vor, die Ministerin reagiert verständnisvoll.

Wie man besser miteinander kommunizieren kann, soll eine zentrale Frage sein. Offenbar hat sich in den vergangenen Jahren ein Graben aufgetan zwischen Schulen und Familien. Eine Forsa-Umfrage zeigte jüngst: Fast jeder fünfte Schulleiter rechnet Eltern zu den größten Problemen an seiner Schule. Ministerin Eisenmann erzählt von ihrer Amtszeit als Stuttgarter Schuldezernentin: Da habe eine Grundschule Müttern und Vätern den Zutritt verboten. Eine Rektorin sagt am Rande der Veranstaltung, dass der Umgang mit den Eltern an ihrer Schule im Grunde harmonisch sei. "Aber der Dialog wird schwieriger, weil viele Dinge auf uns zukommen, die das Elternhaus nicht mehr übernimmt." Das Vermitteln von Umgangsformen und Respekt zum Beispiel. Auch bei Müttern und Väter, die das schulische Fortkommen der Kinder nicht kümmert, laufen Lehrer ins Leere. Und viele Eltern sprechen einfach zu wenig Deutsch für intensive Gespräche.

Ganz andere Erfahrungen hat Heike Winter gemacht. Sie habe monatelang auf ein Gespräch mit einem Gymnasiallehrer warten müssen, erzählt die Mutter aus Kirchheim bei Stuttgart. "Die Schulen wollen die Eltern gerne draußenhalten, wir werden als störend im Betriebsablauf empfunden." Aus Ulm meldet sich der Vater eines Grundschülers zu Wort. Ihn stört, dass von Lehrern keine E-Mail-Adresse oder Telefonnummer zu bekommen sei. "Das läuft immer nur über das Sekretariat."

Doch den meisten Eltern hier geht es gar nicht so sehr um die Kommunikation. Sie stoßen sich an anderen Mängeln: zu wenig Lern-Coaching an der Gemeinschaftsschule, zu wenig Differenzierung an Realschulen, zu wenig Betreuung für das sprachgestörte Kind an der Regelschule. Carsten Rees sitzt dem Landeselternbeirat vor und kritisiert die Veranstaltung im Telefonat: Er sieht in den Elternabenden ein "Ablenkungsmanöver". Baden-Württemberg sacke bei den Schülerleistungen seit Jahren ab, und der Lehrermangel sei hier besonders groß. "Was uns schockiert, ist die Wirkungslosigkeit der politischen Maßnahmen", rügt Rees und fordert dringend mehr Unterstützung für Lehrer, etwa durch Sozialarbeiter.

Eisenmanns Gesprächsangebot wird in der Donauhalle zwar dankbar angenommen, doch nicht jeder wird seine Frage oder Kritik an diesem Abend los. Für die gezielte Suche nach Lösungen fehlt ebenfalls die Zeit. Ans Mikrofon treten auch Wissenschaftler und Lehrer, zwei Schülerinnenwollen über die Fridays for Future sprechen. Der Fokus geht ein Stück weit verloren - wie beim Elternabend in der Schule häufig auch. Aber 2019 stehen ja noch zwei weitere Termine an. Danach kommt auf die Ministerin die eigentliche Herausforderung zu: auf all die unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Anliegen angemessen zu reagieren.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: