Zwiesel:Mit dem Bären auf Tuchfühlung

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Das Waldmuseum in Zwiesel, das älteste seiner Art in Deutschland, widmet sich der gesamten Region des Bayerwalds. Die Exponate wurden über mehr als 100 Jahre von den Waidlern selbst gesammelt

Von Andreas Glas, Zwiesel

Ein Braunbär ist schwer zu bändigen, das Fell eines Braunbären ist es nicht. Elisabeth Vogl streichelt dem Bären übers Hinterteil, schon hat das Fell wieder Volumen. "Wir müssen ihn ab und zu frisieren", sagt Vogl, weil die Kinder eben gern hinlangen und das Bärenfell verstrubbeln. Dann erzählt der Bär, dass er ein guter Schwimmer und Kletterer sei und dass er Mischwälder liebe. Der Bär erzählt das ungefragt, aber seine Stimme kommt natürlich aus einem Lautsprecher. Und überhaupt ist das Tier nicht echt, sondern ausgestopft, klar. Er ist ja schon seit 1833 ausgestorben, der Braunbär, jedenfalls im Bayerischen Wald. Aber er ist Teil der Geschichte, und diese Geschichte will Elisabeth Vogl lebendig halten - hier im Waldmuseum in Zwiesel.

Mehr als eineinhalb Jahre war das älteste Waldmuseum Deutschlands geschlossen. Weil der Bau hinter dem Rathaus marode geworden war, musste das Museum umziehen, hinüber auf den Kirchplatz in die Räume der früheren Mädchenschule, direkt neben der Backsteinkirche St. Nikolaus, dem sogenannten Bayerwald-Dom. Die Kunsthistorikerin und Archäologin Elisabeth Vogl hat das Waldmuseum neu konzipiert, seit gut einem Jahr ist es wieder geöffnet. Anderswo, sagt Vogl, "entscheidet man sich, ein Museum einzurichten und kauft Exponate zusammen", hier dagegen seien alle Ausstellungsstücke von den Zwieselern selbst gesammelt worden, über 110 Jahre hinweg, "mit dem festen Willen, all das für die kommenden Generationen zu erhalten", sagt Vogl.

Was das Waldmuseum noch unterscheidet von anderen Ausstellungshäusern im Bayerwald: die ganzheitliche Perspektive. Die Ausstellung widmet sich nicht nur der bayerischen Seite des Waldes, sondern auch dem Böhmerwald, wie das Gebirge jenseits der Grenze heißt. "Das ist ja überall der gleiche Menschenschlag, die haben die gleichen Lebensbedingungen gehabt", sagt Elisabeth Vogl. Auch inhaltlich gibt es im Waldmuseum keine Grenzen, Natur und Kultur wirken zusammen. Das Museum zeigt, wie der Waidler früher gelebt, woran er geglaubt, wovor er sich gefürchtet hat. Es zeigt, wie Mensch und Natur die Landschaft über Jahrhunderte hinweg geformt haben.

Der Braunbär gehört zur ersten Etappe des Museums. Dort marschiert man wie auf einem Waldweg an Baumriesen entlang und vorbei an mehreren hundert Tierpräparaten: am Luchs, am Auerhahn, am Wolf, der sich ja neuerdings wieder blicken lässt im Bayerwald. Zur ersten Etappe gehören auch die sogenannten Waldgesellschaften: In der Mitte eines Raumes stehen vier Inseln, auf jeder Insel stehen mehrere Baumstämme. Fichten, Tannen, Buchen - sie bestimmen das Waldbild im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet. Und weil es ohne Bäume keine Schwammerl und ohne Schwammerl keine Bäume gebe, stehen hinter Vitrinenglas mehrere Dutzend präparierte Pilzarten. Daneben ein Schaubild, das zeigt, wie eng und weitläufig Baumwurzeln und Pilzfäden miteinander verflochten sind. Bäume und Pilze seien wie Lebenspartner, sagt Elisabeth Vogl. Sie hofft, dass jeder, der im Waldmuseum war, "danach rausgeht und die Natur bewusster wahrnimmt".

Dann bleibt Vogl vor dem Querschnitt einer Bismarcktanne stehen, der groß wie ein Traktor-Rad an der Museumswand befestigt ist. Entlang der Jahresringe sind bedeutende Ereignisse der Menschheitsgeschichte eingezeichnet: der Dreißigjährige Krieg, die Französische Revolution, der Erste und Zweite Weltkrieg. 400 Jahre ist die Tanne alt, im Bayerwald gibt es viele derart alte Bäume. "Da kriegt man ein bisschen Ehrfurcht", sagt Vogl.

Entlang des schlauchartigen Flurs vermittelt eine Holzlatten-Konstruktion zwischen den einzelnen Museumsräumen. Die Latten wirken, als schwebten sie, dazwischen hängen Touchscreen-Bildschirme, die über die Geologie des Bayerwalds informieren. Insgesamt aber lässt die Ausstellung die Exponate selbst erzählen, daneben gibt es relativ wenige Lesetafeln und Info-Bildschirme. Dem ein oder anderen dürfte der Tiefgang fehlen, doch ist es auch die Stärke des Waldmuseums, sich auf die Erlebbarkeit zu konzentrieren statt auf die reine Lehre. Selbst das Anfassen einiger Exponate - Bärenfell, Baumstamm - ist ausdrücklich erlaubt. Und in die Holzhütten, in denen die Hirten früher ganze Sommer verbrachten, darf man sogar hineinkriechen. All das macht das Waldmuseum auch für Kinder sehr attraktiv.

Besonders eindrucksvoll: Die Schwarz-Weiß-Filme, die das Leben und Arbeiten der Waidler zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen. Die Filme laufen auf Bildschirmen zwischen einer nachgebauten Wohnstube samt Herrgottswinkel und Werkzeugsammlungen, die wiederum den Übergang zum letzten Teil der Ausstellung bilden: der Glaskunst. Neben Karaffen, Vasen und Schnupftabakgläsern steht ein 18 Quadratmeter großes Glasmacher-Dorf in Miniaturform. "Wenn ich will", sagt Elisabeth Vogl, "dann kann ich mich hier wirklich reinversetzen" in die Welt der Waidler.

© SZ vom 19.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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