Zielfahnder beim LKA:Bis ins hinterste Versteck

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Wenn Bayerns meistgesuchte Verbrecher im Ausland abtauchen, schickt das Landeskriminalamt seine Zielfahnder los. Diese kreisen die Flüchtigen dann systematisch ein und folgen ihnen bis in die letzten Ecken der Welt. Ein Einblick in die Arbeit einer verschwiegenen Branche.

Oliver Hollenstein

Am Ende ihrer Suche saßen die bayerischen Polizisten an einem thailändischen Strand fest. Ko Chang, die Elefanteninsel, 30 Kilometer lang, 13 Kilometer breit, 300 Kilometer von Bangkok entfernt. Ein kleines Paradies, das nur mit einem wackligen Boot zu erreichen ist.

Pro Jahr schnappen die Zielfahnder rund 10 Flüchtlinge. Im Schnitt haben sie dann ein Jahr nach ihnen gesucht. (Foto: SZ-Collage: Schmidt / Fotos: LKA)

Hierhin, so vermuteten die Polizisten, habe sich einer der meistgesuchten Verbrecher Bayerns geflüchtet, der Drogenhändler Robert H. Nach mehreren Jahren Flucht wollten sie ihn nun endlich festnehmen. Doch als sie in der Dämmerung seine Bambushütte am Rande des Dschungels gefunden hatten, war H. nicht mehr da. Ebenso wie das letzte Boot zurück zum Festland.

32 000 Menschen wurden allein in Bayern im vergangenen Jahr zur Festnahme ausgeschrieben. Im Normalfall klicken schon wenige Stunden später die Handschellen. Doch immer wieder entfleuchen die mutmaßlichen Verbrecher der Polizei.

Manchen von ihnen folgen die Beamten um die halbe Welt, jahrelang. Dann sind meistens die zehn Zielfahnder des Landeskriminalamts dabei. Sie übernehmen die schwierigen Fälle, wenn die Kriminalpolizei keine Ressourcen mehr hat. An ihnen kann man lernen, wie der Freistaat seine Most Wanted sucht.

Wer einen Zielfahnder treffen möchte, müsste zu einem schlichten Bürogebäude fahren, irgendwo in München, an dem kein Klingelschild auf die Polizisten hinweist. Doch das LKA will nicht, dass jemand die Zielfahnder trifft. Entscheidend für ihre Arbeit ist, dass sie nicht erkannt werden, dass die Flüchtigen ihre Methoden nicht kennen. Die Fahnder dürfen nicht über ihre Arbeit reden. Wer mehr erfahren möchte, muss daher Bernhard Egger treffen.

Egger, 53, ist Leiter des Dezernats 52 ("Fahndung") im LKA und damit Vorgesetzter der Zielfahnder. Er sitzt in seinem Büro, stützt sich lässig auf die Lehne des Nachbarstuhls, lächelt verschmitzt. Braun gebrannt, verstrubbelte Haare, kurzärmeliges rotes Hemd. Egger erinnert ein bisschen an Bruno Eyron als RTL-Kommissar Balko, nur älter. Wie also sucht Bayern nach flüchtigen Bösewichten?

"Die Zuständigkeit für die Fahndung obliegt zunächst einmal den sachbearbeitenden Dienststellen", sagt Egger. Das LKA ist kein Fernsehkommissariat, sondern eine Behörde - eindeutig. Es gibt Regeln, Zuständigkeiten, feste Abläufe. Zumindest erst einmal. Die Fahndung beginnt bei der örtlichen Polizei, die ohnehin in dem Fall ermittelt.

Erst wenn die Polizisten sich nicht mehr in der Lage sehen, den Flüchtigen auf der Spur zu bleiben, können sie beantragen, dass die Zielfahnder den Fall übernehmen. "Wir dürfen auch nicht mehr als die Polizei vor Ort", sagt Egger. "Aber wir haben die Ressourcen, den Täter sehr, sehr lange zu verfolgen."

Knapp 30 Verbrecher stehen derzeit auf der Liste der Zielfahnder. Es ist nicht die einzige Most-Wanted-Liste im Freistaat, deswegen kann man schnell durcheinander kommen. Auf einer Internetseite listet das LKA die zehn meistgesuchten Verbrecher auf. Öffentlichkeitsfahndung nennen die Beamten das. Jüngster Zugang: ein 63-jähriger, der Mitte August einen 67-Jährigen in Ingolstadt getötet haben soll. Doch für diesen Fall sind die Zielfahnder nicht zuständig, noch fahndet die Kriminalpolizei Ingolstadt selbst.

"Brachialstraftäter haben selten die Möglichkeiten und die Konzepte, weit zu flüchten", sagt Egger. Gerade Mörder und Vergewaltiger blieben meist in ihrem sozialen Umfeld, versteckten sich bei Freunden oder in einem Keller."Menschen sind verwurzelte Sozialwesen. Viele Kriminelle gehen dann doch immer wieder in ihre Stammkneipe oder besuchen Bekannte. Die haben wir meist sehr schnell."

Die Klientel der Zielfahnder ist eine andere: Fast die Hälfte sind Drogendealer, ein großer Teil Anlagebetrüger. Sie sind die Kosmopoliten unter den Verbrechern. Die Methoden, sie zu finden, sind trotzdem die gleichen, sagt Egger. Und wie genau? "Mit den bekannten Methoden der kriminalpolizeilichen Arbeit." Das LKA will keine Anleitung geben, wie man den Fahndern entgeht. Also eine Geheimwissenschaft? "Nein, eigentlich ist das alles ganz einfach mit gesundem Menschenverstand zu erklären."

Man fängt dann also vermutlich damit an, die gesuchte Person zu erkunden? "Genau, wir nennen das Personagramm. Darin steht dann alles, was es über die Person zu wissen gibt."

Und dann kommt doch noch der Fernsehkommissar durch. Egger malt mit den Händen in der Luft: "Das machen wir im Team. Da ist dann eine Tafel mit einem Bild in der Mitte, drumherum Pfeile: Auto, Lieblingsrestaurant, Sport, Sprachen, Zigarettenmarke, Schuhgröße." Also wie im Fernsehen? "Ja, im Prinzip genauso. Wir überlegen: Was kann der? Wen kennt der? Womit könnte der Geld verdienen? Damit versuchen wir rauszufinden, wo die Person stecken könnte."

Sind alle Informationen zusammengetragen, arbeiten die Ermittlerteams aus je zwei Beamten die Punkte systematisch ab. Ihre Methoden, sagt Egger, seien "vielfältig" - je nachdem, was die Richter erlauben. Handy-Ortung, Observation von Bekannten oder Lieblingsorten, Durchsuchungen. Schritt für Schritt kreisen die Polizisten die Flüchtigen ein. Manchen Kriminellen sind sie seit mehr als fünf Jahren auf den Fersen. Seit 1998 sei noch kein Fall endgültig ad acta gelegt worden, sagt Egger. "Unsere Erfolgsquote ist 100 Prozent."

Jedes Jahr schnappen die Zielfahnder zehn Flüchtige, sie haben dann im Schnitt ein Jahr nach ihnen gesucht. Bei der Festnahme brauche es oft auch einfach ein bisschen Glück - und im Ausland einen guten Draht zu den Kollegen, sagt Egger.

Drogenhändler Robert H. wurde an jenem Abend in Thailand auch noch festgenommen. Während die deutschen Fahnder die Nacht in einer Bambushütte auf Ko Chang verbringen mussten, verhafteten die thailändischen Kollegen den Flüchtigen in der Wohnung seiner Freundin. Robert H. war just in dem Moment aufs Festland gefahren, als die deutschen Fahnder in die Gegenrichtung unterwegs waren.

© SZ vom 05.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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