Würzburg:Die zwei Gesichter des Herrn Wang

Lesezeit: 3 min

Spitzelvorwürfe, Hausverbot und Strafanzeigen - der Streit am Mainfranken Theater eskaliert.

Olaf Przybilla

Als die Affäre Jin Wang ihren Anfang nahm, wirkte sie zunächst nur wie ein weiteres Kapitel aus der Geschichte der Zwistigkeiten zwischen Dirigent und einem Orchester. In der Musikhistorie gab es dergleichen immer wieder: Ein Orchesterleiter will einen Klangkörper auf ein völlig neues Niveau bringen, mit allen möglichen Mitteln.

Jin Wang - ein Dirigent in der Kritik. (Foto: Foto: oh)

Die Musiker reagieren darauf mit Verunsicherung. Dann mit Verstörung. Und schließlich mit offener Rebellion gegen die vermeintlich despotischen Methoden ihres Chefs. Im Würzburger Fall schrieb der Orchestervorstand einen geharnischten Brief an den Oberbürgermeister der Stadt, Georg Rosenthal. Der freundliche Herr Wang, Generalmusikdirektor am Mainfranken Theater, verwandele sich am Pult in einen Tyrannen, so könnte man das Schreiben zusammenfassen.

Drei Wochen später hat sich die Sache zu einer Affäre ausgewachsen, deren Verlauf täglich neue Wendungen nimmt - und deren Ende offener denn je scheint.

Drama im Orchestergraben

Das Drama im Orchestergraben wird in Würzburg längst mit Worten ausgetragen, die einem Schauspiel Shakespeares entsprungen sein könnten. In der Dokumentation einer der Anwälte Wangs ist ganz offen von einer "Kriegserklärung" die Rede.

Die Anwältin verdächtigt den Oberbürgermeister, dieser habe eine Stadtratssitzung dazu missbraucht, die Würzburger Räte zu "manipulieren". Der Förderverein des Orchesters wirft dem städtischen Kulturreferenten vor, den Dirigenten über Monate hinweg "systematisch bespitzelt" zu haben.

Eine eigens gegründete Solidaritätsinitiative beschuldigt die Stadt allen Ernstes, diese habe "grundlegende Menschenrechte" missachtet. Wang sei von den Stadträten zur Höchststrafe verurteilt worden - zu einem "lebenslangen Berufsverbot" nämlich. Denn wer als Dirigent wie ein Verbrecher aus einer Generalprobe nach Hause geschickt werde, ein Hausverbot auferlegt bekomme und nicht einmal seine Habseligkeiten mitnehmen dürfe, dessen Karriere sei definitiv beendet.

Wangs Gewährsleute feuern nicht nur gegen die Stadt und deren Rathauschef. Ins Visier gerät nun auch die Staatsanwaltschaft Würzburg. Der Hamburger Anwalt Gerhard Strate, laut Eigenwerbung als "Spezialist für aussichtslose Fälle" bekannt, hat Strafanzeige gegen den Leitenden Oberstaatsanwalt Clemens Lückemann erstattet, einer Verletzung von Privatgeheimnissen wegen. Die Anklagebehörde in Schweinfurt will demnächst entscheiden, ob ein Verfahren gegen den Staatsanwalt eingeleitet wird.

Entzündet hat sich die ganze Affäre gar nicht wirklich an dem Vorwurf, der jenseits des Orchestergrabens als "zurückhaltend und vornehm" beschriebene Wang übe am Dirigentenpult einen Druck aus, der nicht nur ältere Musiker regelrecht krank mache. Der Protest des Orchestervorstands wirkte vielmehr als Katalysator für einen Streit, der auf einem anderen Feld ausgetragen wird. Es geht um die Frage, ob sich der 48 Jahre alte Dirigent mit österreichischem Pass einer "versuchten Nötigung mit sexuellem Hintergrund" schuldig gemacht hat. Ob das Opfer, eine Studentin, in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Dirigenten stand.

Ob die Staatsanwaltschaft die Akten auf Antrag tatsächlich an die Stadt weiterleiten durfte. Und ob der Oberbürgermeister den Strafbefehlstext gegen Wang in einer nichtöffentlichen Ratssitzung verlesen durfte - obwohl dieser Antrag auf Zahlung von 5000 Euro an zwei Frauenhäuser bisher nicht rechtskräftig ist und das Geld noch nicht bezahlt.

Stundenlanges Geigenspiel

Was soll passiert sein zwischen Wang und der Würzburger Studentin? Glaubt man der Version der Wang-Verteidiger, so soll die Studentin keine Beschäftigte der Stadt gewesen sein - sondern eine persönliche Bekannte des Dirigenten. Noch zwei Tage nach der versuchten Nötigung sei man gemeinsam essen gegangen, die Studentin habe sich vom Musikdirektor "ein Parfum schenken" lassen. Danach soll sie mit ihm noch mehrere Stunden lang in ihrer Wohnung Geige gespielt haben.

Die Studentin stellte selbst keinen Strafantrag gegen Wang. Eingeleitet wurde das Ermittlungsverfahren nach Hinweisen eines Mitarbeiters der Stadt Würzburg. Wang stimmte einer Geldauflage - angeblich zum Schutz seiner Privatsphäre - zunächst zu. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hat er das Geld aber bislang nicht überwiesen.

Rathauschef Rosenthal schildert die Eskalation in Würzburg ganz anders. Als sich der Dirigent der Studentin näherte, habe diese an einem gemeinsamen Projekt von Hochschule und Theater teilgenommen. Insofern habe Wang als Vorgesetzter gehandelt, zu dem die Studentin in einem Abhängigkeitsverhältnis gestanden habe.

Geld und Unterschriften für Wang

Der Übergriff sei zudem im Anschluss an ein Konzert erfolgt. Hätte die Stadt nicht gehandelt, sagt SPD-Mann Rosenthal, so hätte sie ihre Fürsorgepflicht schwer verletzt. Deswegen habe man Wang beurlaubt, zunächst bei vollen Bezügen. Erst nachdem sich Wang öffentlich wehrte, habe man sich gezwungen gesehen, ihm fristlos zu kündigen.

Helga Zilcher ist Mitglied jener Initiative, die nun Geld und Unterschriften für Wang sammelt. Sie ist fassungslos über das Vorgehen der Stadt. Wang habe "bei Leonard Bernstein gelernt" und "acht internationale Dirigentenpreise" gewonnen, sagt sie. Würzburg sollte wohl nur eine Durchgangsstation sein für den Dirigenten.

Wangs Karriere sieht Zilcher unwiderruflich zerstört, durch "einen Rufmord". Sollten Richter demnächst zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, dürften der Stadt Schadensersatzforderungen in sechsstelliger Höhe drohen.

© SZ vom 26.11.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: