Wolfgang Till über Bayerns Märchenkönig:"Ludwig II. war nie tuntig"

Die Anrede "Kini" hätte ihn nicht gefreut: Mit den Traditionen seines Volks konnte Ludwig II. nicht viel anfangen, sagt der Volkskundler Wolfgang Till über die Ikone der Bayern - und räumt noch mit anderen Mythen auf.

Kathrin Haimerl

Wenn Wolfgang Till über König Ludwig II. spricht, dann nennt er ihn "Ludwig zwei", nie den Kini. Das hat seinen Grund. Der 66-Jährige hat sich intensiv mit der schillernden Figur des bayerischen Königs aus dem Hause Wittelsbach auseinandergesetzt. Entstanden ist ein Buch, in dem Till ein ungewöhnliches Porträt des Monarchen zeichnet, ein Bild, das viele Königstreue enttäuschen dürfte. Der Volkskundler war bis 2009 Direktor des Münchner Stadtmuseums. An die Recherchen sei er vollkommen unvoreingenommen herangegangen, ohne Obsession für Ludwig II. Doch seit das Buch erschienen ist, lässt ihn der Kini nicht mehr los. Für die Zukunft hat er einen Wunsch: Eine Ausstellung über Ludwig II. dort organisieren, wo sich der Monarch wohler als in München gefühlt hätte: in Paris.

Wolfgang Till über Bayerns Märchenkönig: Hätte sich unter seinen Königstreuen vermutlich nicht wohl gefühlt: König Ludwig II.

Hätte sich unter seinen Königstreuen vermutlich nicht wohl gefühlt: König Ludwig II.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Till, was war König Ludwig denn nun? Jungfräulich, homosexuell oder bi?

Wolfgang Till: Jungfräulich ist eine tolle Formel. König Ludwig II. hatte ganz deutlich und oft beschriebene feminine Züge. Er legte sich die Haare mit dem Brenneisen wellig und roch immer sehr gut. Es gibt Fotos, die zeigen, wie er mit abgespreiztem kleinen Finger Zigarette raucht. Aber er war nie tuntig. Ludwig II. war keine Queen. Doch sein Schönheitsideal waren eindeutig Männer. Allerdings kenne ich keinen konkreten Beleg für praktizierte Homosexualität. Bekannt ist allerdings, dass er in Sachen Sexualität sehr verkrampft war. Da ist die katholische Religion ein bisschen Schuld und die Gesellschaft, die ihm ein schlechtes Gewissen eingeredet hat, wenn er seinen sexuellen Phantasien nachgegangen ist.

sueddeutsche.de: Die Schlösser, der Kult um seine Person, sein Hang zur Exzentrik: War Ludwig II. eine Art Michael Jackson des 19. Jahrhunderts?

Till: In gewisser Weise ja, denn sich in Bauten zu verewigen, ist auch ein Merkmal der amerikanischen Pop-Kultur. Ludwig II. war eine Celebrity, als es dieses Wort noch nicht gab. Er tickte anders, als das Volk es von ihm erwartete.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Till: Zum Beispiel war er ein kompletter Nachtmensch. Deswegen wurde er ja auch als Mondkönig bezeichnet. Er hat um Mitternacht gefrühstückt, in der Früh um sechs zur Verzweiflung seiner Köche Mittag gegessen. Und zwar regelmäßig. In seinem Anderssein war er dann wieder verlässlich, nicht sprunghaft.

sueddeutsche.de: Er wäre also ein Typ für die Boulevardpresse gewesen?

Till: Heute wäre so eine Figur wie er ganz sicher in der Nähe von Karl Lagerfeld zu verorten, ein Modeschöpfer. Ludwig II. war in jungen Jahren sehr modisch, nicht immer ganz perfekt, vor allem, wenn man Aufnahmen von ihm als jungen König betrachtet. Da trägt er manchmal zu lange Hosen. Aber man merkt ein Händchen für Kopfbedeckungen, das verrät einen sehr gepflegten Hang zum Äußeren.

sueddeutsche.de: Es gibt ja unzählige Fotos von ihm.

Till: König Ludwig II. liebte Fotografien. Damit hat er seine Untertanen sehr, sehr freizügig bedient. Er war ja einer der Ersten, der Starautogramme auf seinen Fotos gegeben hat. Sein visuelles Urteilsvermögen war eines seiner großen Talente. Deshalb forderte er auch von seinen Untertanen, dass sie bei Bewerbungen ein Foto beilegen. Er hat sozusagen das Bewerbungsfoto erfunden.

Kini? Lieber Roi oder Majestät!

sueddeutsche.de: Fotos also hat er gerne verteilt, sich selbst aber nicht gerne gezeigt?

Till: Er war sehr freigiebig, was sein Bild betrifft, aber ansonsten hat er sich öffentlichen Auftritten verweigert. Um seine Scheu vor den Leuten zu überwinden, hat er regelmäßig getrunken.

sueddeutsche.de: Mit Folgen für das Verhältnis zu seinen Untertanen.

Till: Das Verhältnis von König Ludwig II. zu seinem Volk war tatsächlich sehr viel weniger nah, als dies beispielsweise bei seinem Nachfolger, Prinzregent Luitpold, der Fall war. Ludwig II. ließ ja ernsthaft prüfen, wo er sein Reich außerhalb Bayerns verwirklichen könnte. Zum Beispiel in Afghanistan. Übrigens: Kini hätte er sich sicher nicht gerne nennen lassen. Lieber Roi oder Majestät. Er hat auf Formen geachtet. Er hat sogar von seinem Personal gefordert, dass sie beim Servieren die Gerichte richtig französisch aussprechen. Wenn sie da auf Bairisch etwas Falsches gesagt haben, soll er sogar Strafen angedroht haben. Er wollte dem Volk nicht aufs Maul schauen.

sueddeutsche.de: Soll das heißen, er besaß nicht einmal eine Lederhose?

Till: Also, sich den König in Lederhosen vorzustellen, das ist unmöglich. Ich möchte die Königstreuen und den bayerischen Herzen nicht zu nahe treten, aber mit den bayerischen Traditionen konnte Ludwig II. nicht viel anfangen. Auf keinem der vielen Fotos, die es von ihm gibt, trägt er eine Lederhose. Nicht einmal auf dem Oktoberfest.

sueddeutsche.de: Trotzdem wird er im Freistaat verehrt.

Till: Ja, er ist schnell zu einer Art Hausheiligen geworden. Gleich nach seinem Tod hingen Bilder in allen möglichen Bauernstuben.

sueddeutsche.de: Warum weiß man heute noch immer nicht genau, woran er nun gestorben ist?

Till: Ich sehe überhaupt keinen Anlass für einen Mord. Ludwig II. hat sich am Ufer des Starnberger Sees seinen Mantel ausgezogen, das deutet darauf hin, dass er ins Wasser gehen wollte, in welcher Absicht auch immer. Bei Ludwigs Psychiater, Dr. Bernhard von Gudden, war es hingegen ganz klar Mord. Der ist durch Ludwig II. zu Tode gekommen.

sueddeutsche.de: Ludwig II. war also ein Mörder?

Till: Ja. Dem muss man ins Auge sehen, ob man nun königstreu ist oder nicht.

sueddeutsche.de: Wäre Ludwig II. nach heutigen Maßstäben auch verrückt?

Till: Die Nachfolger von Dr. Gudden in München sind letztendlich zu dem Schluss gekommen, dass der König zwar schizoide Züge hatte. Aber sie hätten ihn sicherlich nicht in einer Zwangsjacke nach Haar geschickt.

sueddeutsche.de: Was wäre Bayern heute ohne den Kini?

Till: Sicher viel ärmer. Wir hätten schon noch einige Schlösser mehr vertragen. Er verstand es, die Landschaft, und hier insbesondere die bayerische Landschaft, mit der Architektur zu verschmelzen. Als Gesamtkünstler passt er nach Bayern. Ohne ihn wäre Bayern kein Kulturstaat.

Wolfgang Till, Ludwig II. König von Bayern - Mythos und Wahrheit, Christian Brandstätter Verlag (Broschiert - 15. April 2010), 9,90 Euro.

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