Wirtshaussterben am Tegernsee:Revoluzzer kämpfen um ihren Stammtisch

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Sein Wirtshaus soll abgerissen werden: der Jennerwein. (Foto: dpa)

Bayerns berühmtester Wildschütz Jennerwein hat hier am Stammtisch sein Bier getrunken, nun soll das Wirtshaus Glasl in Rottach-Egern abgerissen werden. Außer es gelingt ein paar Rebellen aus dem Tegernseer Tal noch, diesen Plan zu verhindern.

Von Heiner Effern

Ein Schuss in den Rücken. Der Unterkiefer von einer weiteren Kugel zerschmettert. Die Wange samt Schnurrbart im Geäst eines Baumes. So übel zugerichtet wurde der Wilderer Georg Jennerwein der Überlieferung nach im November 1877 in den Bergen oberhalb des Schliersees gefunden. Das Königlich Bayerische Schwurgericht hatte keine Zweifel: Der Jagdgehilfe Johann Pföderl hatte den Wildschützen umgebracht.

Pföderl hatte Jennerwein nicht nur durch seine Abschüsse zur Weißglut getrieben, sondern auch durch seine beglückenden Besuche bei der Sennerin Agerl, die auch Pföderl gefiel. Im Frühjahr 1877 machte sich der Jennerwein seinen früheren Freund dann endgültig zum Todfeind, drüben am Tegernsee, auf dem Ball der Holzhacker im Gasthof Glasl. Der Ort dieses Dramas soll nun abgerissen werden. Wenn es nicht ein paar Revoluzzer aus dem Tegernseer Tal noch verhindern.

An der Spitze des kleinen Volksaufstands, der sich in den vergangenen zwei Wochen in Rottach-Egern ausgebreitet hat, steht der Musiker Thomas Tomaschek. Er will nicht zulassen, dass wieder ein altes, die Geschichte des Ortes prägendes Gebäude verschwindet. 800 Unterschriften habe er gegen den wohl im Dezember geplanten Abriss des Gasthauses im Ortsteil Oberach gesammelt, sagt er. Und noch viel wichtiger: "Es haben sich zwei Interessenten gemeldet, die den Gasthof Glasl kaufen würden, um ihn zu erhalten."

Unterstützung gegen den Abriss sollte zudem von den Denkmalschützern in München kommen. Doch als diese am Donnerstag das Wirtshaus begutachten wollten, fanden sie trotz Anmeldung niemanden, der ihnen aufsperrte. Also sahen sie nicht die Räume und Gewölbe, in denen 1877 der Jennerwein seine Gegner bis aufs Blut reizte.

Eine tödliche Blamage

Forstleute und Holzknechte feierten damals im März einen Ball. Das Erscheinen Jennerweins war schon brisant, oft genug hatte er die Jäger und Forstleute genarrt mit seiner Wilderei, die ihm aber niemand nachweisen konnte. Als der Jennerwein im Saal den Forstgehilfen Pföderl sah, ritt ihn wieder einmal der Teufel. Er nahm seinen Hut mit dem Gamsbart vom Kopf, strich damit dem Jagdgehilfen vor großem Publikum um die Nase und prahlte mit seinen Abschüssen im Wald des Forstmanns: "Siehgst Pföderl, söllers Kraut wachst in deim Garten, aber brocka tua 's i!" Eine tödliche Blamage.

Nichts nutzte es mehr, dass ihn viele der einfachen Leute verehrten, weil er der Obrigkeit trotzig die Stirn bot. Es gab kein Entrinnen mehr für den Wilderer, der ob seines Widerstands gegen die herrschenden Verhältnisse zu einem bayerischen Mythos werden sollte. Im Gasthof Glasl war dieser noch greifbar nah, hier war der Jennerwein immer wieder gesessen. Wie ein Lauffeuer hatte es sich verbreitet, wenn er aus dem Wald herabkam und am Stammtisch ein Bier trank. Die Buben aus den Nachbarhöfen kamen dann angelaufen, sie wollten den furchtlosen Wilderer leibhaftig sehen.

Aufbegehren gegen herrschende Verhältnisse

Das Aufbegehren gegen die herrschenden Verhältnisse, da lehnen sich viele Einheimische jetzt an die Geschichte der Wilderer an. Längst haben sie kaum mehr etwas mitzureden im Ort. Es regiert immer das gleiche Prinzip des Geldes: Irgendjemand verkauft ein Stück altes Land, ein Bauträger klotzt es zu und verkauft die sündteuren Wohnungen dann an Auswärtige.

Oberach, der einstige Weiler am Rande Rottachs, ist heute eine stillos zusammengeschusterte Wohnsiedlung, in der viele heruntergelassene Rollläden von Zweitwohnungen zeugen. Ein alter Rottacher, der nicht mit Namen in der Zeitung stehen will, erinnert aber auch daran, was "das erste Glied dieser Kette" ist: die Gier der Einheimischen beim Verkauf.

Die beiden Geschäftspartner in Sachen Glasl waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Der Eigentümer wolle das ganze Grundstück an eine Immobilienfirma vom Tegernsee verkaufen, bestätigt der Rottach-Egerner Bürgermeister Franz Hafner (Freie Wähler). Der Gemeinderat habe eine Bauvoranfrage positiv beschieden. Auf dem Grundstück seien zwei Mehr- und zwei Einfamilienhäuser geplant. "Das war zu meiner Jugendzeit meine Stammwirtschaft, mir tut das furchtbar weh", sagt Hafner. Aber das nutzt nichts, wenn "man keine Möglichkeiten hat, das zu verhindern".

Abgeblitzt in der Region

Hafner sagt, dass er selbst versucht habe, Brauereien aus der Region zum Kauf zu bewegen. "Da bin ich abgeblitzt." Mehr könne er nicht tun: Einen Bebauungsplan mit einer Veränderungssperre für das Areal der Gastwirtschaft aufzustellen, das sei nicht möglich. Das Gasthaus befinde sich mittlerweile in einer als reines Wohngebiet ausgewiesenen Zone. "Ich kann nicht zur Sicherung eines Bestandes einen Bebauungsplan aufstellen, wenn der Betrieb dort rechtlich eigentlich gar nicht zulässig ist."

Er könne den Eigentümer und Wirt, dessen Familie das seit kurzem geschlossene Gasthaus seit 150 Jahren führte, aber auch verstehen. Solch ein Landgasthof sei ein hartes Geschäft, das oft nur als Familienbetrieb wirtschaftlich zu führen sei. Und für eine Betriebsübergabe an die nächste Generation habe es einen "unwahrscheinlichen Investitionsbedarf" gegeben.

Widerständler Tomaschek sagt ohnehin, dass er niemanden vom Verkauf seines Grundstücks abhalten könne oder wolle. Das müsse jeder mit sich selbst abmachen. Ihm gehe es darum, ein Stück Heimat und Tradition zu erhalten. Die Verwurzelung der Menschen und das kulturelle Erbe hier gelte es zu schützen. Es muss heutzutage nicht ein Schuss in den Rücken sein, der Leben und Identität auslöscht wie beim Jennerwein. In Zeiten des Lago di Bonzo, wie der Tegernsee auch genannt wird, reicht dafür auch ein Bagger.

© SZ vom 16.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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