Wie Kämmerer arbeiten:Die Zahlenbändiger

Lesezeit: 4 min

Weil Haushaltspläne immer komplizierter werden, sind Stadt- und Gemeinderäte dem Sachverstand ihrer Kämmerer ausgeliefert. Findige Schatzmeister verstecken in ihren Planungen auch Notgroschen für schwere Zeiten.

Hans Kratzer

Damit im staatlichen und kommunalen Finanzwesen keine Wildwestmanieren einreißen, muss sich die Haushaltsplanung unter anderem am Grundsatz der Wahrheit und der Klarheit orientieren. So mancher Amtsträger interpretiert diese Richtlinie freilich ziemlich hemdsärmelig. Zu ihnen gehörte der frühere Bürgermeister einer Nachbargemeinde von Landshut, der einen recht freien Umgang mit der haushälterischen Transparenz pflegte.

Kämmerer - Verwalter des kommunalen Geldes und Warner vor finanziellen Engpässen. (Foto: Foto: dpa)

Meistens las er den Gemeinderäten den Haushaltsentwurf lediglich vor, in die Hände bekam ihn niemand. Als einer einmal überraschend nachfragte, wie viel Geld denn eigentlich in der Gemeindekasse sei, blaffte ihn der Bürgermeister entgeistert an: "Was geht denn dich das an?"

Tatsächlich geht der kommunale Haushalt jeden Bürger etwas an, weshalb der Entwurf vor der jährlichen Verabschiedung öffentlich ausgelegt werden muss. Trotzdem haben sich Legionen von rechtschaffenen Gemeinde- und Stadträten auf dem weiten Feld der Finanzwirtschaft schon heillos verirrt und manche stürzten wegen fehlender Orientierung gar ins Verderben.

"Deshalb ist es eine meiner wichtigsten Aufgaben, den Stadtrat vor finanziellen Gefahren zu warnen", sagt Rupert Aigner, der Kämmerer der Stadt Landshut. In der niederbayerischen Bezirkshauptstadt ist diese präventive Fürsorge vielleicht noch effizienter als in anderen Kommunen, da die Haushaltslage seit Jahren brenzlig zu nennen ist. Die 62500-Einwohner-Stadt strotzt zwar wirtschaftlich vor Kraft, aber trotzdem drückt sie ein Schuldenberg von 130 Millionen Euro, und der verhindert, dass die Landshuter auf großem Fuß leben können.

Denn die Regierung von Niederbayern wirft ein waches Auge darauf, dass die Landshuter keine weiteren Schulden anhäufen. Notgedrungen halten sie nun Disziplin, sodass die Aufsichtsbehörde den Haushalt für das Jahr 2008 genehmigt hat - mit der Auflage, dass Überschüsse vorrangig zur Schuldentilgung verwendet werden müssen.

Herrschaftswissen

Damit die Stadträte nicht in Versuchung geraten, das Geld mit offenen Händen auszugeben, werden sie von der Kämmerei mit Daten gefüttert. "Wir legen dem Haushaltsplan immer viele Erläuterungen bei", sagt Aigner, wohlwissend, wie wichtig diese Aufklärung ist.

Die Kämmerei ist eine strategische Schlüsselstelle im Rathaus, weil sie mit dem Mammutwerk des Haushaltsplans jene Plattform schafft, auf der die Politiker dann entscheiden, wofür sie wie viel Geld ausgeben. Ob sie immer verstehen, was da im Haushaltsplan alles drinsteht, ist eine andere Frage.

Streng genommen, ist es für einen Laien fast unmöglich, ein mit unendlich vielen Zahlen und Daten gespicktes 700-Seiten-Werk wie den Landshuter Haushalt vollständig zu durchdringen. Auf die Frage, wer denn den vollen Durchblick habe, antworten Experten unisono: "Der Kämmerer und vielleicht noch der Bürgermeister."

Und was ist mit den Räten, die über Millionenausgaben entscheiden? Die Lahrer Zeitung hatte in den 80er Jahren in einer großen Umfrage Dutzende von Kreis- und Stadträten mit Haushaltsbegriffen wie Schlüsselzuweisung, Vermögenshaushalt und Abschreibung konfrontiert. Nur die wenigsten konnten diese Begriffe annähernd erklären, was den Verdacht nährt, dass die Kämmerei in Finanzangelegenheiten weiträumiges Herrschaftswissen besitzt. Der Bürgermeister der Gemeinde Wang, Martin Besenrieder (CSU), bekam diese Macht der Verwaltung im negativen Sinne zu spüren. Er finanzierte auf den Rat des Kämmerers hin den Bau eines Kindergartens nicht über einen ordentlichen Kredit, sondern durch eine riskante Überziehung des Kassenkredits der Gemeinde. Der Kämmerer habe ihm dies als taugliche Finanzierung dargestellt, behauptete Besenrieder, was ihm aber nichts half. Wegen Untreue wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt.

Rupert Aigner hätte seinem Oberbürgermeister in Landshut einen solchen Rat sicherlich nicht gegeben. "In der Finanzplanung bin ich konservativ", sagt der Kämmerer. Was die Politiker dann entscheiden, das ist indessen ihre Sache. Auch im Landshuter Stadtrat ist, trotz des mahnenden Fingers des Kämmerers, das Sparen nicht populär. Der Rahmen der möglichen Investitionen wird ausgeschöpft, so gut es geht. Obwohl er als Verwaltungsbeamter keine politische Entscheidung treffen kann, hat der Kämmerer dennoch Gestaltungsspielräume, wie es in der Verwaltungssprache so schön heißt.

Aigner schätzt zum Beispiel die zu erwartenden Steuereinnahmen eher vorsichtig ein und weckt lieber nicht zu viele Hoffnungen. Kämmerern wird generell nachgesagt, sie spielten virtuos auf der Klaviatur der Gestaltungsspielräume, ja sie griffen sogar zu Tricksereien, die niemand mitbekomme. "Kenner wissen, wo sie hinschauen müssen", gibt Aigner vorsichtig zu, spielt aber seine eigenen Möglichkeiten herunter.

"Kämmerer haben einen sehr großen Einfluss", sagt dagegen Herbert Knur (CSU), der Bürgermeister der in der Nähe von Landshut gelegenen Gemeinde Berglern. Ein Kämmerer finde im Haushaltsplan immer Nischen, in denen er Mittel verstecken könne. "Das ist manchmal auch notwendig, weil man damit bei plötzlich auftretenden Haushaltslöchern und Begehrlichkeiten schnell agieren kann", sagt Knur.

Die Doppik kommt

Diese stillen Reserven helfen dem Kämmerer auch, Lücken zu schließen, wenn er sich bei den Ausgaben verplant hat. "Das ist gang und gäbe", sagt Knur über die im Haushaltsplan versteckten Notgroschen.

Im Grunde genommen bewegt sich die kommunale Haushaltsführung immer ein bisschen zwischen legaler Planung und illegaler Vorratspolitik. Auch die Finanzaufsicht hat keine Chance, in dem Zahlendickicht alle Tricksereien zu erkennen. Der Wirtschaftsjournalist Wolfgang Wentsch hatte einst Aufsehen erregt, als er intensiv in Haushaltspläne hineinstocherte und jede Menge merkwürdiger Zahlen herausfischte. Beispielsweise machte er beim Posten "innere Verrechnung" eine erstaunliche Entdeckung. Hinter diesem Posten verbarg sich unter anderem die Tatsache, dass städtische Beamte jede Woche frische Blumen auf ihren Schreibtisch bekamen. Kostenpunkt:200000 Euro im Jahr.

Das Tricksen ist so alt wie das Haushalten an sich. In den Rathäusern kursiert ein Witz, dessen Urheber aber der Volksdichter Ludwig Ganghofer ist. In seinen Erinnerungen schildert dieser, wie der Bürgermeister von Bischofshofen anno 1875 im Gemeindekonto einen Hut verrechnete, den ihm der Wind bei einer Amtshandlung davongeweht hatte.

Der Bezirkshauptmann sagte: "Sie, das geht nicht, das ist ein privater Posten! Der muss heraus." Nach acht Tagen kam die neue Rechnung, und der Bezirkshauptmann sagte befriedigt: "Na also, jetzt ist ja der Hut draußen!" Da lachte der Bürgermeister: "Der ist schon noch drin! Aber Sie finden ihn halt nimmer!"

Die geplante Umstellung des kommunalen Haushalts von der sogenannten Kameralistik auf die kaufmännische Buchführung (Doppik) wird diese Wissenskluft zwischen den Experten in der Verwaltung und den finanzwirtschaftlichen Laien in den Stadt- und Gemeinderäten vermutlich weiter vergrößern.

Bei all ihren Tücken vermittelt die Kameralistik immerhin eine gewisse Vorstellung von einer Investition. Wenn die Gemeinde ein Auto für 20000 Euro kauft, dann muss das Geld gemäß der Verrechnung im kameralistischen Haushaltsplan erst verdient und vorhanden sein, die Ausgabe kommt im Haushaltsplan in vollem Umfang zum Tragen.

Der Laie blickt nicht mehr durch

In der kaufmännischen Buchführung wird dagegen nur der jährliche Werteverzehr des Autos veranschlagt, das wären bei Gesamtkosten von 20000 Euro lediglich 4000 Euro. Dies könnte die Wahrnehmung der Entscheider im Gemeinderat also durchaus trüben und sie unter Umständen zu einem großzügigeren Umgang mit dem Geld verleiten.

Vom Grundgedanken her soll die Doppik mehr Transparenz in die Haushaltsführung bringen. Letztlich aber würde sie die Stellung der Verwaltung stärken, vermuten Bürgermeister Knur und Kämmerer Aigner - der Laie blickt dann nämlich gar nicht mehr durch.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: