Wasser in der Alz:Tote Fische, so weit das Auge reicht

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Nach einem Brand im Kreis Altötting ist offenbar verseuchtes Löschwasser in die Alz gelangt. Tausende tote Fische treiben auf dem Fluss.

Heiner Effern

Tote Fische zu bergen gehört normalerweise nicht zu den Aufgaben von Feuerwehrmännern. Doch die Mitglieder der Betriebsfeuerwehr im Industriepark Gendorf bei Burgkirchen (Landkreis Altötting) haben die vergangenen Tage nichts anderes getan. Nach einem Chemieunfall am Dienstagabend trieben bis zum Freitagmorgen offenbar Tausende tote Fische auf der Alz.

Bereits 2006 protestierten Umweltschützer gegen die Clariant. Ein Brand in dem Unternehmen ist wohl die Ursache für das aktuelle Fischsterben in der Alz. (Foto: dpa)

Durch eine Panne nach einem Brand bei der Firma Clariant gelangte nach ersten Polizeierkenntnissen bis zum Mittwochvormittag verseuchtes Löschwasser unkontrolliert in die Alz. Umweltschützer befürchten, dass der Fluss zwischen dem Chemiewerk und der Einmündung in den Inn auf einer Länge von 15 Kilometern tot ist. Die Kriminalpolizei ermittelt wegen des Verdachts auf Straftaten im Umweltbereich.

Nach Auskunft der Firma Clariant handelt es sich bei der Chemikalie in der Alz um Genamin LA 302 D (sogenannte Fettamine), das ,,äußerst toxisch auf Wasserorganismen'' wirke. Das Gesundheitsamt Altötting erklärt, der Stoff wirke auf Menschen unverdünnt "schleimhautreizend und ätzend", man müsse jedoch den "Verdünnungseffekt durch die Vermischung mit dem Wasser der Alz" beachten.

In Untersuchungen habe sich die Substanz nicht als erbgutschädigend erwiesen. Immerhin darf eine Familie ihren Brunnen, aus dem sie ihr Trinkwasser bezieht, vorerst nicht nutzen. Denn auch das Grundwasser könnte mit der Chemikalie vergiftet sein, weil es im Bereich der unteren Alz einen regen Austausch mit dem Flusswasser gibt. Deshalb sollen Menschen in den betroffenen Gebieten das Grundwasser ,,bis auf weiteres nicht mehr zur Bewässerung von Nutzpflanzenflächen und Spielflächen des Gartenbereichs'' verwenden.

Völlig unklar war bis Freitagnachmittag, welche Mengen der Chemikalie in die Umwelt gespült wurden. Das Landratsamt Altötting, bei dem alle Fäden in der Krise zusammenlaufen, verwies auf die laufende Untersuchung von Proben, die aus verendeten Fischen, dem Flusswasser und dem Sediment entnommen wurden.

Tausende tote Fische soll die Feuerwehr eingesammelt haben, wie viele Tiere tatsächlich zugrunde gegangen sind, will niemand sagen. Das Landratsamt verweist auf den Industriepark, in dem die Firma Clariant angesiedelt ist. Das Unternehmen sagt nichts, das Wasserwirtschaftsamt sei zuständig. Dieses erklärt, nur das Landratsamt gebe Auskünfte.

Umweltschützer dagegen sagen, dass es seit knapp 30 Jahren kein schlimmeres Fischsterben in der Alz gegeben hat. ,,Dramatisch'' sei die Situation, sagt Gerhard Merches, Kreisvorsitzender des Bundes Naturschutz in Altötting. Der Fluss sei hier Naturschutz- und FFH-Gebiet (europäisches Schutzgebiet ,,Flora-Fauna-Habitat''). Die komplette Fauna sei auf 15 Kilometern "extrem geschädigt, vermutlich sogar tot", sagt Merches. In der Mündung zum Inn liege ein beliebtes Fischlaich-Gebiet, in das selten Arten wie die Äsche gerade gewandert seien. "Hier wurde wie mit einem Lichtschalter das Leben ausgeknipst." Die Wirkung auf Vögel sei noch unklar und ebenso, welche Langzeitschäden zu erwarten seien.

Ein Spaziergänger entdeckte am Mittwochmorgen eine Vielzahl von toten Fischen in dem Fluss. Auf seinen Alarm hin schickte die Polizei einen Hubschrauber, der mit dem Rücken nach oben treibende Fische auf weiten Strecken ausmachen konnte. Erste Ermittlungen der Polizei und des Industrieparks ergaben, dass verseuchtes Löschwasser der Grund für die Umweltkatastrophe sein könnte.

Am Dienstagabend gegen 19.45 Uhr hatte die Firma Clariant ein Feuer gemeldet. Ein 27-jähriger Mitarbeiter war leicht verletzt. Die Standortfeuerwehr bekämpfte den Brand erfolgreich. Warum das Löschwasser mit Fettaminen verseucht wurde und wie es in die Alz gelangen konnte, das untersuchen nun auch Experten des Landeskriminalamtes in München.

Chemiefirmen haben für Brandfälle Sicherheitsschleusen, die vergiftetes Wasser zurückhalten sollen. Es gebe nur zwei Möglichkeiten, sagte ein Polizeisprecher: Entweder habe man im Werk vergessen, sie zu aktivieren. Oder, was derzeit die wahrscheinlichste Annahme ist, ein technischer Defekt habe das System lahmgelegt. Auch der Industriepark Gendorf verwies auf einen möglichen technischen Fehler im Sicherheitssystem.

Das Areal in Gendorf ist Teil des bayerischen Chemiedreiecks. Mehr als 20 Unternehmen aus den Bereichen Basis- und Spezialitäten-Chemie, Kunststoffe, Energieversorgung und Dienstleistungen sind hier angesiedelt. Insgesamt arbeiten im Industriepark 4000 Menschen. Bereits im Jahr 2006 stand die Firma Clariant im Fokus von Umweltschützern und Behörden.

Der Vorwurf der Umweltorganisation Greenpeace lautete damals: Clariant und noch ein zweites Unternehmen würden Perfluoroctansäure (PFOA) ins Abwasser leiten. Die Dosis in den untersuchten Fischen seien so hoch wie sonst nirgends in Deutschlands. Der Stoff könne Krebs auslösen. Das Unternehmen verwies seinerzeit auf Genehmigungen und seine Vorreiterrolle in der Vermeidung von PFOA weltweit.

© SZ vom 10.3.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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