Warnstreik in Nürnberg:Selbst die Geister-U-Bahn steht still

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Verkehrschaos in Nürnberg und Augsburg: Seit den frühen Morgenstunden geht nichts mehr.

O. Przybilla, Nürnberg, und M. Szymanski, Augsburg

Mit Beginn umfangreicher Warnstreiks im öffentlichen Nahverkehr ist es in vielen Städten Bayerns am Dienstagmorgen zu teils erheblichen Behinderungen im Berufsverkehr gekommen - wie etwa in Nürnberg. In der Franken-Metropole geht seit dem frühen Morgen nichts mehr.

Streik in Nürnberg: Seit den frühen Morgenstunden versinkt die Stadt im Verkehrschaos. (Foto: Foto: ddp)

Seit vier Uhr früh sind zwar vereinzelt Ersatzbusse im Einsatz. Die VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft hatte angekündigt, in Nürnberg rund 30 privat organisierte Busse im Halbstundentakt einzusetzen.

Weil aber vor allem auf den Nürnberger Ausfall- und Ringstraßen von einem Verkehrsfluss kaum mehr die Rede sein kann, ist die Nürnberger Verkehrsgesellschaft auch nicht mehr in der Lage, den geplanten Takt einzuhalten. Und die Busse, die sich dennoch einen Weg durch die Staus gebahnt hatten, waren spätestens von 6.30 Uhr an völlig überfüllt.

Mit ihren Aktionen wollen die Beschäftigten ihren Druck auf die Arbeitgeber erhöhen. Die Gewerkschaft fordert für die rund 6500 Beschäftigten in den kommunalen bayerischen Verkehrsbetrieben 9,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 250 Euro. Am Donnerstag sollen die Verhandlungen weitergehen.

Auch die große Stunde der ersten fahrerlosen U-Bahn schlug in Nürnberg nicht: Die U3 - in Nürnberg gelegentlich als Geister-U-Bahn bezeichnet - fuhr in den Morgenstunden ebenso wenig wie die beiden bemannten U-Bahn-Linien 1 und 2. Die Verkehrsbetriebe erklären das mit dem hohen Personalaufwand, der notwendig ist, die fahrerlose Bahn durch die Tunnel zu leiten.

24 Stunden lang soll in Nürnberg gestreikt werden. Das sei "fairer" als in München, erklärt der Streikleiter, weil sich die Leute dann auf die Dauer einstellen könnten - und sich keine Illusionen über ein frühes Streikende machten.

Am Taxistand vor dem Bahnhof in Nürnberg bildete sich um 8 Uhr eine Schlange mit bis zu 80 Personen. Vor allem Fernreisende wurden von dem Streik völlig unvorbereitet überrascht.

Ein Paar hatte die Nacht wegen Schneefalls unplanmäßig auf dem Londoner Flughafen Heathrow verbracht, war erst in den frühen Morgenstunden mit dem Zug aus Frankfurt nach Nürnberg gelangt - und musste dort in Eiseskälte mehr als eine halbe Stunde lang auf ein Taxi warten. "Es reicht uns jetzt allmählich", gab das übernächtigte Paar aus einem Nürnberger Vorort zu verstehen.

Verblüfft zeigte sich auch eine Frau aus der Ukraine, die das erste Mal Verwandte in Deutschland besuchte und angesichts des Schildes "Streik" an einem Nürnberger U-Bahn-Schacht ins Grübeln geriet. "Komisch, ich habe immer gedacht, in Deutschland ist alles anders." Die Frau musste vom Bahnhof aus innerhalb von 90 Minuten den Nürnberger Flughafen erreichen. Ob sie das angesichts der Schlange am Taxistand geschafft hat, ist fraglich.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich der Streik in Augsburg ausgewirkt hat.

Augsburg - Franz Dempfle wärmt sich im Streiklokal der Augsburger Bus- und Straßenbahnfahrer auf. Sie haben ein Wirtshaus nahe der Gewerkschaftszentrale bezogen. Der 56-Jährige war einer der ersten, der in der Nacht zum Dienstag die Arbeit niedergelegt hat.

Um 3.20 hätte er vom Depot im Stadtteil Lechhausen starten soll, um im Stadtgebiet Kollegen mit dem Personalwagen einzusammeln und zur Arbeit zu bringen. Aber er startete seinen Bus erst gar nicht. "Es ist jedes Jahr weniger Geld geworden", sagt er. "Endlich wird mal was gemacht."

Fahrer von Bussen und Straßenbahnen befinden sich an diesem Tag allein in Augsburg in Ausstand. Nichts rollt mehr. Nicht einmal ein Notfahrplan gibt es. Die elektronischen Anzeigentafel melden: "Warnstreik" und darunter frieren ein paar Ahnungslose in der Kälte, die vom Streik überrascht worden sind.

Die Busfahrer sitzen derweil im Streiklokal. Neben ihnen hat Verdi-Sekretär Hans Blöchl Platz genommen. "Die Leute arbeiten hart, um das Funktionieren der Stadt zu ermöglichen. Deshalb haben sie mehr Geld verdient", sagt Blöchl. Die Kollegen am Tisch nicken.

Dempfle erzählt, dass er zum Schichtbeginn anstatt 20 Minuten nur noch zehn Minuten Zeit hat, um den Bus auf seine Sicherheit hin zu überprüfen. Auch sonst würde überall gekürzt. Etwa bei den Schichtzulagen. Auf mehr als 100 Euro jeden Monat habe er schon verzichten müssen. Das macht ihn wütend. Und auch die anderen, deren Arbeitsbelastung stetig steigt, wollen mehr Geld.

"Wir hätten genauso gut zumachen können"

Am zentralen Augsburger Umsteigeplatz, dem Königsplatz, macht sich eine fast schon gespenstische Atmosphäre breit. Normalerweise frequentieren täglich bis zu 110 Fahrgäste das Haltestellendreieck. Jetzt, aber, um kurz nach 7 Uhr in der früh, haben die Bedienungen beim Bäcker so gut wie nichts zu tun. "Wir haben extra weniger Ware bestellt", sagt eine völlig entspannte Verkäuferin. Sie hätten eigentlich auch Personal nach Hause schicken können. Der Kiosk nebenan hat den ganzen Morgen erst zehn Schachteln Zigaretten verkauft. Normalerweise stehen auch hier die Leute Schlange.

Alexander Schiechtl hat den Königsplatz am einem normalen Arbeitstag noch nie so einsam erlebt. Er ist Chef des Fahrkartenverkaufs. "Wir hätten genauso gut zumachen können", sagt er. Beschwert habe sich noch niemand, sagt er. Tatsächlich halten es viele so wie der 22-jährige Rudolf Wieninger, der nun halt zu Fuß zur Ausbildungsstelle geht. "Die Busfahrer wollen auch ihr Geld verdienen", sagt er schicksalsergeben. Nur drei Schülerinnen, die in der Kälte stehen, schimpfen so furchtbar, dass man sie nicht zitieren mag.

Vor allem die Schüler trifft der Streik hart. Deshalb hat auch Adelheid Rapp gerade ständig am Telefon zu tun. Sie ist Sekretärin im Holbein-Gymnasium. Seit 7 Uhr klingelt ständig das Telefon, weil Eltern ihre Kinder entschuldigen. Die Liste mit Namen, die Rapp führt, wird von Minute zu Minute länger. "Heute ist der Teufel los", sagt eine Kollegin im Vorbeigehen. Viele Plätze in den Klassenzimmern bleiben leer.

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