Wallfahrtsstätte im Westallgäu:Wunderliches aus Wigratzbad

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Die Wallfahrtsstätte Wigratzbad feiert ihr 75-jähriges Jubiläum. Ausgerechnet jetzt gibt es in der Gebetsstätte Irritationen über eine rätselhafte Kiesvermehrung - und andere göttliche Kräfte.

Ulrike Heidenreich

Wigratzbad - Beim Beten des schmerzhaften Rosenkranzes vernahm sie plötzlich ein Rauschen. "Es hörte sich an wie das Rauschen von unzähligen Flügelschlägen. Dann hob ein Gesang an, der immer mächtiger anschwoll und schließlich so gewaltig und wuchtig wurde, als würden unzählige himmlische Heerscharen um die Grotte versammelt in wundervollen Akkorden zusammenstimmen." Nach zwei, drei Stunden dieses himmlischen Getöses schließlich schien es der Stifterin Antonie Rädler, als würde Maria in der Grotte sie anlächeln. Betört schritt sie von dannen.

Die Wallfahrtsstätte Wigratzbad zieht jährlich Zigtausende Pilger an. Sie beten, stiften Kerzen, erflehen Marias Segen. (Foto: JOHANNES SIMON)

An diesem sonnigen, warmen Tag viele Jahre später ist in der Gebetsstätte

Wigratzbad kein Rauschen zu hören,

lediglichen das nervraubende Dröhnen eines Rasenmähers. Der Gärtner der Gebetsstätte zieht seine Runden, oben auf dem Ölberg scheint das Gras besonders stark gewachsen. Eine Hummel stürmt unermüdlich brummelnd gegen die Scheiben der "Pater-Pio-Klause", ein Holzhäuschen im Baumarkt-Bausatz gleich neben der Station "Veronika reicht Jesus das Schweißtuch". Hier und an den weiteren Stationen, die den Leidensweg Jesu zeigen, gilt es auch noch die Hecken nachzuschneiden. In Wigratzbad ganz hinten im Westallgäu macht man sich schön für die vielen Pilger, die da über Ostern kommen werden. Sie werden sich mit heilsamem Quellwasser benetzen, die strengen Petrusbrüder bestaunen und immer mal wieder auf ein Wunder hoffen.

Das Bild der vollkommenen, reinen, geistigen Schönheit ist in diesen Tagen gerade ein wenig getrübt worden - ausgerechnet zu den 75-Jahr-Feierlichkeiten und ausgerechnet durch ein Dekret, das von ganz oben kam. Die Augsburger Bistumsleitung, die für Wigratzbad zuständig ist, hat es untersagt, ein Buch über diese wundersame Gebetsstätte weiterhin zu verkaufen. Ein einmaliger Vorgang. Das Buch heißt "Sieg der Sühne", ist verfasst von Alfons Sarrach und trägt den fabelhaften Satz auf dem Umschlag: "Das unglaubliche Abenteuer einer begnadeten Frau, Antonie Rädler, durch die der Himmel in die Weltgeschichte eingegriffen hat". Vom Augsburger Bistum verlautet nun, diese Schrift sei mit dem katholischen Glauben nicht vereinbar. "Das Buch behauptet den göttlichen Ursprung der Phänomene von Wigratzbad und verurteilt eine kritische Betrachtung als Werk des Teufels", heißt es in dem von Generalvikar Karlheinz Knebel

unterzeichneten Dekret. "Merkwürdige Glaubensvorstellungen" würden die "Wundersucht der Gläubigen" befördern.

Blättert man durch das Buch des 84-jährigen Autors Sarrach, der auf Anfrage sagt, er befinde sich gerade "auf dem Sprung in die Ewigkeit", finden sich tatsächlich viele Wunder, voll glühender Bewunderung beschrieben. Antonie Rädler war eine Allgäuer Metzgerstochter, die im Jahr 1936 in ihrem Heimatort ein Marienbild anbrachte und später, in den Nachkriegsjahren, dort eine Kapelle bauen ließ - aus Dankbarkeit, weil sie als Mitglied der Marianischen Kongregation der Verhaftung durch die Gestapo entkommen war.

Eine kleine Auswahl von Wigratzbader Wundern: Als Rädlers Mutter am Kindbettfieber erkrankt war, und ihre Hände schon starr auf dem Weg ins Jenseits wurden, betete ihr Mann vor einer Lourdesgrotte, mit der die religiöse Familie offenbar ihr Schlafzimmer verschönert hatte. "Die Statue in der Grotte erhob ihr Haupt und senkte es zustimmend nieder", schreibt Sarrach. Die kranke Frau ward augenblicklich gesund und trank eine Kanne lauwarmer Milch.

Weitere Wunder: Als Antonie Rädler die ganze Nacht hindurch mit zwei Töchtern betete, deren Vater Magenkrebs im Endstadium gehabt haben soll, hatte der am nächsten Morgen prompt Appetit. "Bei der Röntgenaufnahme stellte man eine völlige Heilung fest", schildert Autor Sarrach das Geschehen. Aber die Gründerin des Pilgerortes beschäftigte sich auch mit profaneren Dingen: Als ihre Helfer mal wieder die Gebetsstätte um ein Haus erweitern wollte, fehlte es an Kies. Die Bauarbeiter wurden unruhig, doch siehe da: Die gute Frau Rädler schritt vorbei, sagte nur "Der Kies wird reichen" - und so war es. Fertig war das Kieswunder.

All diese Phänomene wurden kirchlich nie untersucht. Doch die Erzählungen von Marienerscheinungen und das Quellwasser, dem Heilkräfte nachgesagt werden, ziehen wahre Pilgerscharen an. 250000 sollen es pro Jahr sein, die das

Minidorf mit seiner imposanten Kirche bestaunen. Der Noch-Direktor des Allgäuer Heiligtums, Thomas Maria Rimmel, hat sogar einst einen weiteren Superlativ gemessen: "50000 Liter Weihwasser" teile man jährlich aus, sagte er. Menschen, die Weihwasser nicht mögen, mag es wiederum wundersam erscheinen, wie dieses Wasser im Eingangsbereich des Heiligtums der "Unbefleckt empfangenen Mutter vom Sieg" präsentiert wird: In einem riesigen, recht profanen weißen Plastiktank, jederzeit abzapfbar.

Im Pilgerladen oberhalb der Kirche gibt es dafür praktischerweise Plastikflaschen mit Verschluss zu kaufen. Vor dem Regal daneben knien Verkäuferinnen und zählen den Kerzen-Bestand: "20 mal Papst für 2,50, 25 mal Mutter vom Sieg für 2 Euro 70." Das Buch "Sieg der Sühne" ist nicht mehr in der umfangreichen Bibliothek mit Wunderbüchern zu finden. Und, wie man in diesen Tagen wiederum vom Augsburger Bischof Konrad Zdarsa vernommen hat, wurde Direktor Rimmel soeben abberufen. Ihm gehört der Verlag, in dem das verbotene Buch erschien, zur Hälfte. Nun mögen ungläubige Geister darin einen Zusammenhang sehen. Weil katholische Kirchenpolitik aber mitunter, wie man weiß, etwas undurchsichtig ist, lobte man Rimmel sofort über den Schellenkönig, weil er die Gebetsstätte so "hervorragend" zum Wallfahrtsort entwickelt und so erfolgreich von der dort ansässigen Petrusbruderschaft entflechtet habe.

Als kleine Irritation am Rande dürften es die Kirchenoberen aber schon empfunden haben, dass Rimmels Autor Sarrach in einem offenen Brief dem Augsburger Generalvikar Knebel ziemlich offen gedroht hatte. Er, Sarrach, der mit dem Papst gut bekannt sei, werde notfalls nach Rom gehen, um eine dritte Auflage von "Sieg der Sühne" zu erreichen. "Bischof Stimpfle hat mir schwerwiegende Vorgänge aus dem Bistum anvertraut, über die ich schweige, weil die Menschen ohnehin im Augenblick viel verkraften müssen. Die Verlagerung der Sache nach Rom wären eine Gelegenheit, den Heiligen Vater einzuweihen", schreibt Sarrach wörtlich. Die Reaktion des Generalvikars ist nicht bekannt. Beruhigend für mancher Seelenheil dürfte aber sein, dass es für den Jubiläumsweg mit zwölf Stationen in Wigratzbad während des Jubeljahres den "Vollkommen Ablass" gibt, alle Sündenstrafen seien damit erlassen.

Dass die mit Rom verbundene traditionalistische Petrusbruderschaft, die 1988 in Wigratzbad ihr Seminar errichtete, mit der Pilgerstätte an sich entflochten wurde, mag sein. Für jeden ersichtlich ist aber, dass die Priester, die Latein und Weihrauch lieben und die Messe im alten Ritus feiern, hier überaus erfolgreich wirken. Soeben wird das Seminarwohnhaus um einen Anbau erweitert. Durch die grünen Wiesen ziehen hochgewachsene junge Männer in schwarzen Soutanen, französisch parlierend - viele kommen aus dem Land des umstrittenen Gründers Marcel Lefebvre. Schon aus diesem Grund dürfte sich Rimmels Nachfolger Nikolaus Maier in Wigratzbad wohlfühlen. Der 42-jährige Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Rennertshofen wird in Kirchenkreisen als "sehr konservativ" und mit einem Faible für den lateinischen Ritus geschildert.

Zwei Schwestern, eine Nonne aus dem nahen Wangen und eine Dame im grünen Strick aus Kisslegg, treffen sich hier regelmäßig zum Beten. Ihre Namen wollen sie nicht nennen: "Sonst werden wir ja wieder als konservativ verschrieen". Nur so viel: "An diesem Ort findet man mehr Erhörung, hier kann man schön beten, man spürt die besondere Kraft der Mutter Gottes." Außerdem fühlen sich die beiden Schwestern hier von anderen störenden Elementen nicht behelligt: "In anderen Kirchen mischen die Frauen so stark mit. Sie sollten aber lieber nur Verwaltungsarbeiten erledigen." Die beiden Frauen ziehen weiter auf dem Jubiläumsweg, Vollkommener Ablass steht an.

Im Klosterladen der "Dienerinnen Christi" ist Schwester Graciella traurig, dass das Buch "Sieg der Sühne" verboten wurde. "Wir haben es gut verkauft." Zweimal im Monat ist Sühnenacht in der 1975 in Stahlmontage errichteten Kirche, die wie eine Zeltstadt in rot und grün aussieht. Proppenvoll mit Pilgern ist die

Sühnekirche dann. Auch über Ostern werden 24 Stunden lang Messen, Rosenkränze, Skapulierauflegungen zum Schutz vor Unbill angeboten. "Ich werde alle in meine Gebete einschließen", sagt Schwester Graciella.

© SZ vom 23.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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