Wahlplakate:Stilbrüche gegen den Einheitsbrei

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Überall hängen Wahlplakate - wie die wirken, erklärt Mediensoziologe Stefan Selke im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Christoph Agel

sueddeutsche.de: Herr Selke, welches Plakat zur bayerischen Landtagswahl 2008 fällt Ihnen als Erstes auf?

Keine Partei könne es sich derzeit leisten, auf Plakate zu verzichten, sagt Stefan Selke. (Foto: Foto: www.dm.fh-furtwangen.de)

Stefan Selke: Das der SPD mit dem Slogan "77 % der Bayern sind für Mindestlöhne. Na, dann wählt doch auch so! Viele Grüße, SPD" - obwohl es am wenigsten plakatförmig ist.

sueddeutsche.de: Warum bleibt gerade dieses bei Ihnen hängen?

Selke: Es ist untypisch, weil es nur Text enthält. Außerdem ist es sehr einprägsam wegen des Umkehrschlusses, der provozierend und mutig ist.

sueddeutsche.de: Schaut man sich aktuelle Plakate zur bayerischen Landtagswahl an, dann fällt eine bunte Mischung in der Gestaltung auf. Welche Formen der Darstellung gibt es?

Selke: Bildplakate, in denen der Text nur eine Nebenrolle spielt, und reine Textplakate. Bei Letzteren ist ungewöhnlich, dass sie keine symbolischen Sinnformeln enthalten, also Bilder, die archetypische Werte ansprechen. Ein Beispiel für solche Werte bietet das Plakat der CSU, das die Familie als sozialen Ort betont. Zusammenhalt und die Nähe des Politikers zum Volk werden darauf vermittelt.

sueddeutsche.de: Gibt es Gemeinsamkeiten im Design?

Selke: Die Kreativität der Produzenten spielt sich oft in den Vordergrund - auf Kosten der Effektivität. Produzenten verletzen dann die klassische Werberegel "Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler". Zweitens: Das Plakat gefällt den Auftraggebern, nicht den Betrachtern. Der lebensweltliche Bezug fehlt. So entsteht Distanz zwischen Politik und Volk. Drittens: Die Textaussage steht oft im krassen Gegensatz zu dem, was gerade den öffentlichen Diskurs ausmacht. Das wirkt lächerlich und irritierend, ist kontraproduktiv. Die Glaubwürdigkeit ist gefährdet. Schließlich leiden Wahlplakate darunter, dass sie - unter soziodemographischen Aspekten - nicht zielgruppenorientiert sind. Sie sprechen lediglich (vermeintliche) Wählermilieus an.

sueddeutsche.de: Ist ein kreativ designtes Plakat per se erfolgreich?Beispielsweise das von der SPD mit Weißwurst und Maß zum Thema Genfood.

Selke: Ob ein Plakat zum Erfolg - also zur Wahl der Partei - verhilft, kann niemand seriös beurteilen. Man kann lediglich auf Akzeptanz schließen. Ich denke, dass sich die bayerischen Wähler davon angesprochen fühlen. Es gibt eine kulturspezifische Ästhetik und auch eine landesspezifische Kultur. Hier in Bayern ist es doch ganz klar, dass regionale Identität und die Region angesprochen werden, weil wir so etwas wie eine Renaissance des Regionalen erleben. Dafür gibt es Ikonen wie die Brezen und die Weißwurst.

sueddeutsche.de: Das ist ein spezieller Fall, aber was gilt generell: Bringt es der knackige Spruch oder das ausgefallene Bild? Welchen Stellenwert hat die inhaltliche Botschaft?

Selke: Die inhaltliche Botschaft - der Text - sollte auf Wahlplakaten eher der Differenzierung dienen. Ein Problem, denn Plakate sind keine Freunde von Nebensätzen. Der Text dient oft der Umdeutung, lässt sich für Sprachspiele, Verunglimpfungen und Gegenbotschaften nutzen. Das Visuelle hingegen dient der Emotionalisierung. Will man Aufmerksamkeit erzielen, geht es darum, wie man dosierte Stilbrüche einbaut. Eigentlich sind die aber in Plakatwerbung mit politischem Inhalt bei uns tabuisiert.

sueddeutsche.de: Können sie dennoch sinnvoll eingesetz werden?

Selke: Ich glaube, dass geregelte, dosierte, quasi homöopathische Stilbrüche die einzige Chance sind, um aus dem Einheitsbrei der Wahlplakat-Kost herauszukommen.

sueddeutsche.de: Man muss also erst visuell Aufmerksamkeit erzeugen, um Inhalte zu vermitteln?

Selke: Ja, darüber müssen sich die Werber in den Agenturen den Kopf zerbrechen. Trotz einer kurzen Betrachtungsdauer muss die Anregung - und Aufregung - funktionieren.

sueddeutsche.de: Was hat sich im Vergleich zu früheren Zeiten geändert?

Selke: Es gibt weniger bis keine Ironie. Man sieht auch im Vorfeld der Bayernwahl, dass man sich sehr stark auf Sachinhalte konzentriert. Und: Es gibt nicht mehr diese klassischen Lager, die man minimalistisch und praktisch auf Knopfdruck ansprechen kann. Das Textlastige vergangener Zeiten sehe ich in einigen Plakaten zur Landtagswahl - in der Gegenwart eher einer Ausnahme.

sueddeutsche.de: Ein Rückfall in alte Zeiten?

Selke: Nein, aber es ist ein Ausprobieren neuer Aufmerksamkeitsgeneratoren. Man verzichtet auf Ornamente und "hypnotische Redundanz", die das CSU-Familienplakat nutzt, und bei der Politikerköpfe austauschbar sind.

sueddeutsche.de: Wie sieht es mit der Professionalisierung aus?

Selke: Früher waren Plakate einfacher, und - rein gestalterisch - schlechter gemacht. Politik und politische Inhalte bekommen mittlerweile den Charakter einer Ware und werden professionell beworben.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielen Personen noch?

Selke: Der Kult um sie hat bei dieser Landtagswahl abgenommen.

sueddeutsche.de: Weil es weniger "Typen" gibt?

Selke: Ja vielleicht. Ich erinnere nur an das Plakat mit Helmut Kohl, das als einziges jemals ohne Text ausgekommen ist. Kohl in der Menschenmasse, kein Text, kein Logo. Bei der letzten Bundestagswahl hat man klar auf Schröder als Typen gesetzt. Gerade auf Landesebene gibt es einen solchen Typen nicht mehr. Es wäre wohl auch kontraproduktiv, einen Menschen so in den Mittelpunkt zu rücken, weil er sich mit seinen Aussagen auch auf ein Hochseil begibt.

sueddeutsche.de: An welcher Stelle liegt die Grenze des guten Geschmacks?

Selke: Vorab: Die Plakate zur Bayernwahl sind harmlos - quasi "aus dem Drogeriemarkt". Man weiß, was man bekommt. Maximal wird die Maß Bier pink eingefärbt. In der Konsumwerbung wird viel mehr mit schlechtem oder vermeintlich schlechtem Geschmack und Stilbrüchen gearbeitet. Da gibt es teilweise inszenierte Tabubrüche. In der Politik eben nicht, weil der Bumerang-Effekt zu groß ist.

sueddeutsche.de: Wann ist die Grenze des guten Geschmacks überschritten?

Selke: Ein direkter Angriff auf den Gegner oder sexistische Äußerungen gehen in der Politik nicht. Ironische Distanz und Selbstironisierung hingegen könnte man ausloten.

sueddeutsche.de: Warum wird eine Kampagne geändert?

Selke: Emotionalisierung geht das eine oder andere Mal nach hinten los. Dann müssen sich die Kampagnenmacher dem öffentlichen Druck beugen. Was ich eher sehe ist, dass man Plakate nicht ausreichend testet, bevor sie aufgehängt werden. Die Bedeutung eines Bildes liegt nicht im Motiv allein, sondern wird durch den Kontext, in dem es wahrgenommen wird, erzeugt.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt der Ort, an dem ein Plakat hängt? Ist es beispielsweise wichtig, nahe eines Kindergartens oder einer Schule auf die Familie zu setzen?

Selke: Der Ort ist mitentscheidend. Spezifische, mikrogeographische Aussagen darüber, wo welches Plakat in welcher Größe aufzuhängen ist, kann man nur äußerst schwer treffen. Allgemein gesagt hängen Plakate meistens dort, wo man stoppen muss und in eine bestimmte Richtung schaut.

sueddeutsche.de: Warum wird überhaupt plakatiert? Lohnt sich der Aufwand?

Selke: Ja, denn Plakate wirken als visuelle Telegramme, überzeugend und emotionalisierend. Man nimmt sie zwangsläufig im Vorbeigehen wahr, denkt nicht darüber nach. Plakate reduzieren, informieren und ermöglichen Identifikation. Die Betrachter können über sie reden. Es gibt keine digitale Kluft. Plakate kommen vielleicht auch der Politikverdrossenheit entgegen, indem sie vereinfachen. Keiner will der Erste sein, der auf Plakate verzichten möchte. Im Moment kann sich das auch keine Partei leisten.

sueddeutsche.de: Welche Partei hat vor der Bayernwahl 2008 die cleversten Designer?

Selke: Wahrscheinlich die CSU mit ihrem Familien-Plakat, weil sie auf jegliche Experimente verzichtet und die Erwartungen erfüllt. Wahrscheinlich gefällt das den Wählern. Für eine ausführliche Betrachtung ist dieses Plakat langweilig, aber es enthält eine wirksame symbolische Sinnformel, vermittelt archaische Werte: Stabilität, Nähe, Sicherheit, die Familie als Gemeinschaft.

Stefan Selke ist seit April 2008 Professor für Mediensoziologie an der Hochschule Furtwangen University. Er ist Mitbegründer des Image, Space and Interaction Center (ISIC). Dort wird bildwissenschaftliche Forschung mit Hilfe innovativer Technologien in den drei Bereichen Bild, Raum und Interaktion betrieben.

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