Verdiente Parlamentarier:Verlorene Sachkompetenz

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Zahlreiche Sozial- und Gesundheitspolitiker haben nicht mehr für den Landtag kandidiert. Die Ausscheidenden haben trotz parteipolitischer Differenzen auch gemeinsam einiges erreicht. Einig sind sie sich darin, dass die AfD im Landtag keine Bühne bekommen dürfe

Von Dietrich Mittler

Es fällt schwer, sich Joachim Unterländer nicht verbindlich, sondern ausnahmsweise einmal grimmig, laut und fordernd vorzustellen. Der 61-Jährige - er ist bis zum Zusammentritt des neugewählten Landtags noch sozialpolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion - widerspricht umgehend. Aber eben doch sehr freundlich. Zugegeben, meint er dann, Streit sei nicht seine "vorrangige Art, Konflikte zu lösen". Vielleicht lag es mit an seinem Wesen, dass sich Sozialpolitiker aller Parteien offen und gesprächsbereit aufeinander zubewegten. "Durch ihn als Ausschussvorsitzenden hat sich der Sozialausschuss sehr von anderen Landtagsausschüssen unterschieden", heißt es etwa bei den Grünen. Unterländer hört nun nach 24 Jahren auf - und mit ihm weitere profilierte Sozialpolitiker: Hermann Imhof (CSU), Angelika Weikert (SPD), Christine Kamm (Grüne).

Klar ist: Mit ihrem Weggang geht viel Sachkompetenz verloren, und ihre Nachfolger werden es nicht leicht haben, sich im Politikbereich Soziales zu profilieren. Der gilt im Landtag nicht gerade als Karrieresprungbrett. Dennoch stehen in der CSU für die Nachfolge bereit: Thomas Huber, Gerhard Hopp und Steffen Vogel.

Auch im Gesundheitsbereich lässt sich durchaus von einer Zäsur sprechen: Dort beenden Kathrin Sonnenholzner (SPD) und Ulrich Leiner (Grüne) ihre Landtagslaufbahn. Kürzlich erst hatten Leiner und Sonnenholzner im BR-Funkhaus sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, was sie von der bisherigen Gesundheits- und Pflegepolitik der CSU halten: nicht unbedingt viel, weil aus ihrer Sicht den Problemen hinterherhinkend und im Großen und Ganzen ohne ein Gesamtkonzept.

Was Joachim Unterländer betrifft, er hätte den Kritikern umgehend Vieraugengespräche angeboten. In aller Öffentlichkeit geäußerte Kritik an der eigenen Partei unwidersprochen zuzulassen oder gar nach außen zu tragen, das war nicht Unterländers Sache. Gleichwohl aber zählt er zu den wenigen in seiner Partei, die das "C" für christlich und das "S" für sozial glaubhaft vertreten haben. Sein Ziel, so sagt er, sei stets gewesen, "die CSU als soziale Volkspartei mitzugestalten, für sozialen Ausgleich in der Gesellschaft" einzutreten. Und das streng orientiert an den Prinzipien der katholischen Soziallehre.

Gleiches lässt sich von Hermann Imhof behaupten - obgleich der 65-jährige Franke im Naturell das Kontrastprogramm zu Joachim Unterländer darstellt: kämpferisch, drängend, überaus selbstbewusst und notfalls auch den Eklat mit mächtigen Parteifreunden nicht scheuend. Dazu könnte Markus Söder einiges sagen, wenn er denn wollte. Auch wenn Söder von Imhof dessen Stimmkreis Nürnberg Ost übernommen hat, das Verhältnis der beiden ist, höflich ausgedrückt, nicht spannungsfrei. In der öffentlichen Wahrnehmung blieb das nicht unbemerkt. Als Imhof - seit 2003 im Landtag - sagte, dass mit dieser Legislaturperiode seine Landtagskarriere ende, kommentierten das Nürnberger Bürger im Internet mit Worten wie "Hab ich schon immer gewusst: Imhof wäre der bessere Söder. Schade, dass er abtritt." Oder: Eine CSU seiner Prägung wäre "unter Umständen eine wählbare CSU".

Die zurückliegenden fünf Jahre war Imhof der Patienten- und Pflegebeauftragte der Staatsregierung, ernannt vom damaligen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Ein Amt, das er als Verpflichtung auffasste, für Opfer von Behandlungsfehlern und für pflegebedürftige Menschen einzutreten sowie auch für deren überlastete Angehörige. Letztlich wurde er so zum Thinktank der Staatsregierung, etwa was die dringend nötige Aufstockung der Kurzzeitpflegeplätze betrifft. Ein Vorstoß, mit dem sich nun andere schmücken, was Imhof sauer aufstößt. Lob kommt indes von der anderen Seite, etwa vom Grünen Ulrich Leiner, der sagt, CSU und Staatsregierung wären gut beraten, "wenn sie mehr auf den Patientenbeauftragten hören würden".

Sowohl Leiner, der erst 2013 in den Landtag gewählt worden war, als auch Imhof treten jetzt von der politischen Bühne ab. Gleiches gilt auch für Angelika Weikert aus Nürnberg, die 15 Jahre lang im Landtag für ihre sozialen Ziele eintrat, politisch geprägt durch ihr gewerkschaftliches Engagement. 15 Jahre SPD-Opposition im Maximilianeum, das bedeutet letztlich 15 Jahre im Schatten der CSU. Weikert widerspricht: "Ich habe immer mit den Wohlfahrtsverbänden zusammengearbeitet, und gemeinsam haben wir politisch schon etwas bewegt." Dann gab es ja auch kurzfristig Koalitionen, die keiner auf den ersten Blick erwartet hätte. "Einer meiner größten Erfolge war, dass ich gemeinsam mit dem Kollegen Hermann Imhof die Berufsintegrationsklassen für junge Flüchtlinge an den Berufsschulen in Nürnberg eingeführt habe. Und die sind jetzt ein Erfolgsmodell für ganz Deutschland", sagt die 64-Jährige. Weikert ist bereits dabei, ihr Landtags- und ihr Bürgerbüro auszuräumen. Bis zum 5. November muss das geschafft sein. Christine Kamm von den Grünen hat das, wie auch Unterländer und Imhof, noch vor sich. Kamms Name verbindet sich insbesondere mit ihrem Einsatz für Asylbewerber, mit ihrem Kampf dafür, dass Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht werden, hier eine Berufsausbildung machen oder durch Arbeit selbst zu ihrem Unterhalt beitragen können. 2003 war sie erstmals in den Landtag gewählt worden. Vor ihrer Tätigkeit im Sozialausschuss vertrat die nun 65-jährige Diplomökonomin grüne Positionen zunächst im Innenausschuss, im Europaausschuss und in der Datenschutzkommission. Um ihre Nachfolge macht sich Kamm dank der für die Grünen vielversprechenden Wahlprognosen keine Sorgen: "Kerstin Celina wird die Arbeit im Sozialausschuss in bewährter Weise fortsetzen", sagt sie.

Mehr bangen müssen die Sozialdemokraten, was Angelika Weikert durchaus eingesteht. "Wir werden bald sehen, wie viele Abgeordnete wir noch haben", sagt sie. Aber Doris Rauscher, die derzeitige sozialpolitische Sprecherin der SPD, habe "einen relativ guten Listenplatz". Auch Diana Stachowitz drückt Weikert die Daumen, dass diese sich weiterhin im Landtag für Menschen mit Behinderung einsetzen kann.

Kathrin Sonnenholzner, die nach drei Legislaturperioden im bayerischen Landtag nicht mehr zur Wahl antritt, ist sich indes gewiss, dass ihre Parteifreundin Ruth Waldmann für die SPD im Gesundheitsausschuss die Fahne hochhält. Sonnenholzner hat mit dem Sachverstand einer approbierten Ärztin in diesem Ausschuss, den sie seit 2013 auch leitete, Bayerns Gesundheitspolitik mitgeprägt - souverän, kompetent und durchaus auch mit der Fähigkeit ausgestattet, Dampfplauderern im Parlament die Leviten zu lesen. Letztlich, so ihr Resümee, seien viele SPD-Anträge umgesetzt worden.

Einig sind sich die Ausscheidenden trotz aller parteipolitischer Differenzen in einem Punkt: "Wir Demokraten müssen enger zusammenrücken", sagen sie übereinstimmend. Die AfD dürfe im Landtag keine Bühne bekommen. Auch das eint sie: Sie haben konkrete Pläne für die Zukunft. Imhof etwa macht demnächst eine Ausbildung als Hospizhelfer und freut sich wie Sonnenholzner, endlich mehr Zeit für die Familie zu haben. Übrigens: Nicht nur Ministerpräsident Markus Söder und der Grünen-Spitzenmann Ludwig Hartmann, sondern auch Hermann Imhof und Ulrich Leiner wollen miteinander wandern gehen. Spaß daran werden eher Letztere haben.

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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