Uwe Mundlos in Straubing:Einem Täter auf der Spur

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August 1994, ein lauer Sommerabend. In Straubing versammeln sich Neonazis zum Weiherfest. Unter ihnen: Uwe Mundlos, später Mitglied der rechtsextremen Gruppe NSU, die mordend durch Deutschland zog. Ein Augenzeuge erzählt.

Mike Szymanski

Als das Auto auf den holprigen Feldweg einbiegt, werden bei Ludwig Schmid die Erinnerungen an die Sommernacht vor 18 Jahren plötzlich wieder sehr lebendig. Der ehemalige Polizist schaut aus dem Fenster, blickt kurz nach rechts, blickt kurz nach links. Die Orientierung ist sofort wieder da. Die Straße nach Öberau gab es damals schon. Jetzt zeigt er mit dem Finger nach vorne. "Dort lang", sagt der 72-Jährige entschlossen.

Feierte einst in Straubing: Der spätere Rechtsterrorist Uwe Mundlos. Das Kiesgrubentreffen ist die erste aktenkundige Spur der späteren Mörder, die nach Bayern führt. (Foto: dpa)

Ludwig Schmid war am Abend des 6. August 1994 schon einmal hier. Es war ein warmer Tag, so wie heute. Straubing war in Volksfeststimmung, in ein paar Tagen sollte das Gäubodenfest beginnen, das die ganze Stadt einmal im Jahr in Aufregung versetzt. Aber der Polizeibeamte Schmid hatte an diesem Samstagabend andere Sorgen.

Er hatte eigentlich Feierabend, aber gegen zehn Uhr klingelte bei dem Dienststellenleiter daheim das Telefon. Der Kollege F. war am Apparat, und er berichtete, nordwestlich der Donauschleuse, in einem schwer einsehbaren Gelände einer Kiesgrube, hätten sich Neonazis zu einer Feier am Lagerfeuer getroffen.

Solche Weiherfeste von Rechten waren für die Beamten damals nichts Ungewöhnliches. Alle paar Wochen versammelte sich die Neonazi-Szene aus Straubing zu solchen Abenden. Sie waren längst zu einem Problem geworden. "Ich komme und schaue mir das an", sagte Schmid.

Dass er an diesem Abend Uwe Mundlos begegnen würde, neben Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt der dritte Rechtsterrorist des späteren NSU-Trios, das jahrelang in Deutschland morden würde, konnte er natürlich nicht ahnen. Das Kiesgrubentreffen ist die erste aktenkundige Spur der späteren Mörder, die nach Bayern führt. Gespenstisch war die Nacht aber auch ohne diese Erkenntnis.

"Das Blut muss fließen"

"Hier anhalten", sagt Schmid jetzt. Rechts der Straße erhebt sich eine Böschung. Schmid steigt aus und stapft ein paar Schritte durchs hohe Gras, bevor er in die Hocke geht. Hier haben er und seine Kollegen sich damals versteckt. In seinem Bericht über den Einsatz von 1994 hielt er später fest: "Wir haben unsere Fahrzeuge verdeckt abgestellt und sind zu Fuß zu der Stelle gegangen, wo der Feuerschein durch den dichten Baum- und Buschbewuchs zu sehen war."

Aus etwa 30 Metern Entfernung beobachten sie das Treiben der etwa 30 Neonazis. Sie hatten ein Tisch aufgestellt und einige Bänke, vier Fässer Bier hatten sie mitgebracht und einen Grill. Am Nachmittag ging die Feier schon los, einige der Rechten gaben später in den Vernehmungen an, schon reichlich betrunken gewesen zu sein. Als es langsam dämmerte, legte einer von ihnen eine Kassette ins Autoradio und spielte Rechtsrock ab. Die Musik sei dann immer lauter geworden, erzählt Schmid.

In seinem Bericht notierte Schmid: "Dann gegen 23.15 Uhr hob plötzlich ein Gesang an, in den fast alle zu beobachtenden Teilnehmer einstimmten." Er hatte Mühe, sich den Text zu merken, aber ein paar Fetzen konnte er sich einprägen: "Das Blut muss fließen" . . . "Und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik" . . . "Das Messer flutscht in den Judenleib". Und dazu machten die Neonazis Stoßbewegungen mit der Hand. Schmid hat sich jetzt wieder aufgestellt und macht die Bewegungen nach, einen Hieb nach dem anderen. "Im Lichtschatten des Lagerfeuers sah das aus wie beim Schattentheater", erzählt er. Unheimlich, fand Schmid.

Ihm war klar, er und seine Kollegen müssten etwas tun. Der Liedtext erfüllte den Tatbestand der Volksverhetzung. Er und seine Kollegen zogen sich kurz zurück und trommelten die Polizeibeamten aus der Umgebung zusammen, die jetzt noch im Einsatz waren, um die Neonazis zu kontrollieren. Uwe Mundlos gehörte nicht zur Straubinger Neonazi-Szene.

Die Beamten aus Bayern kannten den 20-jährigen Mann aus Jena nicht, der zu der Zeit seinen Wehrdienst in der Kyffhäuserkaserne in Bad Frankenhausen ableistete. Er war einer der Gäste von auswärts. In der Szene pflegte man die Kontakte. Mundlos war mit zwei Kumpels aus Ostdeutschland angereist.

Es waren Treffen wie dieses in Straubing und die Teilnahme bei Aufmärschen, wodurch Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aufgefallen waren, bevor sie Ende der 90er-Jahre den Plan gefasst haben sollen, als Gruppe aus dem Untergrund heraus Mordanschläge zu verüben. Zehn Tote, allein fünf Morde in Bayern, werden ihnen zugerechnet. "Ich hätte niemals gedacht, dass jemand aus diesem Kreis zu solchen Taten fähig sein würde", sagt Polizist Schmid heute.

Es ist nicht so, dass er die Neonazis für harmlos gehalten hatte, erst recht nicht nach dieser Nacht. Gerade in Straubing war die Szene aktiv. Nach damaligen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes wurde sie zu diesem Zeitpunkt schon von Sascha Roßmüller angeführt, der heute Vizechef der NPD in Bayern ist. "Jeder hat gewusst, dass es eine rechte Szene in Straubing gibt", sagt Schmid. Aber wirklich eindämmen konnten sie deren Aktivitäten nicht. Alle paar Wochen zogen sich die Neonazis zu ihren Weiherfesten an entlegene Orten zurück, skandierten "SS, SA, Bavaria" - die Kontrollen durch die Polizei schreckten die Rechten nicht wirklich ab. Auch in jeder Augustnacht 1994 nicht.

"Nachdem die Polizei weg war, feierten wir weiter"

Es war schon nach Mitternacht, als Schmid und seine Kollegen einschritten. Sie nahmen die Personalien auf, durchsuchten Jacken und Hosen und die Autos. Wer sich nicht ausweisen konnte, musste mit aufs Revier. Gegen alle Teilnehmer der Feier wurde wegen des Verdachtes der Volksverhetzung ermittelt.

Am Ende mussten sich nur wenige von ihnen vor Gericht verantworten. Allen anderen konnten die Ermittler nicht nachweisen, das Lied mitgesungen zu haben. Die Verfahren wurden eingestellt - auch das gegen Mundlos. "Ich habe selber von der Musik nichts mitbekommen", hatte er damals in der Vernehmung angegeben. "Nachdem die Polizei weg war, feierten wir weiter."

Schmid ist jetzt schon seit 2001 im Ruhestand. In seiner Küche liegt das Grundgesetz neben dem Rätselbuch. Auch er hat wie viele seiner Kollegen Mühe zu begreifen, dass die Ermittler das Terrortrio nicht früher haben stoppen können. Es ist schon ein paar Monate her, dass Schmid in seinem Hobbykeller saß und im Radio hörte, dass die NSU-Terroristen auch in Bayern auffällig geworden waren. Als Straubing als Tatort fiel, wurde er plötzlich ganz aufmerksam.

Bald darauf traf er einen Kollegen von früher, der auch davon gehört hatte. "War das die Sache von draußen in der Kiesgrube?", fragten sie sich. Sie waren einem der späteren Täter ganz nah.

© SZ vom 22.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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