Urteil im Krankenschwester-Prozess:Der schreckliche Fremde

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Sogar sein Anwalt hatte auf das höchste Strafmaß plädiert - Jochen Sonnleitner muss lebenslang hinter Gitter, weil er eine Krankenschwester umgebracht hat. Ein Psychiater versucht zu erklären, was den Normalo zum Mörder machte.

Hans Holzhaider

Der Mordfall Monika Fischer ist aufgeklärt, daran gibt es keinen Zweifel. Jochen Sonnleitner, 36 Jahre alt, ein Schreiner von Beruf, hat ein umfassendes Geständnis abgelegt, er hat die Tat in allen Einzelheiten geschildert, alle Spuren und alle Zeugenaussagen bestätigen die Glaubwürdigkeit seiner Darstellung.

Jochen Sonnleitner, Mörder einer Mutter von zwei Kindern: "Er erzählt von der Tat, als ob es die Tat eines Fremden wäre." (Foto: Foto: AP)

Die Polizei kann die Akte schließen, das Gericht hat sein Urteil gesprochen: Lebenslange Haft, besonders schwere Schuld, Sicherungsverwahrung. So hat es der Staatsanwalt beantragt, und nicht einmal Sonnleitners Verteidiger, der Rechtsanwalt Herbert Gabler aus Pegnitz, hat auch nur den kleinsten Versuch unternommen, seinem Mandanten wenigstens die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld zu ersparen.

Was löste die Explosion von Gewalt aus?

Und doch bleibt das eigentliche Rätsel dieser Tat ungelöst: Was hat in diesem gänzlich unauffälligen, scheinbar mustergültig angepassten Mann die plötzliche Explosion von Gewalt ausgelöst?

Er war in einer Zwangslage, er brauchte dringend Geld. Er überfällt die Krankenschwester Monika Fischer, die am frühen Morgen mit ihrem Auto unterwegs zur Arbeit ist.

Er bedroht sie mit einem Messer, nötigt sie, an zwei Geldautomaten insgesamt 1200 Euro abzuheben, mehr braucht er nicht, er könnte sie jetzt einfach laufen lassen - und dann entschließt er sich, sie zu vergewaltigen, und die Vergewaltigung eskaliert zum Mord.

Norbert Nedopil, Professor für forensische Psychiatrie in München, hat 15 Stunden lang mit Jochen Sonnleitner gesprochen, das ist mehr Zeit, als er normalerweise für die Exploration eines Angeklagten aufwendet.

Der Fall hat Aufsehen erregt: Jochen Sonnleitner hat vor sieben Jahren eine nahezu identische Tat begangen, und er hat während seiner Haftzeit vier Jahre lang an einer Therapie für Sexualtäter teilgenommen.

"Man hat alles ordentlich mit ihm gemacht, was in den Büchern steht", sagt Nedopil - aber das hat nicht genügt.

Das Urteil des Psychiaters

Es gibt ganz offensichtlich einen Bereich in der Persönlichkeit von Jochen Sonnleitner, den die Therapeuten nicht erreicht haben. "Er führt eine Art Doppelleben", sagt Nedopil. "Als ob er eine undurchdringliche Maske trüge - undurchdringlich auch für ihn selbst."

Der Psychiater kann zumindest eine Art Modell skizzieren - "eine Spekulation", sagt Nedopil, allerdings gestützt auf große Erfahrung und auf das, was er in 15 Stunden intensiver Arbeit aus Jochen Sonnleitner herausgefragt hat.

Der Lebenslauf - auf den ersten Blick unauffällig wie der Mann selbst. Hauptschulabschluss, Schreinerlehre, durchaus erfolgreich im Beruf, eine Freundin, mit der es wieder auseinanderging, aber die zweite Freundin heiratet er, kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes.

Das ist im Juli 2000, Jochen Sonnleitner ist 29 Jahre alt. Ein halbes Jahr später überfällt er zum ersten Mal eine Frau, nötigt sie zur Herausgabe ihrer Scheckkarte - und vergewaltigt sie danach.

"Die anderen wissen mehr als ich"

In dieser scheinbar unauffälligen Biographie gibt es, sagt der Psychiater, "eine Reihe sehr belastender Ereignisse". Der Vater verließ die Familie, als Jochen geboren wurde - angeblich, so erzählte es die Mutter, weil er kein zweites Kind mehr wollte. Aber im Dorf wurde etwas anderes gemunkelt: Jochen sei gar kein eheliches Kind, und das sei der Grund für die Trennung der Eltern gewesen.

"Ich hatte immer das Gefühl", sagt Sonnleitner, "die anderen wissen mehr als ich." - "Sie wissen es also bis zum heutigen Tag nicht?", fragt der Vorsitzende. "Nein", antwortet der Angeklagte.

Aufgewachsen ist er im Haushalt der Großeltern. Seine Mutter, eine Metzgereiverkäuferin, bekam er kaum zu Gesicht. Der Großvater, ein Viehhändler, war launisch und gewalttätig, es gab noch eine Tante, "ein Mannweib", die auch oft zuschlug - "es fehlte ihm eine eigene Bezugsperson", fasst Nedopil die Situation des Kindes zusammen.

Es kommt hinzu: Jochen Sonnleitner ist weit überdurchschnittlich intelligent, aber er leidet an einer Lese-Rechtschreibschwäche, die der Großvater mit Schlägen zu kurieren versuchte. Die ältere Schwester wurde aufs Gymnasium geschickt, Jochen blieb auf der Hauptschule.

"Gab es in Ihrer Kindheit irgendeine Frau, die Sie mochten?", fragt der Psychiater. Der Angeklagte denkt nach, er hat eine vage Erinnerung an eine Kindergärtnerin, sonst fällt ihm niemand ein. "Die Mutter, die Schwester?", schlägt Nedopil vor. "Auf gar keinen Fall", antwortet Sonnleitner.

"Innerlich zerrissen"

Seine spätere Ehefrau hat er im Fasching kennengelernt, eine Krankenschwester, wie die beiden Opfer seiner späteren Straftaten. Sie war offensichtlich der dominante Partner in der Beziehung.

Jochen Sonnleitner erzählt, wie er eine Zeitlang ziemlich viel Fußball spielte, und wie seine Freundin ihn vor die Wahl "Ich oder der Fußball" stellte. "Ich wollte mich mit dem Hobby mal gegen sie durchsetzen", sagt er, "aber ich hab' eigentlich gewusst: Sie ist stärker, ich hab' gegen sie keine Chance."

Der Streit eskalierte bis zur Trennung. "Ich hab' gewusst: Wenn ich jetzt wiederkomme, gebe ich für immer nach." Aber er kam doch wieder, und dann kam das Kind, und dann wurde geheiratet.

So war Jochen Sonnleitners Persönlichkeit und insbesondere sein Verhältnis zu Frauen durchaus zwiespältig - nach außen hin geradezu "auffällig unauffällig", wie es der Psychiater formuliert, angepasst, passiv, ordentlich.

Die zwei Seelen des Mörders

Aber dahinter gab es einen anderen Jochen Sonnleitner, geprägt einerseits von Minderwertigkeitsgefühlen und Selbstunsicherheit, andererseits von unterdrückter Aggression und dem Streben nach Dominanz. "Eine innere Zerrissenheit", sagt Nedopil, "ein Nebeneinander von sehr extremen Polen."

Und in diesem inneren Zwiespalt könnte ein Erklärungsansatz liegen für die rätselhafte Eskalation der Straftaten von der räuberischen Erpressung zur Vergewaltigung und schließlich zum Mord.

Zunächst, das ist sicherlich wahr, ging es nur um Geld. Aber als Jochen Sonnleitner sich dann der Tatsache bewusst wurde, dass er jetzt die absolute Kontrolle über eine Frau ausübte, da gewann diese andere Seite seiner Persönlichkeit die Oberhand - und im Nachhinein kann er selber nicht erklären, was wirklich geschehen ist.

"Er erzählt von der Tat, als ob es die Tat eines Fremden wäre", sagt Nedopil. Und so ist es wohl tatsächlich: Die Person, die Monika Fischer ermordet hat, ist dem Jochen Sonnleitner, der jetzt auf der Anklagebank sitzt, ein Fremder.

© SZ vom 5.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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