Umweltminister Söder:"Ich bin kein Atomfetischist"

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20 Jahre Wackersdorf: Markus Söder über die Schlachten von damals und die andere Seite der Barrikade.

M. Hägler, A. Ramelsberger

Vor genau 20 Jahren ist die Wiederaufarbeitungsanlage für atomare Brennstäbe in Wackersdorf gescheitert. Der Kampf gegen die WAA hat eine tiefe Kluft in Bayerns Gesellschaft gerissen. Jahrelang standen sich Demonstranten und Polizei gegenüber. Rund um die Schlachten von Wackersdorf starben drei Menschen, Hunderte Demonstranten und Polizisten wurden verletzt.

Demonstrationen in Wackersdorf. (Foto: Foto: dpa)

SZ: In den wilden Jahren von Wackersdorf stand eine ganze Generation am Bauzaun und kämpfte gegen die Wiederaufbereitungsanlage. Sie waren damals 20. Wo waren Sie eigentlich?

Markus Söder: Ich habe zu der anderen Hälfte dieser Generation gehört. Die einen trugen "Stoppt Strauß"-Aufkleber, wir hatten FJS-Buttons. Die einen waren gegen Atomkraft, und wir haben uns zur Bundeswehr bekannt. Jeder hat seine eigenen Demonstrationserlebnisse.

SZ: Sie hatten damals sogar ein Bild von Franz Josef Strauß überm Bett hängen.

Söder: Stimmt. Aber alles hat seine Zeit. Irgendwann stellt man die Bilder seiner Familie neben das Bett.

SZ: Das lässt hoffen. Waren Sie eigentlich wie Ihr Parteifreund Peter Gauweiler in Wackersdorf und haben den Polizisten Weißwürste gebracht?

Söder: Viele Beamte wurden damals durch gewalttätige Demonstranten verletzt. Das war auch das Problem an Wackersdorf. Friedliches Demonstrieren ist okay, aber Gewalt ist falsch. Im Übrigen habe ich Wackersdorf für eine konsequente Entscheidung gehalten. Man darf sich als Politiker nicht vor den Karren einzelner Konzerne spannen.

SZ: Waren Sie einmal am Bauzaun?

Söder: Später habe ich mir das einmal angesehen. Ich fand daran nichts beeindruckend.

SZ: Wenn Sie das CS-Gas gerochen hätten, würden Sie anders sprechen. Heute zeigen Sie sich besorgt, wenn die Tschechen Pläne für ein atomares Endlager an Bayerns Grenze vorlegen. Das hätten Sie sich vor 20 Jahren auch nicht vorstellen können.

Söder: Wir hätten von einem Endlager jenseits des Eisernen Vorhangs nur per Satellitenaufklärung erfahren. Generell gilt: Ich bin kein Kernkraftfetischist. Ich halte das für eine Brückentechnologie und eine Art Überbrückungskredit. Wir brauchen mehr Zeit zur Entwicklung regenerativer Energien. Es geht nicht mehr um ideologische Fragen wie in den achtziger Jahren. Unser Leitmotiv ist der Klimaschutz.

SZ: Ein Überbrückungskredit löst normalerweise Probleme, Ihrer schafft aber welche - und zwar massenhaft Atommüll.

Söder: Den gibt es ohnehin. Seit rund 40 Jahren wird die Kernenergie angewandt und damit entstehen auch Abfälle. Das ist Fakt, unabhängig, ob man Kernenergie will oder nicht.

SZ: Wie lange wollen Sie denn überbrücken?

Söder: Wenn wir unsere sicheren Kernkraftwerke nur jeweils um acht Jahre länger laufen lassen, sparen wir eine Milliarde Tonnen CO2 ein. Dann können wir eine unideologische Bilanz ziehen und sehen, wie weit wir mit regenerativen Energien sind. Ich glaube nicht, dass die Kernkraft ewig währt. Natürlich gibt es irgendwann einen Wechsel zu regenerativen Energien. Nur wann, das ist die Frage. Wir sind dazu noch nicht bereit. Parallel müssen wir die elektrische Mobilität weiterentwickeln. Ich will Elektromobile mit einem Tankstellennetz in ganz Bayern.

SZ: In jeder Stadt eine Ladestation?

Söder: Natürlich. Der Verkehr wird ganz anders werden. Wir fangen in München gerade an mit einigen Ladestationen. Und Sie werden erleben, dass man dann nicht mehr an einer Tankstelle tankt, sondern auf dem Parkplatz des Supermarkts, der ihr Auto mittels Solarzelle lädt. Das ist die Vision.

SZ: Sie reden wie die Grünen. Welchen Anteil an diesem Sinneswandel hat Wackersdorf?

Söder: Ehrlich gesagt: keinen. Wackersdorf war am Ende doch keine ökologische, sondern eine ideologische Debatte. Entweder man war für oder gegen die WAA. Damals ging es nicht um Klimaschutz. Das ist der Unterschied zu heute. Im Übrigen soll es ja manchen extrem militanten Demonstranten gegeben haben, der sogar aus dem Osten unterstützt wurde.

SZ: Sie wollen uns jetzt nicht erzählen, dass der Widerstand in Wackersdorf von der Stasi unterwandert war und der protestierende SPD-Landrat Schuirer am Ende ein Agent?

Söder: Das kann ich mir nicht vorstellen.

SZ: Ganz scheint die Ideologie noch nicht aus Ihnen gewichen zu sein. Strauß hat Hans Schuirer als "Steigbügelhalter des Kommunismus" bezeichnet.

Söder: Damals war Politik anders. Es gab klare Freund-Feind-Bilder. Die emotionale Sichtweise hat viele junge Menschen motiviert, sich politisch zu engagieren.

SZ: Viele haben das mit dem Wert der Umwelt aber schon früher kapiert. Sind Sie ein Spätzünder, Herr Söder?

Söder: Die Welt dreht sich ja weiter. Mich hat meine Familie geerdet, meine Frau und die Kinder. Wer 20 Jahre in denselben Schablonen denkt, entwickelt sich zurück. Die Bewahrung der Schöpfung ist ohnehin ein urkonservatives Anliegen.

SZ: Nun halten viele Bürger in Bayern sogar eine schwarz-grüne Koalition für möglich. Sie auch?

Söder: Ich würde mir wünschen, dass dieses Land wieder reif wird für eine absolute Mehrheit der CSU.

SZ: Ein schöner Traum...

Söder: Ich glaube, in der Politik ist alles möglich. Leider auch das Gegenteil.

SZ: Und wenn es nicht so kommt? Springt die CSU dann über ihren Schatten?

Söder: Die entscheidenden Weichen müssen die Grünen selbst stellen. Man kann nicht in Hessen für Rot-Rot-Grün optieren und sich in Bayern bürgerlich geben. Dass es manche Berührungspunkte gibt, ist doch gut für die demokratische Kultur in Bayern. Dass die Menschen heute umweltbewusster denken als vor 30, 40 Jahren, liegt sicher auch an der ökologischen Bewegung. Das hat die Union in der Vergangenheit zu wenig beachtet.

SZ: Tatsächlich schlägt die CSU noch immer die Schlachten der Vergangenheit. Sie will die Autobahn durchs Isental, versucht die Donau auszubauen, möchte eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen.

Söder: Beim Isental ist das Verfahren abgeschlossen. Bei der Startbahn muss man sorgfältig den Lärmschutz für die Anwohner prüfen. Bei der Donau überwiegt der ökologische Schaden deutlich den ökonomischen Nutzen.

SZ: Und wann werden Sie Ihre Parteifreunde davon überzeugt haben?

Söder: Vor 20 Jahren war ich für die WAA in Wackersdorf, und ich habe dazugelernt. Was in einigen Jahren sein wird, werden wir sehen. Ich hoffe dabei auf das Beste für die Donau.

© SZ vom 04.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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