Transplantation von zwei Armen:Ein Mann umarmt die Welt

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Vor einem Jahr bekam Karl Merk die Gliedmaßen eines Toten transplantiert - heute kann er wieder Rad fahren.

Stefan Mayr

Karl Merk braucht keine Armstützen mehr, keinen Psychologen und keinen Chauffeur. 2002 hatte der Landwirt bei einem Unfall mit einem Maishäcksler beide Arme verloren, im Juli 2008 wurden dem 55-Jährigen knapp unterhalb der Schulter zwei Arme eines Toten angenäht. Heute kann er bereits selbständig essen und Fahrrad fahren.

Patient Karl Merk mit seinem Arzt - auf dem Gepäckträger. (Foto: Foto: Reuters)

"Nein, meine neuen Arme jucken nicht", sagt Merk in seinem breiten Allgäuer Dialekt, "aber kratzen kann ich mich schon selber." Er hebt seine rechte Hand an, legt sie auf den Kopf, und zeigt ein breites Strahlen. Karl Merk ist der erste Mensch der Welt, dem die Arme eines Verstorbenen transplantiert wurden, und dieser Baum von einem Mann beeindruckt seine Ärzte sowie die zahlreichen Journalisten im Konferenzzimmer des Klinikums Memmingen gleichermaßen.

Zur Pressekonferenz exakt ein Jahr nach der 15-stündigen Operation am Münchner Universitätsklinikum Rechts der Isar sind alleine zehn Kamerateams ins Unterallgäu gereist, die Sender N-TV und N24 berichten sogar live. Karl Merk lässt den Ansturm der Fotografen und Fragesteller durchaus aufgeregt, aber mit endloser Geduld über sich ergehen.

Beinahe regungslos sitzt er auf seinem Stuhl. Sobald er einen Arm bewegt, bricht ein Blitzlichtgewitter los. Bei seinem letzten öffentlichen Auftritt im Oktober lagen seine Arme noch in mächtigen Stützen, jetzt rückt er sich bereits seinen Stuhl zurecht, verschränkt die Arme und stützt sich auf dem Tisch auf.

Ohne Schienen ist erstmals zu sehen, dass die Proportionen der Arme zum Körper nicht ganz stimmen. Die Arme scheinen etwas zu lang zu sein, die Hände zu groß. Tatsächlich war der Spender größer als Karl Merk. Deshalb musste vor der Operation auch ein Teil der Oberarmknochen abgesägt werden.

Merk selbst stört das überhaupt nicht. "Das sind meine Arme, und die gebe ich nicht mehr her", wiederholt er auf Aufforderung des Operateurs Christoph Höhnke sein Sätzchen, das bereits unmittelbar nach der OP durch die Medien ging.

"Herr Merk ist bereits viel weiter, als wir erwartet hatten", sagt Chirurgie-Professor Höhnke, der das 40-köpfige Operationsteam geleitet hatte. "Mich hat fast der Schlag getroffen, als er bei meinem jüngsten Besuch mit dem Fahrrad gefahren kam." Dann fordert er Merk auf, die "Anekdote vom Anhalter" zu erzählen.

Brav berichtet Merk, wie er auf dem Weg zur Reha einen Mann mitnahm. Als er - mit verschränkten Armen und einer Sondersteuerung an den Füßen - losfuhr, habe der Mitfahrer ein "ganz weißes Gesicht" bekommen. "Er wollte eigentlich bis Memmingen mitfahren", so Merk, "ist dann aber früher ausgestiegen."

Merks Nervenzellen wachsen Millimeter für Millimeter Richtung Fingerspitzen nach. Vor drei Wochen konnte er erstmals die Finger der linken Hand beugen. Feingefühl und Greiffunktion fehlen allerdings noch. Er kann zwar selbst essen, braucht aber noch eine Schiene, in der er das Besteck befestigt. "Nein, Kühe melken geht noch nicht", lacht Merk. Aber er würde sehr gerne wieder in der Landwirtschaft arbeiten: "Ja, ich glaube daran, dass ich das wieder schaffe." Derzeit sind die Tage noch mit Rehabilitation verplant. "Aufstehen, essen, anziehen und ab zur Physio", berichtet Merk von seinem Alltag. Jeden Tag bis um drei Uhr, nur sonntags ist frei.

Inzwischen hat Merk drei Phasen hinter sich, in denen sein Körper die Arme abstoßen wollte. Einmal entwickelte sich eine Lungenentzündung, doch er überstand diese ohne Nachwirkungen. Merk wird wohl lebenslang Medikamente einnehmen müssen, um seine Arme vor dem eigenen Immunsystem zu schützen. Eine Maßnahme, die das Risiko von Infektionen und Krebserkrankungen erhöht.

Die größeren Komplikationen seit der Transplantation spielten sich bislang zwischen den Krankenhäusern in Memmingen und München ab. "Wir hätten die Münchner Mitglieder des OP-Teams gerne auch hier gehabt", beteuert Christoph Höhnke, "aber es wurde ihnen wohl nahegelegt, nicht zu kommen."

Wo die Gründe für das angespannte Verhältnis der Klinikleitungen liegen? Höhnke: "Ich weiß es nicht, das ist mir unbegreiflich." Eine Sprecherin der Klinikums Rechts der Isar begründet das Fernbleiben damit, dass der Termin nicht abgestimmt war und erst kurzfristig mitgeteilt wurde.

Höhnke betont, er wolle für ähnliche weitere Transplantationen " Hoffnungen wecken, aber auch hohe Erwartungen dämpfen". Inzwischen habe er Anfragen aus aller Welt. Aber es sei noch kein geeigneter Fall dabei gewesen. "Das soziale Umfeld muss stimmen, und der Patient muss nach der OP zwei Jahre in unserer Nähe sein", sagt Höhnke.

Auch bei Karl Merk war Höhnke zunächst skeptisch gewesen. Doch der Bauer, der mit seinen Prothesen nie zurechtkam, blieb hartnäckig - und bereut nichts: "Ich würde es sofort wieder machen", sagt Merk, "ich fühle mich pudelwohl und genieße mein neues Leben. Nur in den ersten drei Monaten nach der OP wurde er psychologisch betreut, "das brauche ich jetzt nicht mehr".

Allerdings zeigt auch Merk durchaus Emotionen: zum Beispiel, wenn er den Angehörigen des (anonymen) Spenders dankt, weil sie der Abtrennung beider Arme zustimmten. Oder wenn er von seiner Freude erzählt, dass er seine Frau und seine zwei Töchter wieder umarmen kann. Und wenn er von seiner "1000er Kawasaki" berichtet, die in der Garage steht. "Mein Traum ist es, noch einmal mit meinen Freunden am Sonntag in die Berge zu fahren", sagt Merk. Dabei zucken seine Lider und seine Lippen zittern.

© SZ vom 23.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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