Tiergarten Nürnberg:Ich möchte kein Eisbär sein

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Hohn der Menschheit: Wenn Medientiere wie Flocke und Knut erwachsen sind, fristen sie ihr Dasein als gelangweilte Ex-Berühmtheiten.

Christian Mayer

Wer sich nur mal versuchsweise ein Bild machen will von der naturbedingten Grausamkeit des Menschen, könnte dies beispielsweise in München tun, im Tierpark Hellabrunn. Dort wohnt die bereits betagte Großmutter des einst weltberühmten Publikumslieblings namens Knut. Lisa heißt die Dame, sie ist 30 Jahre alt, und meist liegt sie allem Anschein nach frustriert in der Sonne, während die Massen sich nebenan bei den Seelöwen und Pinguinen vergnügen.

Die kleine Eisbärendame Flocke erkundet im Tiergarten Nürnberg ihr neues Revier. (Foto: Foto: AP)

Um die zuweilen etwas affige Tier-Metaphorik zu verwenden, könnte man feststellen: Nach Lisa kräht kein Hahn mehr. Wenn man, vor ihrem nackten Felsen am Isarhochufer verharrend, über das Verfallsdatum des zoologischen Starkults nachdenkt, dann versinkt man in Depression.

Das ist nun mal der Lauf der Natur: Mit den Jahren werden aus süßen, quirligen Eisbärkindern fußlahme Rentner, Tiergreise ohne höheren Unterhaltungswert. Das Fell verfärbt sich bräunlich an unvorteilhaften Stellen, und gegen die wachsende Unförmigkeit hilft kein Botox, kein Lifting. Am Ende wendet sich das Publikum ab, nicht mit Grausen, sondern mit erbarmungslosem Desinteresse.

Wie ungerecht ist es doch, dass die Leute höhnische Bemerkungen machen ("guck mal, die Oma von Knut, ist die faul"), bevor sie sich der neuesten Sensation zuwenden: Irgendeine Nachwuchskraft aus dem Raubtierhaus oder bei den Giraffen sieht mal wieder so knuffig aus wie eines jener illusionären Kuscheltiere mit dem Knopf im Ohr. Immerhin dürfen die Bären noch in Würde ein Gnadenbrot bis zu ihrem natürlichen Tod fristen, während weniger attraktive Jungtiere - mal heimlich, mal vor Augen des ergriffenen Publikums - auf dem Speiseplan der Löwen landen, wenn die Relation von Zuchttieren und Gehegefläche leider mal wieder aus der Balance geraten ist.

Die Spitze des Medien-Eisbergs

Unterdessen geht der Wahnsinn weiter. Wer gehofft hätte, der Berliner Knut sei die Spitze eines medialen Eisberges gewesen, sieht sich nun getäuscht. Auf Youtube können Fans des Nürnberger Eisbärenmädchens Flocke jeden noch so tapsigen Schritt der jungen Heldin bewundern, die bald schon keine Heldin mehr sein wird, sondern ein halb vergessener Altstar. Auf den Rest von Privatsphäre der wehrlosen Tiere nimmt ohnehin kein Mensch mehr Rücksicht.

Die Vergänglichkeit des Ruhms ist dem Publikum dabei schnurzegal: Es will puppige Jungviecher sehen, die das Herz ansprechen - am besten mit dezenten Öhrchen und Stupsnasen, Streichelfell und Baby-Schnauzen, sonst droht der rasche Liebesentzug.

Dass sich die deutschen Zoos jetzt gegenseitig Konkurrenz machen, indem sie ihren Nachwuchs jeweils als größtmöglichen Superstar verkaufen und zu renditeträchtigen Souvenirs verarbeiten, ist eine neue Entwicklung. Noch bevor die Nürnberger ihre Flocke den Kameraleuten vorführen, haben sie in einem Anfall an fränkischer Gerissenheit die Komplettvermarktung in die Wege geleitet - ein bekanntes Versandhaus in Fürth hat den Lizenzvertrag gerade unterzeichnet.

Auf knallbunten Plakaten wird Flocke mit dem Slogan "Knut war gestern" angepriesen, was an Zynismus kaum zu überbieten ist: In wenigen Monaten blüht der verhätschelten Zoo-Prinzessin ein Schicksal wie dem einstigen Berliner Überbären. Sie wird vergessen sein und schlapp wie Oma Lisa die wenigen Getreuen vor ihrer Wohnung ignorieren. Wenn ein Bär erst mal bärenstark ist, dann ist er ein armer Hund, oder es geht ihm sogar wie Braunbär Bruno, der nun in einem Münchner Museum seine letzte Bleibe gefunden hat - als ausgestopfter Honigdieb mit problematischer Vergangenheit. Aber mit solchen Typen ist die bayerische Staatsregierung ja schon immer spielend fertig geworden.

Eisbärin Flocke wird zwei Jahre alt
:Happy Birthday, Flocke

Aus dem kleinen Schneeflöckchen ist eine Flocke geworden: Kurz vor ihrem Umzug nach Frankreich feiert die Nürnberger Eisbärdame ihren zweiten Geburtstag - mit Gemüsetorte. Die Bilder.

Kurioserweise hat der industriell ausgeschlachtete Bärenwahnsinn zwei gesellschaftliche Randgruppen auf den Plan gerufen: Die Philatelisten und die Pop-Feuilletonisten. Erstere dürfen sich über das Postwertzeichen "Eisbär Knut" freuen, das am 10. April in Umlauf kommt. "Natur weltweit bewahren" steht auf der 55-Cent-Briefmarke. Gewiss wird die Welt davon profitieren, dass die verbliebenen Knut-Freunde je 25 Cent für den Schutz der Schöpfung aufwenden müssen.

Knut, der in seiner Glanzzeit Hollywood-Schauspieler hingerissen hat, bleibt somit auf einem Spitzenplatz in der Erinnerungskultur kleben. Was aus Flocke wird, wenn ihn der Nürnberger Zoo in wenigen Tagen brutal ans Licht der Öffentlichkeit zerrt, ist leider noch nicht abzusehen.

Bote der Apokalypse

Inzwischen haben es die schnuckligen Tiere ins Feuilleton der Zeitungen geschafft, wo sie sich eifrig vermehren. Es ist kein Zufall, dass kürzlich der Kulturkritiker Matthias Mattussek auf Bären-Suche ging - und im Zoo jede Menge "Kindchenschema-Verzücker" fand.

Spiegel-Mensch Mattussek sucht "Germany's Next Flocke" - das hat Fallhöhe. Messerscharf hat der Meisterblogger bei seinem Spaziergang im Tierpark Hagenbeck erkannt, dass sich die Leute weniger für Goethe als für Plüschgeschöpfe interessieren. Immerhin hat Mattussek einen Blick für das Zwiespältige der ganzen Knutomanie: "Wenn man genau hinschaut, ist der Eisbär der Bote der Apokalypse." Er meint damit nicht den Zoobewohner, sondern den einsamen Kerl draußen am Nordpol, der zusehen muss, wie die Eisberge unter ihm zusammenbrechen.

Wenn nicht mal Angela Merkel den Klimawandel aufhalten kann, dann droht den Knuts und Flockes dieser Welt wohl ewige Verdammnis in deutschen Zoos. Oder eine symbolische Existenz als Briefmarke. Und das ist wirklich mal ein Grund, den Depri-Song der Band "Grauzone" aus den frühen achtziger Jahren ein wenig abzuwandeln: "Ich möchte kein Eisbär sein. . ."

© SZ vom 02.04.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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