SZ-Serie: Vogelwuid - Ein Geier zieht aus:"Man riecht das Tier"

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Markus Leitner verbringt mit seiner Kamera jede freie Minute damit, Bartgeier und Steinadler in den Berchtesgadener Alpen zu fotografieren. Warum wartet jemand tagelang für einen einzigen Moment?

Interview von Sebastian Beck

Beruflich ist Markus Leitner beim Roten Kreuz in Berchtesgaden tätig. Seine große Leidenschaft gilt seit einigen Jahren aber der Tierfotografie. In seiner Freizeit ist er nur dann erreichbar, wenn er mal nicht im Funkloch verschwunden ist.

SZ: Auf welchem Berg sitzen Sie gerade?

Leitner: Ich bin gerade am Knittelhorn auf der Reiteralpe und schaue den beiden Bartgeier-Weibchen Bavaria und Wally seit mittlerweile schon fast neun Stunden beim Fressen zu. Sie fieseln stundenlang an einem Knochen rum, betteln sich gegenseitig an und fliegen immer kurz zwischen den Futter- und Sitzplätzen hin und her.

Klingt unspektakulär.

Langweilig wird's trotzdem nicht, denn das Wetter und die Landschaft sind gewaltig, und ich hab immer ein gutes Buch und viel Geduld dabei. Die letzten Tage waren sie bereits kurz nach Sonnenaufgang unterwegs und haben imposante Flugmanöver vorgeführt - da bin ich jetzt mit unzähligen sehr beeindruckenden Bildern mehr als nur verwöhnt.

Wenn Sie mal zusammenrechnen: Wie viele Stunden haben Sie in diesem Jahr mit dem Warten auf Vögel verbracht?

Mitunter fliegen die neugierigen Vögel, im Bild das Bartgeierpaar Wally (links unten) und Bavaria (oben), nur wenige Meter an Leitner vorbei. (Foto: Markus Leitner)

Ich war im August in einer freien Woche gleich sechs Tage hier, dann wieder am Wochenende, dann hatten wir Dauerregen und jetzt bin ich den fünften Tag auf der Reiteralpe, wobei ich eigentlich nie warte, weil die Geier sogar unterwegs auf den Steigen und Gipfeln neugierig zu einem herfliegen. Ich war jetzt die letzten vier Wochen rund 200 Stunden lang vor allem wegen der Geier und Steinadler auf der Reiteralpe - das klingt viel, mir kommt es aber nicht viel vor, weil die Zeit wie im Flug vergeht.

Und dann kommt, wenn man Glück hat, ein scharfes Foto dabei raus.

Ich hab schon auch Ausschuss, ein großer Teil der Bilder gelingt aber, wobei ich nie den Anspruch hab, ein brillantes Cover-Foto zu schießen, sondern nur das natürliche Verhalten der Tiere beobachten und für mich und andere Tierfans festhalten will. Mit der richtigen Kamera sieht man viel mehr als mit bloßem Auge. Wenn man beispielsweise mit 120 Bildern pro Sekunde und 1000 Millimeter Brennweite filmt, wie ein Grauspecht seine Zunge ausfährt und damit in einem Sekundenbruchteil Ameisen aus einem Baumloch fischt - das sieht dann fast schon außerirdisch fremd aus, weil wir es nicht gewohnt sind, so was überhaupt beobachten zu können.

Mit dem Teleobjektiv verfolgt Leitner seit Monaten Adler wie diesen hier. (Foto: Markus Leitner)

Der schönste Bartgeier-Moment?

Highlight ist sicher ein extrem naher Vorbeiflug in nur zwei Metern Entfernung auf selber Höhe im besten Licht - da kann man sich dann auf dem Foto fast schon selbst im Auge des Geiers spiegeln sehen, man riecht das Tier und spürt den Abwind vom Flügelschlag. Sehr spannend war auch ein Kampf mit dem heimischen Klausbachtal-Steinadler-Weibchen in der Luft. Die Beutegreifer haben alle ein ausgeprägtes Revierverhalten und auch viel Aggression untereinander - da gehts dann wild her!

Wie haben Sie die Tierfotografie für sich entdeckt?

Das Interesse an den Tieren hat sich immer mehr durchs Bergsteigen ergeben, da man gerade hier bei uns im Berchtesgadener Land sehr viel Zeit in einer unglaublich beeindruckenden Landschaft verbringt und immer wieder Tieren begegnet, ihr natürliches Verhalten beobachten kann. Das ist viel echter als der Großteil unseres doch recht digitalen und virtuellen Alltags.

Was haben Sie dabei für sich gelernt?

(Foto: N/A)

Echten Respekt vor der Einzigartigkeit des Lebens, besser alle meine Sinne zu nutzen und ein ganz anderes Zeitgefühl. Wir regen uns im stressigen Alltag mit seiner hohen Taktung oft über Dinge auf, die überhaupt nicht relevant sind, wobei es im Leben auf ganz andere Werte ankommt. In unserem Bezug zu den Tieren zeigt sich, wer wir als Mensch tatsächlich sind. So ein großer Raubvogel hat eine Sinneswahrnehmung, die wir uns überhaupt nicht vorstellen können. Er ist seit Ewigkeiten in dieser Form perfektioniert und nutzt eine Felsnische als Horst, die schon Adler genutzt haben, bevor das allererste Haus in der Ramsau gestanden hat. Nur weil er so ganz anders ist als wir, dürfen wir uns nicht über ihn und sein Recht auf Leben stellen.

Ganz billig ist das Hobby nicht.

Andere Leute kaufen sich ein Auto für das Geld, das eine gute Kameraausrüstung kostet. Aber mit dem Auto kann man keine Adler fotografieren. Ich seh das so: Alles was man jeden Tag hernimmt, das einem echte Lebensfreude bereitet und einzigartige Momente ermöglicht, ist jeden Cent wert. Außerdem hat sich die letzten zwei Jahre technisch so viel getan. Ich war zuvor bei manchen Tieren einfach begrenzt, da sie zu schnell oder zu weit weg waren.

Markus Leitner aus Bad Reichenhall kennt die Verhaltensweisen von Wildtieren inzwischen so gut wie nur wenige. Mehr Fotos und Videos von ihm gibt es auf seinem Instagram-Account unter "platinfisch". (Foto: Privat)

Was empfehlen Sie Anfängern?

Ohne konkrete Erwartungshaltung auf die Sache einlassen, dann passiert mehr, als man sich vorstellen kann. Kein Foto um jeden Preis machen und die Tiere respektieren, Abstand einhalten, nicht hinterherlaufen und im Zweifelsfall einfach ruhig hinsetzen, bis sich alles wieder beruhigt hat. Wenn dich das wilde Tier akzeptiert, dann kommt es von alleine näher, weil es neugierig ist oder dich nicht als Gefahr einstuft, wobei sehr viele Tiere Menschen unterscheiden können und genau wissen, wer ihnen Böses will. Tarnen bringt meist gar nichts, weil dich das Tier trotzdem sieht und nur gestresst wird, weil du dich seltsam verhältst.

Bisserl Ahnung von Technik ist auch nicht schlecht, oder?

Wichtig ist, dass man seine Kamera wie ein Musikinstrument in- und auswendig bedienen kann, die Schwächen kennt und blitzschnell mit der richtigen Einstellung reagieren kann - daran scheitern glaub ich viele. Der Fotograf macht letztlich das Bild, wobei ihm eine gute Kamera das Leben zwar leichter macht, aber nicht die ganze Arbeit abnimmt.

Was wird jetzt spannend?

Jetzt im Herbst geht dann die Brunft der Rothirsche los, die morgens und abends röhrend im Bodennebel stehen und ihre Kühe durchs Unterholz treiben. Spektakulär sind im Winter dann auch die Balzflüge der Steinadler oder anderer Raptoren, wobei die bei guter Thermik sehr hoch aufsteigen und man dann gute Augen und ein großes Tele braucht.

Ziehen Sie auch im Winter los?

Ich bin im Winter unterwegs, aber viel defensiver und mit sehr viel Abstand. Für Wildtiere bedeuten eine geschlossene Schneedecke und Minusgrade eine schwierige Zeit, in der sie besonders mit ihren Kräften haushalten müssen. Jede auch noch so kleine Störung kann da über Leben und Tod entscheiden - und egal was man sich einredet - wir stören als Menschen immer, weil wir nur Gäste im Wohnzimmer von Gams und Steinadler sind.

© SZ vom 14.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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