SZ-Serie: Dem Schnabel nach:Gefährliche Reise

Lesezeit: 3 min

Gänse fliegen an einem Kirchturm vorbei. Viele Zugvögel werden illegal gefangen und gegessen, Gänse kommen wohl öfter vom Bauernhof in den Bräter. (Foto: Ncolas Armer/dpa)

Jedes Jahr werden in Europa bis zu 50 Millionen Zugvögel gewildert, viele landen im Kochtopf oder auf dem Grill. Auch ein bayerischer Brachvogel wurde vermutlich illegal erlegt, sein GPS-Sender lieferte entsprechende Daten. Schnepfinger dagegen ist wohlauf

Von Christian Sebald

Heute soll es zuerst um das Schicksal des Großen Brachvogels Nume 25 gehen. Nume 25 - der Name leitet sich ab von Numenius arquata, dem lateinischen Namen für Großer Brachvogel - nahm wie Schnepfinger an dem Brachvogel-Forschungsprojekt des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) teil. Anders als der SZ-Vogel, der die kalte Jahreszeit an der andalusischen Atlantikküste im Nationalpark Coto de Doñana verbringt, überwinterte Nume 25 in Marokko - auf einer weitläufigen Plantage samt Zuchtstation für Rebhühner, Enten und Fasane 40 Kilometer nordöstlich von Casablanca. Und wie das für Brachvögel im ersten Lebensjahr üblich ist, wollte Nume 25 noch das Frühjahr und den Sommer im Überwinterungsgebiet verbringen. "Es muss ihm richtig gut gegangen sein", sagt der LBV-Mann Andreas von Lindeiner. "Nume 25 hat monatelang keinerlei Anstalten gemacht, dass er wegfliegen wollte."

Dann kam der 28. Mai 2018. Von einer Minute auf die andere verließ Nume 25 die Plantage, und machte sich schnurstracks ins 40 Kilometer entfernte Casablanca auf, wo er am Stadtrand eine Rast einlegte. "Wenig später flog er mehrere Wohnungen an", berichtet Lindeiner, "später ein Waffengeschäft und zuletzt einen Golfclub." So jedenfalls übermittelte es der GPS-Sender von Nume 25 an die PCs in der LBV-Zentrale im mittelfränkischen Hilpoltstein. Dort haben sie die Eskapaden des Vogels erst sehr erstaunt und wenig später äußerst irritiert beobachtet. "Uns war natürlich sofort klar, dass da etwas nicht stimmt", sagt Lindeiner. "Die einzig plausible Erklärung für Numes ,Irrflug' war, dass er gewildert worden ist und nun irgendeiner versucht hat, den GPS-Sender zu verticken."

Auch wenn man es nicht glauben mag: Wilderei und Jagd machen der Vogelwelt in Europa nach wie vor schwer zu schaffen. Und zwar nicht nur den sehr seltenen und streng geschützten Arten. Sondern ganz massiv den weit verbreiteten. Nach einer Studie der Vogelschutz-Organisation Birdlife International von 2015 werden in den Ländern rund um das Mittelmeer jedes Jahr rund 25 Millionen Zugvögel illegal getötet. Europaweit sind es laut Lindeiner sogar bis zu 50 Millionen. Am gefährlichsten leben die Zugvögel demnach in Ägypten: Allein dort werden pro Jahr rund 5,7 Millionen Vögel gewildert. Die meisten von ihnen werden Lindeiner zufolge mit oft Hunderte Meter langen Netzen oder Leimruten gefangen. Nur die wenigsten werden abgeschossen. An zweiter Stelle steht Italien mit etwa 5,6 Millionen illegal getöteter Wildvögel. Und zwar, obwohl dort die strengen Vogelschutzgesetze der EU greifen sollten. Die häufigsten Opfer der Wilderer sind laut Birdlife Buchfinken und Mönchsgrasmücken - mit 2,9 Millionen und 1,8 Millionen Beutetieren jedes Jahr. Beide Arten zählen auch hierzulande noch zu den häufigsten. Die meisten gewilderten Vögel landen übrigens im Kochtopf oder auf dem Grill. In vielen Regionen zählt Vogelwilderei laut Birdlife auch als Sport oder "Hobby". Außerdem geht es immer wieder um den Ziervogel-Handel.

Besonders bedrohlich ist die Jagd freilich für sehr seltene Arten wie eben den Großen Brachvogel. "Der ist ja nicht nur in Bayern nah am Aussterben", sagt Lindeiner. "Sondern überhaupt extrem selten." Deshalb hat die EU die Art unter strengen Schutz gestellt, gejagt werden darf sie nur noch in Frankreich. "Dort gab es zwar ebenfalls einige Jahre lang eine Art Moratorium", sagt Lindeiner. "Aber seit es ausgelaufen ist, dürfen die Franzosen wieder Große Brachvögel schießen." Die Konsequenz: Allein in der Jagdsaison 2013/2014 wurden dort fast 7000 Große Brachvögel erlegt - das sind fast acht mal so viele, wie in Bayern leben. "Und in dieser Jagdstrecke dürften wahrscheinlich auch einige aus Bayern dabei sein", mutmaßt Lindeiner. "Denn aus unserem Forschungsprojekt wissen wir ja bereits, dass die bayerischen Brachvögel über Frankreich hinweg in ihre Winterquartiere fliegen."

Derweil hat der LBV nicht hundertprozentig aufklären können, wie und von wem Nume 25 gewildert worden ist. Dass der Brachvogel aber illegal getötet worden ist, da ist sich Lindeiner völlig sicher. Den GPS-Sender von Nume 25 trägt jetzt ein Habichtsadler eines Falkners und Greifvogelschützers aus Casablanca. "Nach diesem wilden ,Irrflug' haben wir Birdlife International nachforschen lassen, was da unten in Marokko los ist", sagt Lindeiner. "Die exakten Daten, wo der Sender ist, hatten wir ja." Wenig später habe der marokkanische Falkner aus Casablanca förmlich beim LBV angefragt, ob er den Sender, der ja nun nicht mehr gebraucht werde für Nume, für ein Forschungsprojekt mit einem seiner Habichtsadler haben dürfe. "Nach Absprache mit unseren Projektpartnern haben wir eingewilligt", sagt Lindeiner, "auch wenn klar ist, dass da nicht wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist."

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: