Syrer für Berlin:"Wir sind ein Spielball"

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Der Bus aus Niederbayern hielt vor dem Kanzleramt. Max Straubinger (CSU) bezeichnete die Aktion als "unverfroren". (Foto: Fabrizio Bensch)

Nach der umstrittenen Aktion des Landshuter Landrats Peter Dreier müssen die Flüchtlinge zurück nach Bayern. Der Kommunalpolitiker versichert, dass er die Kosten für Busfahrt und Übernachtung selbst tragen wird

Von Sebastian Beck, Daniela Kuhr und Wolfgang Wittl, Landshut/Berlin

Peter Dreier hatte geahnt, dass seine Aktion hohe Wellen schlagen würde. Mit so einem Ausmaß aber habe er nicht gerechnet, staunte er noch am Tag danach. 120 Journalisten, auch von internationalen Medien, belagerten den Landshuter Landrat von den Freien Wählern, als er am Donnerstagabend mit einem Bus voll anerkannter Flüchtlinge vor dem Kanzleramt in Berlin angekommen war. So ging es am Freitag weiter. Ein Interview nach dem anderen musste Dreier geben. Um ein Uhr nachts war er wieder aus Berlin nach Niederbayern zurückgekehrt, um sieben Uhr saß er im Landratsamt. Sein Fazit: "Ich glaube, es ist angekommen, dass unsere Kapazitätsgrenzen erschöpft sind."

Nur zwei sind nicht mit zurück: Einer will in Berlin Fuß fassen, der andere weiter nach Bremen

Bei aller Kritik, die über ihn hereingebrochen sei, zeigte sich der Landrat zufrieden. Dreier sei ein Populist, der Asylbewerber für politische Zwecke missbrauche, lautet der Vorwurf mehrerer Politiker. Ähnlich äußerte sich ein Flüchtling, der die Fahrt mit angetreten hatte. "Wir sind ein Spielball zwischen Bayern und Berlin. Wir werden eingesetzt, um die Flüchtlingspolitik zu ändern, oder?", fragte einer der Männer im Nachrichtensender N24. Ihnen sei versprochen worden, dass die Situation in Berlin besser sein werde.

Dreier widerspricht: Man habe den Flüchtlingen, die alle freiwillig mitgefahren seien, nur gesagt, dass sie in Berlin eine Unterkunft bekämen. Er habe das Kanzleramt bereits vor Wochen aufgefordert, ihm Ansprechpartner für die Verteilung zu nennen. Der Bund, der für die Unterbringung nicht zuständig ist, ersuchte offenbar Amtshilfe bei der Stadt Berlin. "Wir wussten selbst nicht, was uns erwartet", sagt Dreier. Was den Gästen aus Landshut dann angeboten wurde, empfand er als unzumutbar. Laut Berliner Behörden "eine Not-Not-Not-Unterkunft", angeblich eine Industriehalle. Also suchte Dreier für die Flüchtlinge ein Hotel, die Übernachtungskosten von 1300 bis 1400 Euro finanziert er aus eigener Tasche, ebenso wie die Fahrt mit seinem Dienstwagen. Dem Freistaat und dem Landkreis werden keine Kosten entstehen, betont der Landrat. Er hoffe, dass seine Botschaft die große Politik erreicht habe, sagt Dreier: Der Bund müsse endlich handeln und nicht alles auf die Kommunen abladen. Es sei eine Verzweiflungsaktion gewesen, weil die Wohnraumkapazitäten für anerkannte Flüchtlinge in seinem Landkreis erschöpft seien. "Wenn ich rechtlich konsequent handeln würde, wären die Flüchtlinge nun obdachlos. Das lasse ich aber nicht zu." Das zweite Asylpaket müsse vollzogen, die Zahl der Flüchtlinge reduziert und vor allem müssten Wohnungen gebaut werden, fordert er. Sollte seine Protestaktion auch nur ein bisschen dazu beigetragen haben, dass sich etwas ändert, dann hätte sich die Fahrt in seinen Augen schon gelohnt.

Bayerns Sozialministerin Emilia Müller (CSU) kritisiert Dreier: "Ich halte die Aktion für den falschen Weg. Sie hat nichts zur Lösung des Problems beigetragen." Müller verweist darauf, dass Dreier nicht in seiner Funktion als Landrat gehandelt habe, sondern als Privatmann. Zugleich fordert die Ministerin eine Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge, um eine gleichmäßigere Verteilung zu gewährleisten. Außerdem müsse die Zuwanderung so schnell wie möglich begrenzt werden.

Dreiers Ausflug nach Berlin kann auch Margarete Bause überhaupt nichts abgewinnen. In den Augen der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag war die ganze Aktion "unsäglich, peinlich und schäbig". Sie habe den Eindruck, dass ein Virus unterwegs sei: ein Virus der Fremdenfeindlichkeit. Sie wünsche sich "Ruhe und Klarheit in der Debatte".

Dreier weiß, dass man ihm unterstellt, die 31 Syrer für eigene PR-Zwecke missbraucht zu haben. Das weist der Landrat jedoch zurück. "Mit Flüchtlingen mache ich keine PR." Er habe die Männer vorher gefragt. Alle hätten sich auf die Hauptstadt gefreut, einer offenbar besonders. Ein Flüchtling erzählte Dreier, er wolle dort sein Zahnmedizinstudium fortsetzen. Die Syrer seien verärgert über Berlin, berichtet Dreier. "Sie haben nach ihrer Flucht erwartet, dass wir uns um sie kümmern und ihnen Wohnraum zur Verfügung stellen. Das war in Berlin aber nicht möglich."

Nach der gescheiterten Aktion haben sich die Flüchtlinge am Freitagmorgen wieder auf den Weg zurück nach Landshut gemacht. Weil sozialer Wohnraum dort knapp ist, kommen sie wieder in Noteinrichtungen wie Sporthallen - oder in dezentrale Unterkünfte. "Dort leben sie in Einfamilienhäusern mit bis zu 35 Menschen", sagte Dreier der Nachrichtenagentur dpa. Sieben bis zehn Quadratmeter stünden jedem Flüchtling zu. Das sei aber immer noch menschenwürdiger als die angebotene Unterkunft in Berlin. Nur zwei sind nicht mit zurückgefahren: Einer will in Berlin Fuß fassen, der andere möchte weiter nach Bremen.

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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