Stoibers Führungsstil:Vom Teamspieler zum Alleinherrscher

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Ständig vergleicht Edmund Stoiber seine Regierung und seine Partei mit der Mannschaftssportart Fußball - das dürften seine Mitstreiter als pures Lippenbekenntnis empfinden.

Peter Fahrenholz

Edmund Stoiber liebt Fußballvergleiche und beschwört dabei gerne die Leistung des ganzen Teams, wobei er sich selbst wahlweise als starken Mittelstürmer oder als Trainer einstuft.

Dass Stoiber seine Regierung und auch seine Partei ständig mit der Mannschaftssportart Fußball vergleicht, dürfte die Mehrheit seiner Mitstreiter längst als pures Lippenbekenntnis empfinden. Denn sie haben Stoiber in den vergangenen Jahren meist als Solisten und häufig genug auch als Egoisten erlebt.

Dabei hatte er einmal ganz anders angefangen. Als Stoiber 1993 den überforderten Max Streibl als Ministerpräsidenten ablöste, war er ein echter Teamspieler.

Dass er sich damals so glatt gegen seinen Rivalen Theo Waigel durchsetzte, der als Parteichef eigentlich die oberste Autorität der CSU hätte sein müssen, hatte auch damit zu tun, dass Stoiber in seiner Funktion als Leiter der CSU-Grundsatzkommission mit enormem Einsatz von Kreisverband zu Kreisverband getingelt war und sich damit das Herz der Partei regelrecht erarbeitet hatte.

"Stoiber war ein Mann der Basis", sagt ein CSU-Präsidiumsmitglied noch heute anerkennend über den Ministerpräsidenten der ersten Jahre.

Im Kabinett herrschte eine euphorische Aufbruchsstimmung. Unter Streibl wussten die Minister und Staatssekretäre bei Sitzungen oft nicht, wie sie die Zeit überbrücken sollten, bis endlich das Mittagessen serviert wurde. Unter Stoiber dauerten die Kabinettssitzungen bis weit in den Nachmittag hinein, jeder hörte jedem zu, keiner ging raus zum Telefonieren und die spartanische Verköstigung störte niemanden. "Wir waren um 16 Uhr fertig und hatten das Gefühl: Heute haben wir was bewegt", erinnert sich ein Kabinettskollege der ersten Stunde.

Stabilisator der Union

Aus dem Innenministerium hatte Stoiber einen Stab unabhängiger und eigenständiger Berater mitgebracht, die ihren Chef offen kritisieren durften und davon auch Gebrauch machten. Da konnte es schon vorkommen, dass Stoibers Büroleiter Klaus Weigert nach einer Rede im Landtag das Gesicht verzog, als ihn Stoiber um eine Bewertung bat, und erwiderte: "Ganz schlecht, viel zu lang."

Der erste spürbare Riss kam 1998. Stoiber gewann seine Landtagswahl souverän, während kurz danach Bundeskanzler Helmut Kohl und mit ihm Finanzminister Theo Waigel abgewählt wurden. Schon vorher war das Verhältnis zwischen Stoiber und Waigel voller Spannungen gewesen, doch jetzt fühlte sich Stoiber endgültig als die Nummer eins der CSU.

Anfang 1999 beerbte er Waigel als Parteichef und hatte, wie Strauß, beide CSU-Spitzenämter inne. "Das war der Anfang vom Ende", sagt ein Weggefährte. Denn immer mehr verschoben sich Stoibers Interessen nun in Richtung Bundespolitik. Als die Schwesterpartei CDU Anfang 2000 in den Strudeln ihrer Spendenaffäre zu versinken drohte, war Stoiber plötzlich der Stabilisator der gesamten Union.

Die ersten Spekulationen um seine Kanzlerkandidatur setzten ein, und nach dem berühmten Frühstück von Wolfratshausen im Januar 2002 war Stoiber endlich am Ziel: Er konnte als zweiter CSU-Kandidat nach Strauß Anlauf aufs Kanzleramt nehmen (und scheiterte am Ende weit knapper als jener).

Der Klassenprimus

Die Kanzlerkandidatur 2002 war die entscheidende Zäsur in Stoibers politischer Karriere. Fortan zählte für ihn nur noch die Bundespolitik, und bei landespolitischen Aktivitäten wurde immer mehr zum Gradmesser, inwieweit damit Stoibers Ruf als Klassenprimus unter den Ministerpräsidenten gebührend herausgestrichen werden konnte.

In Stoibers Beraterkreis kam es zu einschneidenden Veränderungen. Die Skeptiker unter den Staatskanzlisten um Regierungssprecher Ulrich Wilhelm, die lange vor den möglichen negativen Folgen einer Kanzlerkandidatur gewarnt hatten, wurden in den Hintergrund gedrängt.

Stattdessen schlug nun die Stunde von Martin Neumeyer, der als einziger der Stoiber-Berater von Anfang an vehement für die Kandidatur war und seither Stoibers wichtigster - viele glauben: auch sein einziger - Ratgeber ist. Für die meisten in der CSU ist Neumeyers immenser Einfluss die Hauptursache für Stoibers Niedergang.

Dabei hat der politisch versierte Beamte keineswegs den bösen Blick, mit dem er Stoiber verhext hätte; die Sache ist viel einfacher: Beide sind sich so ähnlich, dass sie sich gegenseitig ständig aufputschen und nur schwer zu entscheiden ist, bei wem die Stoiber-Euphorie eigentlich größer ist: bei Neumeyer oder bei Stoiber selbst.

Beschwerden abblitzen lassen

"Der Wilhelm ist halt der Bedächtige, aber der Neumeyer ist der Macher", soll Stoiber einmal gesagt haben. Ein Macher wie Stoiber aber braucht keinen anderen Macher an seiner Seite, sondern eher einen, der ihn auch mal bremst.

Doch davon konnte seit der Kanzlerkandidatur keine Rede mehr sein. Mehr und mehr wurde die Staatskanzlei zur allmächtigen Zentrale, die sich auch in kleinste Details einmischte, und Stoiber wurde zum zunehmend beratungsresistenten Alleinherrscher. Über den Zugang zu Stoiber wachte allein sein Adlatus Neumeyer. Einmal beschwerten sich ranghohe Beamte, langjährige, engste Vertraute, bei Stoiber über die Rolle Neumeyers, doch der ließ sie abblitzen.

Nach dem Gewinn der Zweidrittel-Mehrheit im Jahr 2003 bestand die bayerische Regierung endgültig nur noch aus Stoiber. Der ließ seine Hintersassen bei jeder Gelegenheit spüren, wem sie den einmaligen Wahlerfolg zu verdanken hatten, und peitschte rücksichtslos ein rigides Sparprogramm durch.

Zweimal musste Stoiber dabei die Vertrauensfrage stellen, um die Zustimmung der CSU-Fraktion zu erzwingen - ein regelrechtes Erpressungsmanöver. Die Abgeordneten folgten ihrem Vormann nur mehr widerwillig. Die Flucht aus Berlin im Herbst 2005 hat Stoibers Ansehen in den eigenen Reihen dann endgültig ruiniert.

Die Quittung dafür hat er im Januar in Kreuth bekommen. Es war zwar kein offener Putsch, so viel Mut besaßen die Abgeordneten dann doch nicht. Aber die Landtagsfraktion, seit jeher das machtpolitische Rückgrat der CSU, entzog Stoiber das Vertrauen und signalisierte ihm, dass sie nicht weiter mit ihm an der Spitze marschieren wollte.

Ohne die Basis, die ihn so lange gestützt hatte, blieb Stoiber nur der Rückzug. "Er ist an sich selbst gescheitert", sagt einer seiner Kritiker. Stoiber selbst sieht das völlig anders. Er habe für interne Diskussionen "wirklich intensivst Zeit aufgewendet", beteuert er. Aber Dabeisein und Zuhören sind eben nicht dasselbe.

© SZ vom 18.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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