Stoiber in Brüssel:Weniger Papierkram für 15 Millionen Betriebe

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EU-Bürokratiegegner Edmund Stoiber will kleinen Firmen teure Bilanzpflichten ersparen - und damit Milliarden sparen.

Alexander Hagelüken

Seit Edmund Stoiber im November 2007 sein Amt antrat, gab es Häme. Leiter einer Beratergruppe gegen EU-Bürokratie? Das empfand mancher als Abschiebeposten für den Ex-Ministerpräsidenten. Von einer "Schnapsidee" sprach Martin Schulz, Chef der Sozialdemokraten in Europas Parlament: "Wir brauchen vieles, aber keine neuen Arbeitsgruppen." Und kürzlich wurde der (ebenfalls für Bürokratieabbau zuständige) Industriekommissar Günter Verheugen (SPD) mit der säuerlichen Bemerkung zitiert, Stoiber klaue seine Ideen.

Edmund Stoiber, Chef-Entbürokratisierer in Brüssel. (Foto: Foto: AFP)

Jetzt geht der langjährige CSU-Vorsitzende in die Offensive. Nicht nur was sein Verhältnis zu Verheugen angeht: "Das war ein Missverständnis. Zwischen uns gibt es kein Problem." Stoiber präsentiert auch die ersten großen Vorschläge seiner hochrangigen Gruppe. In einem Brief an Kommissionspräsident José Manuel Barroso, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, fordert er radikale Vereinfachungen für kleine Unternehmen. Diese sollen mindestens 7,3 Milliarden Euro Bürokratiekosten sparen. "Wahrscheinlich sind es viel mehr", schätzt er.

Unter anderem will Stoiber Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern oder einer Million Euro Umsatz ersparen, nach EU-Recht Handelsbilanzen zu erstellen und zu veröffentlichen. Die Unternehmen sollten nicht mehr die komplizierten europäischen Vorgaben erfüllen, sondern nur noch eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung nach dem Steuerrecht erstellen. Manchmal schreibe die EU-Bürokratie vor, "eine Hose mit Hosenträger, Gürtel und Sicherheitsnadel zu befestigen. Ich denke, es reicht auch der Gürtel", sagt Stoiber.

Die Wirkungen wären nach Berechnungen von Beratungsfirmen gewaltig. "Im Schnitt erspart das einer Firma 1200 Euro, die sie bisher an den Steuerberater bezahlt oder die an Arbeitsstunden verlorengehen, weil Mitarbeiter die Daten liefern müssen", so der CSU-Politiker. Profiteure wären mehr als 15 Millionen Betriebe, vier von fünf Unternehmen in ganz Europa.

Außerdem will er Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern von der Pflicht zur Wirtschaftsprüfung ausnehmen und sicherstellen, dass Firmen nicht immer wieder dieselben Daten an unterschiedliche Behörden liefern müssen.

Seit Jahresbeginn werden die schon seit längerem gültigen EU-Bilanzregeln hart verfolgt und haben zahlreichen Kleinbetrieben bis zehn Mitarbeitern Bußgelder von 2500 Euro eingetragen. "Ich habe Kommissar Charlie McCreevy beschworen, das Gesetz zu ändern", sagt Stoiber. "Ich glaube, dass er in unserem Sinne entscheidet."

Für ihn sind die Änderungen eine Schlüsselfrage, um die Kritik an Europa zu verringern: "45 Prozent der Deutschen wäre die Auflösung des Europäischen Parlaments völlig egal." Ohne eine Entlastung der Kleinbetriebe werde es sehr schwierig, "die Ziele zum Abbau von Bürokratie zu erreichen". Insgesamt hat sich die EU vorgenommen, durch Einsparungen ein Potential von 150 Milliarden Euro zu realisieren.

Der Europa-Parlamentarier und Bilanzexperte Klaus-Heiner Lehne (CDU) unterstützt Stoiber, weist aber auf die Widerstände hin. Ein ähnlicher Vorstoß aus dem Parlament wurde deutlich abgeschwächt, Kommissar McCreevy legt Änderungspläne auf Eis. Widerstand komme von Auskunfteien, die die Kreditwürdigkeit von Firmen ermitteln und die Daten aus der Handelsbilanz möchten.

Auch Banken legen vor der Kreditvergabe Wert auf diese Zahlen, die sie allerdings laut Stoiber ohnehin bekommen. Gegnerschaft regt sich außerdem in Ländern wie Belgien und Großbritannien. Stoiber kämpft jetzt mit Energie für seine Ideen. Er will die Kritiker des Anfangs beschämen. Wer möchte schon nach 14 Jahren als bayerischer Ministerpräsident in der Bedeutungslosigkeit versinken.

© SZ vom 17.07.2008/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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