Stalking-Fall in der Oberpfalz:Ein Mord und seine Vorgeschichte

Lesezeit: 2 min

Zu einer Liebe gehören immer zwei: Doch die 21-Jährige erwidert die Zuneigung ihrer Internetbekanntschaft nicht. Dann wird die Frau ermordet und der 22-Jährige gilt als dringend tatverdächtig. Weder Nachbarn noch Polizei konnten den Stalker stoppen.

Max Hägler

Vielleicht waren es die letzten Worte, die der Mörder sagte, bevor er zustach. "Darf ich noch einmal mit Ihnen sprechen", fragt Alexander S. am Freitag vor einer Woche. Thomas Negraschus weiß, dass der junge Mann unsterblich verliebt ist in Stephanie S. aus dem Nachbarhaus. Aber es dämmert bereits, Negraschus will den Anhänger ausladen mit den Steinen, die er für seine neue Gartenmauer braucht. "Lass uns morgen reden", sagt Negraschus. Alexander S. geht weiter. Eine Dreiviertelstunde später klingelt es Sturm bei Negraschus. Die Nachbarin, sie ruft: "Tommy, komm rüber, jetzt er hat ihr was angetan!"

In Vohenstrauß wird eine junge Frau ermordet - den mutmaßlichen Täter hat sie zuvor im Internet kennengelernt. (Foto: dpa)

Am Freitagabend vor einer Woche ist Stephanie S. umgebracht worden - und es deutet sehr viel darauf hin, dass Alexander S., ein Stalker, die 21-jährige Frau erstach. "Es kommt uns vor wie in einem Alptraum - wie in einem Film", sagte Dekan Alexander Hösl der Regionalzeitung Der Neue Tag zufolge bei ihrer Beerdigung im engsten Familienkreis Ende dieser Woche. Und der Pfarrer sprach auch von Handys und dem Internet, die ein Segen seien, aber auch "ein großer Fluch" der Gesellschaft.

Denn das Opfer - eine junge Mutter - und der mutmaßliche Täter hatten sich bei einem Internet-Chat kennengelernt. Im echten Leben dann konnten offensichtlich weder die Polizei noch aufmerksame Nachbarn wie Thomas Negraschus die Tat verhindern.

Drei Wochen vor dem Mord bemerkt Negraschus das erste Mal einen jungen Mann in der Prager Gasse herumschleichen: "Ich war 50 Jahre in Berlin, da ist man sensibilisiert auf merkwürdige Leute." Negraschus denkt, dass der schmächtige Kerl in sein Auto einbrechen will, spricht ihn an. Am Tag danach sieht er den jungen Mann vor dem Nachbarhaus. Dort wohnt Stephanie S. Wieder spricht ihn Negraschus an, und er erfährt, dass der Mann das Nachbarsmädchen im Internet kennengelernt hat, dass er deswegen extra aus Hessen hierher gezogen ist, aber dass die Stephanie nichts von ihm wissen will. Immer sei er in den Tagen danach "herumgeschwänzelt", erzählt Negraschus.

Er empfiehlt dem jungen Kerl: Geh weg, zu einer Liebe gehören immer zwei. Als Alexander S. nicht ablässt, rät er Stephanies Mutter: Geht zur Polizei! Sie tun es, und auch der Arbeitgeber von Alexander S. bekommt Wind von der Sache. Später werden die Ermittler im Polizeibericht schreiben, dass sich sowohl der Tatverdächtige als auch das Opfer wenige Tage vor der Tat an die Polizei gewandt hätten und sich wechselseitig der Belästigung bezichtigten. "Aufgrund dessen hatte die Polizei sowohl Opfer als auch Täter in ihren Wohnungen aufgesucht, um den Sachverhalt entsprechend abzuklären", heißt es im Bericht. Man hätte den jungen Mann zudem aufgefordert, weitere Kontakte zu Stephanie S. zu unterlassen.

Doch der 22-jährige Alexander S. lässt nicht ab. Er erzählt Negraschus, dessen Zeugenaussagen von den Ermittlern als glaubwürdig eingeschätzt werden, am Tag vor dem Mord, dass sein Chef ihn angeschrien habe wegen der ganzen Sache. "Er war aufgeregt", sagt Negraschus

Am Freitag, knapp drei Stunden nachdem Stephanie S. umgebracht worden war, knapp vier Stunden nachdem Negraschus mit ihm ein paar Takte geredet hatte, ruft Alexander S. bei der Polizei an und sagt, er wolle sich stellen. Bei den anschließenden Vernehmungen räumte er ein, am Tatort gewesen zu sein; an Details könne er sich aber nicht erinnern.

Im Nachhinein, sagt Negraschus, er denke er natürlich darüber nach, ob in dem Moment ein Gespräch geholfen hätte. "Vielleicht hätte ich die Tat für den Abend verhindert, aber nicht endgültig, so besessen wie der war."

© SZ vom 12.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: