Sibel Kekilli im Interview:"Viele Türken sind kritikunfähig"

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Die Schauspielerin Sibel Kekilli über das "Geschrei", wenn an der Ehre der Türken gekratzt wird und das Nürnberger Filmfestival.

Roman Deininger

Sibel Kekilli stand in Köln vor einem Schaufenster, als eine Castingagentin sie ansprach. In Fatih Akins preisgekröntem Film "Gegen die Wand" spielte sie dann eine junge Türkin, die aus ihrem strengen Elternhaus ausbricht. Beinahe über Nacht wurde aus der gelernten Verwaltungsfachkraft eine hoch gelobte Filmschauspielerin. Kekillis Eltern stammen aus der Türkei, sie selbst wurde in Heilbronn geboren und besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Beim viel beachteten Deutsch-Türkischen Filmfestival, das am Mittwoch in Nürnberg beginnt, ist die 27-Jährige Stammgast.

Nur einer der Preise, die Sibel Kekilli bekam: der Bambi. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Filmfestivals gibt es wie Sand am Meer. Was soll da in Nürnberg besonders sein?

Kekilli: Es geht nirgendwo so familiär zu. Am späten Abend sitzen alle zusammen, Filmemacher, Journalisten, Zuschauer. Irgendwann fängt ein Türke zu singen an, dann der nächste. Und am Ende singen alle mit.

SZ: Sie wurden in Nürnberg für "Gegen die Wand" ausgezeichnet, saßen aber auch schon in der Jury. Wie war das?

Kekilli: Ich erinnere mich, dass wir Juroren einen türkischen Dokumentarfilm gesehen haben, bei dem die deutschen Untertitel fehlten. Ein junges Mädchen hat für die Journalisten übersetzt, aber es wurde so viel geflucht in dem Film, dass sie sich nicht richtig getraut hat. Sie hat das dann eher poetisch umschrieben.

SZ: Wer stellt denn die Mehrheit im Nürnberger Publikum, die Deutschen oder die Türken?

Kekilli: Das ist gut verteilt, aber natürlich nutzen viele Türken, die hier leben, die Chance, Filme aus der Türkei zu sehen. Die zelebrieren das richtig, für die ist das ein echter Familienausflug. Und die Deutschen haben die Gelegenheit, das türkische Kino für sich zu entdecken.

SZ: Was gibt es denn zu entdecken im türkischen Kino?

Kekilli: Ich gebe zu, dass ich nicht so auf das große Drama stehe. Die Türkei hat eine ganz eigene Spieltradition: groß, theatralisch, ein wenig wie das indische Kino. Ich sage nicht, dass das gut oder schlecht ist. Denn im deutschen Kino fehlt ja oft der Mut zu Gefühlen.

SZ: Ist das türkische Kino auch kritisch?

Kekilli: Es gibt schon kritische Filme, aber die haben es schwer. Das Geschrei ist oft groß, wenn an der nationalen Ehre gekratzt wird. Viele Türken sind kritikunfähig. Auch in Nürnberg ist es nach manchen Vorstellungen in der Diskussion schon hoch her gegangen. Ich war mal dabei, als ein türkischer Mann aufgestanden ist und den Regisseur mit "Du bist dumm" beschimpft hat. Und als ich beim Festival in Antalya ausgezeichnet wurde, haben einige türkische Journalisten geschrieben: Warum bekommt den Preis nicht eine Türkin?

SZ: Denken Sie, dass das Nürnberger Festival in diesem Jahr vor dem Hintergrund der Integrationsdebatte besondere Brisanz haben wird?

Kekilli: Ich glaube, dass in Nürnberg schon das Filmische im Vordergrund stehen soll. Aber das Politische kommt ja automatisch. Es gibt immer kontroverse Filme und Gäste, und in diesem Jahr vielleicht umso mehr.

SZ: Hat der türkische Ministerpräsident Erdogan recht mit seiner Kölner Forderung an die Deutsch-Türken: Integration ja, Assimilation nein?

Kekilli: Man müsste ihn noch mal genau fragen, wo da die Grenze sein soll. Es ist aber in jedem Fall schade, dass er so etwas sagt. Für eine bessere Integration müssten allerdings beide Seiten mehr tun, sowohl die Türken, die hier leben, als auch die Deutschen.

SZ: Warum haben so viele Deutsch-Türken Probleme, sich hier zu Hause zu fühlen?

Kekilli: Ich habe den Eindruck, dass die junge Generation der Deutsch-Türken wieder konservativer und nationalistischer wird. Auch, weil sie sich hier nicht akzeptiert fühlen. Sie fühlen sich zum Türkischen hingezogen, obwohl sie im Grunde keine Ahnung haben, was das sein soll. Die sind "lost in space" zwischen den Kulturen.

SZ: Viele junge Deutsch-Türkinnen bewundern Sie, weil Sie konsequent Ihren Weg gegangen sind. Was würden Sie diesen jungen Frauen raten?

Kekilli: Sie sollen sich selbst glücklich machen im Leben, nicht ihre Eltern. Wenn nötig, muss man dafür auch mit der Familie brechen. Aber auf gewisse Weise werden türkische Mädchen wahrscheinlich nie so frei sein wie deutsche.

© SZ vom 28.2.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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