Sexuelle Gewalt:Das schmutzige Geheimnis von Eschenau

Lesezeit: 2 min

Nach einem Vierteljahrhundert outet sich eine Lehrerin als Opfer sexueller Gewalt, in dem kleinen Ort gibt es eine verhängnisvolle Kettenreaktion.

Olaf Przybilla

Die Szenerie im fränkischen Dorf Eschenau erinnert an ein Dürrenmatt-Drama. Eine Frau aus den Vereinigten Staaten kommt zurück in eine 192-Seelen-Gemeinde, in der sie 1957 geboren wurde.

Seit 25 Jahren lebt sie in den USA, selten war sie seither in Eschenau, denn sie hat keine guten Erinnerungen an das unterfränkische Dorf am Rande des Steigerwalds. Ihren 50. Geburtstag will sie aber doch bei ihren Eltern verbringen und kehrt für eine Familienfeier zurück.

Wenige Tage später berichtet die US-Amerikanerin der Kriminalpolizei, sie sei 1961 erstmals Opfer von sexueller Gewalt geworden. Vier Jahre alt war sie damals. Im Dorf lösen die Aussagen der Frau eine Kettenreaktion aus. Sechs weitere Frauen haben unterdessen ausgesagt, von zwei Tätern über Jahre hinweg missbraucht und vergewaltigt worden zu sein. An Christi Himmelfahrt hat sich einer der Beschuldigten das Leben genommen. Das Dorf ist seither in zwei Lager gespalten. Die einen reden von "einer Befreiung" - die anderen von "Rufmord".

Warum hat die Frau nicht viel früher geredet? Sie habe das ihren Eltern in Eschenau nicht antun wollen, erklärt die Lehrerin. Ihr mutmaßlicher Peiniger, ein zehn Jahre älterer Kaufmann vom Nachbarhof, habe ihr als Kind immer wieder gedroht. Aus Angst und Scham habe sie mehr als vierzig Jahre lang geschwiegen.

Erst als sie im März, bei der Geburtstagsfeier, von einem weiteren Fall von sexueller Gewalt hörte, habe sie beschlossen, nicht weiter schweigen zu dürfen. "Sonst geht das immer weiter in Eschenau", sagt die US-Amerikanerin.

Die Staatsanwaltschaft in Bamberg schätzt die Möglichkeit eines organisierten Rufmords mittlerweile als "nahezu ausgeschlossen" ein. Die Ermittlungen erwiesen sich freilich als äußerst schwierig. Die Frauen, berichten die Ermittler, würden massiv unter Druck gesetzt.

Klima der Angst und Verschwiegenheit

Auf einer Bürgerversammlung wurden sie kürzlich beschuldigt, die beiden Männer systematisch in die Enge getrieben zu haben. Ein Dorffest wurde abgesagt, von Morddrohungen ist die Rede. Im Dorf macht ein Abschiedsbrief die Runde, die Heimatzeitung soll den Brief zusammen mit der Todesanzeige drucken. Im Brief des 53-jährigen Landwirts, der sich das Leben genommen hat, ist von Lügen und haltlosen Anschuldigungen die Rede. Die Zeitung lehnt den Abdruck ab. Ein Klima der Angst und Verschwiegenheit wie im Weinort Eschenau, sagt Oberstaatsanwalt Joseph Düsel, habe er noch nie erlebt. "Je kleiner das Dorf, desto schlechter kommt man an die Leute ran."

Nach bisherigem Ermittlungsstand haben die mutmaßlichen Opfer nichts voneinander gewusst. Zwei von ihnen sollen bereits im Kindergartenalter missbraucht worden sein. Anzeichen dafür, dass die beiden Angeschuldigten gemeinsame Sache machten, gibt es nicht.

Der 59 Jahre alte Kaufmann, der beschuldigt wird, sich zwischen 1961 und 2002 an insgesamt fünf Mädchen und Frauen vergangen zu haben, konnte zunächst nicht vernommen werden. Nach einer angedrohten Selbsttötung war er in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden, gestern wurde ein Haftbefehl gegen ihn erlassen. Wie viele Taten zur Anklage kommen werden, ist noch unklar.

Viele der Übergriffe sind bereits verjährt - so auch die mutmaßliche Misshandlung der US-Amerikanerin. Die Lehrerin habe "den Stein jetzt lediglich ins Rollen gebracht", sagt der Oberstaatsanwalt. Die Frau hat bereits angekündigt, nicht zivilrechtlich gegen den Mann vorgehen zu wollen.

In "spätestens drei Wochen" will sie das Dorf Eschenau wieder verlassen.

© SZ vom 25.Mai 07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: