Seeoner See:Herr Pröller, seine Karpfen und der Hecht

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Tag für Tag hat der 80-jährige Rentner Albert Pröller am Seeoner See seine Freunde gefüttert, die Karpfen. Jetzt hat er sie schon sechs Wochen nicht mehr gesehen. Ihr Kollege, der Hecht, hat Pröller außer Gefecht gesetzt. Eine blöde Geschichte.

Von Rudolf Neumaier

Die Freunde von Albert Pröller sind abgetaucht. Wenn die Seen kalt werden, begeben sich die Fische in die Tiefe und richten sich auf die Winterruhe ein, auch Herrn Pröllers Freunde, die Karpfen vom Seeoner See. Er hat sie jetzt schon sechs Wochen nicht mehr gesehen. Ihr Kollege, der Hecht, hat Pröller außer Gefecht gesetzt. Blöde Geschichte: Er hat den Rentner beim Fischefüttern gebissen - und so zugerichtet, dass der seine Hand nicht mehr gebrauchen konnte.

Der Seeoner See gehört zu den landschaftlichen Preziosen des Chiemgaus. Albert Pröller sagt, er gehe seit ungefähr 20 Jahren jeden Tag an den See, wenn es warm genug wird zum Schwimmen, und dann so lange, bis es wieder zu kühl wird. Dieses Morgenprogramm hält einen auf Trab, seine 80 Jahre sind Herrn Pröller nicht anzumerken. Die Karpfen mögen ihren Kumpel. Das Frühstück mit ihm ist immer das Gleiche, Jahr für Jahr, Tag für Tag. "Sie kennen mich am Schritt", sagt Albert Pröller, "sie spüren das an den Bodenerschütterungen. Wenn ich komme, schwimmen sie schon ans Ufer." Vor sechs Wochen, es war ein Morgen wie jeder andere, schwamm ein Hecht mit.

Pröller hat immer altes Brot dabei, das er seinen Burschen erst mal zerkleinern muss. Während er es zerbröselt, schwimmen sie um ihn herum. Es sind stets acht bis zehn Fische, Spiegel- und Schuppenkarpfen. Er hat ihnen Namen gegeben: Maxi, Schuppi, Bläuli - wegen des auffallend schönen türkisfarbenen Scheins. Sie sind zutraulich wie Haustiere, er streichelt sie. Dass Angler sie fangen, ist unwahrscheinlich, denn nach der Atzung bei Albert Pröller sind sie den Rest des Tages satt und unanfällig für Angelköder. Mit den Jahren wuchsen sie zu respektablen Brummern. "Es sind richtige Facken (Ferkel, d. Red.)", sagt Pröller. Gut 80 Zentimeter lang, "und auch fast so hoch". Kommt ein Angler in die Nähe, während er füttert, scheucht er ihn weiter.

An einem Septembermorgen stand er also wieder im Wasser, bröselte das Brot auseinander, die Hände im Wasser. Oft kommen im Schatten der Karpfen auch Rotaugen herbei, das sind Weißfische mit auffallend roten Augen. Klar, sie haben auch Hunger. Und mit den Rotaugen kommt der Hecht, der gierige Raubfisch, der es auf sie abgesehen hat. Albert Pröller hantiert also mit dem alten Brot im Wasser - "auf einmal tut's einen Schlag, das kann sich keiner vorstellen. Auch diesen Schmerz nicht, unglaublich". Ein Hecht packte ihn. Aber wie!

Im ersten Moment habe er gedacht, das Tier habe ihm die Hand abgerissen. So schlimm war's zwar nicht, aber sie blutete aus vielen Wunden. "Als der Hecht gespannt hat, dass meine Hand kein Rotauge ist, hat er sich losgerissen. Da sind die Wunden noch länger und tiefer geworden." Den Mittelfinger habe ihm der Hecht entlang der Sehne aufgeschlitzt. Hechte sind gefürchtet für ihre scharfen, spitzen Zähne. Angler verwenden Stahlschnüre, denn alles andere würde der Raubfisch spielend durchbeißen. Wochenlang musste Albert Pröller eine Schiene tragen, allmählich heilen die Wunden. Er nimmt es dem Hecht nicht übel, es war ein Bursche von 70, 80 Zentimetern, hungrig und ungestüm. "Der war auf keinen Fall bösartig, es war halt eine Verwechslung." Von einem richtig großen Hecht, einem 1,30-Meter-Kaventsmann, wolle er aber lieber nicht erwischt werden.

Ob der Vorfall ein Trauma hinterlässt? Sicher nicht, sagt Albert Pröller. "Im April geht es wieder weiter." Er hofft, dass Bläuli den Winter überlebt. Der schöne Karpfen habe in letzter Zeit ein bisschen geschwächelt.

© SZ vom 02.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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