Dorfladen in Schwaben:Die Selbsthelfer von Daiting

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Kein Supermarkt, schon gar kein Tante-Emma-Laden: In Bayern bluten immer mehr Dörfer aus. Doch im schwäbischen Daiting will man diesen Trend brechen und hat einen eigenen Dorfladen gegründet. Der funktioniert nach ganz eigenen Regeln.

Verena Hölzl

Verschmitzt lächelt sie und packt fast ein wenig schüchtern die Flasche Kirschlikör in ihre Tasche ein. Heute Abend kommt ihr Enkel, und da will sie etwas Feines parat haben. Josefine Ottmann ist 77. Im Dorfladen Daiting kennt man die "Fina" wie alle anderen Kunden auch. Fina Ottmann kauft regelmäßig ein im Dorfladen. Der ist im Ort längst eine Institution.

Seit etwa zehn Jahren entstehen immer mehr Nachbarschaftsläden in Bayern. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Daiting auf der Monheimer Alb: ein 800-Seelen-Dorf bei Donauwörth. Viele Audi-Ingenieure wohnen hier. Das Örtchen ist einer der weißen Flecken auf der Landkarte ohne Breitbandanschluss. Dreimal am Tag fährt ein Bus ins neun Kilometer entfernte 4000-Einwohner-Städtchen Monheim. Wer den verpasst, hat keine Chance mehr, an die Dinge des täglichen Bedarfs zu kommen. Der letzte Tante-Emma-Laden in Daiting hat schon vor langer Zeit geschlossen.

Mit solchen Problemen ist das schwäbische Daiting nicht allein im Freistaat. In Bayern bluten viele Dörfer aus. Noch in den 1980-er Jahren gab es einen leichten Trend aufs Land. Seit den 1990-ern aber verzeichnen viele Regionen einen mehr oder weniger dramatischen Bevölkerungsschwund. Ausnahme ist nur die Region um München, in die es viele hinzieht. Auch die Überalterung der Gesellschaft trägt dazu bei, dass immer mehr Geschäfte auf dem Land schließen.

Für Gerlinde Augustin von der "Schule der Dorf- und Landentwicklung" im schwäbischen Tierhaupten ist der Strukturwandel auf dem Land Tagesgeschäft. Wenn die Dörfer nach und nach aussterben, trifft das die Menschen, die dort bleiben. Das will Gerlinde Augustin nicht akzeptieren. An ihrer Schule erhalten Bürger Unterstützung, die in Eigenregie einen Dorfladen gründen wollen. Seit etwa zehn Jahren entstehen immer mehr solche Nachbarschaftsläden in Bayern. "Man muss rechtzeitig in die Dorferneuerung eingreifen, sonst nimmt die Abwärtsspirale ihren Lauf", sagt Augustin. Wo es keine Infrastruktur mehr gibt, da ziehen nicht nur die Leute weg. Es ziehen auch keine mehr hin.

Oft werden Dorfläden mit den früheren Tante-Emma-Läden verglichen. Schaut man aber genau hin, passt der Vergleich nicht immer. Im Daitinger Dorfladen etwa finden die Kunden auf einer Verkaufsfläche von 175 Quadratmetern alles, was ihr Herz begehrt. Die Kühltheke surrt, und über den zig Shampoos im Regal hängt ein Werbeplakat einer großen Lebensmittelkette. Es herrscht Supermarkt-Flair. Nur gefühlt befindet man sich in einem Laden der guten alten Zeit. Verkäuferin und Kunde kennen einander, man duzt sich, und während die Brezen über die liebevoll dekorierte Theke gereicht werden, verabredet man sich für den Gymnastikkurs am Abend.

Aber ein angegrauter Tante-Emma-Laden ist der Daitinger Dorfladen nicht, sagt Inge Junge-Bornholt, die aus Norddeutschland ins Donau-Ries gezogen ist. Da sei alles frisch, das Sortiment sei breit gefächert, betont sie. "Abgelaufene Lebensmittel habe ich hier noch nie bekommen." Ohne den Dorfladen hätte sie auch nicht aufs Land ziehen wollen, sagt die 46-Jährige. Seit sechs Jahren wohnt sie schon in Daiting und fühlt sich hier "sauwohl".

Dorfläden sind sehr oft genossenschaftlich organisiert. Das heißt: Die Dorfbewohner stellen durch den Kauf von Anteilen das Grundkapital für "ihren Laden" zur Verfügung, das Geschäft gehört gleichsam ihnen selbst. Dafür nehmen sie dann gerne die ein wenig höheren Preise in Kauf, stellen sich auf die meist reduzierten Öffnungszeiten ein und meiden wie selbstverständlich fortan Supermarktketten. Wenn ihr Dorfladen Gewinn erwirtschaftet, geht er in Form von Einkaufsgutscheinen wieder an die Dorfbewohner mit Ladenanteilen zurück. Auch für die Hersteller regionaler Lebensmittel sind die Dorfläden eine ideale Plattform. Und am Ort entsteht der eine oder andere Arbeitsplatz, wenn auch zumeist nur in Teilzeit.

Vor allem aber können sich Senioren wie Fina Ottmann wieder selbständig versorgen. Die Rentnerin muss nun nicht mehr ihre Kinder bitten, sie für ihre Einkäufe in den nächsten Ort zu kutschieren. Täglich kommt sie in den Dorfladen, sagt die Rentnerin. Manchmal holen die Senioren ihre Lebensmittel mehrmals am Tag: das Fleisch fürs Mittagessen am Morgen und die Brezen fürs Abendbrot am Nachmittag. Ein Dorfladen gibt ihnen Anschluss, da geht es eben um mehr als nur ums Einkaufen. Von draußen sieht der Daitinger Dorfladen denn auch aus wie ein Vereinsheim. Wer drinnen steht, hat das Gefühl, mitten im Dorf angekommen zu sein. Das förmliche "Sie" ist ein Fremdwort, und beim Gratis-Kaffee erfährt man alles Wichtige.

Über die Hälfte der etwa 50 deutschen, genossenschaftlich organisierten Dorfläden werden in Bayern betrieben. Woran das liegt? Im Freistaat habe es nie Sonderprogramme zur Förderung gegeben, sagt Dorf-Entwicklerin Augustin. Nach einer Anschubfinanzierung aus Dorferneuerungsprogrammen, müssen die Läden sich selbst tragen. Das fordert die Leute heraus, sagt der Einzelhandelsberater Wolfgang Gröll. Er hat bundesweit bereits an die 150 Projekte begleitet.

Der Trend ist nach seiner Einschätzung ungebrochen. Gröll ist so etwas wie ein Unternehmensberater für Dorfläden. Er hat es dabei nicht nur mit nackten Zahlen, sondern vor allem mit Befindlichkeiten zu tun. Welche Nudeln im Regal stehen, entscheiden die Dorfbewohner nach ihren Vorlieben und nicht das betriebswirtschaftliche Kalkül. Ein Dorfladen lebe von den Menschen, die ihn stemmen, sagt Gröll. Das mache ihn einzigartig. Dorfladen-Franchising, wie es schon versucht wurde, sei zum Scheitern verurteilt.

Kürzlich hat der Landtag den Daitinger Dorfladen und drei andere Nahversorgungsläden mit seinem Bürgerkulturpreis ausgezeichnet. Eine schöne Sache, sagt auch Josefine Ottmann. Auch gegen die Bürgerbuslinie, an die Daiting vor kurzem angeschlossen wurde, hat sie nichts. Aber zählen tut für sie nur eins: ihr täglicher Ausflug in den Dorfladen. Manchmal trifft sie dort auch ihren Enkel.

© SZ vom 08.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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