Schule:Vom Teufelswerk zum Lieblingskind

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Noch vor fünf Jahren lehnten viele CSU-Politiker auf dem Land die Ganztagsschule ab, jetzt können sie sich vor Anfragen kaum retten.

Heiner Effern

Mit ihren dünnen Fingern klammern sich Thomas und Andreas an der Kletterwand fest. Ihre Zehen suchen Halt an den bunten Klötzen, die mit Schrauben im Beton befestigt sind. Zug für Zug kämpfen sie sich hinauf, hängen sich oben an ein rotes Netz und lassen sich dann fallen. Als sie auf die weiche Matte in der Boulder-Halle knallen, grinsen die zwölfjährigen Buben.

Ganztagsschule in Bayern: Vom Teufelswerk zum Lieblingskind. (Foto: Foto: dpa)

"Ich bin fast immer nachmittags beim Sport, weil das Spaß macht", sagt Thomas. Und auch Andreas findet es nicht schlimm, dreimal in der Woche bis halb fünf Uhr in der Schule zu sein.

Die beiden Sechstklässler besuchen die Ganztagsbetreuung der Realschule Holzkirchen (Kreis Miesbach). Dass sie wie die anderen 100 Kinder diese Möglichkeit haben, verdanken sie der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder. Die stellte 2003 vier Milliarden Euro für den Ausbau der Ganztagsbetreuung zur Verfügung, just als im chronisch klammen Landkreis Miesbach eine neue Realschule geplant wurde.

Für die 540.000 Euro vom Bund mussten die Konservativen im Kreistag allerdings ihre Prinzipien opfern: Die Förderung für den Standort Holzkirchen aus den Bundesmitteln war an eine Ganztagsbetreuung gebunden, die in der CSU strikt abgelehnt wurde. Die Eltern sollten sich zumindest "den halben Tag" um ihre Kinder kümmern, sagte damals der Vize-Chef der CSU-Fraktion Georg von Preysing. CSU-Sprecher Josef Bichler warnte gar vor einem Pflichtmodell "wie in der DDR".

Wartelisten für die Schule

Nun soll aus dem Konjunkturpaket des Bundes wieder Geld in die Schulen fließen, und der Landkreis Miesbach plant erneut eine Realschule, diesmal im Tegernseer Tal. Wieder ist die Förderung an die Einrichtung eines Ganztagsbetriebs gebunden. Doch die Welt hat sich geändert.

Der durchschlagende Erfolg der Ganztagsbetreuung an der Realschule Holzkirchen hat zum Umdenken geführt. 50 Kinder meldeten sich für die Nachmittagsbetreuung an, als die Schule 2005 in Betrieb ging.

Mittlerweile sind es 100 Schüler, längst gibt es eine Warteliste: Zu viele Kinder wollen an die Ganztagssschule. Schulleiter Heinrich Gall muss regelmäßig Anfragen von Eltern aus den Nachbarlandkreisen ablehnen.

CSU-Fraktionschef Bichler befürwortet heute sogar eine richtige Ganztagsschule - vor allem aus pädagogischen Gründen. "Der Bedarf ist da, die Gesellschaft und das berufliche Umfeld haben sich verändert." Er sieht in dem Schulmodell sogar "eine politische Chance für den Landkreis". Deshalb hat der Kreistag einstimmig beschlossen, die Fördermittel für eine Kooperationsschule mit Haupt- und Realschule unter einem Dach zu beantragen. Ein Zug soll den ganzen Tag über Unterricht haben, entzerrt durch ausgiebige Pausen.

Christine Negele wollte dieses Modell schon 2003 für die neue Realschule Holzkirchen haben. Sie war damals Vorsitzende des Elternbeirats der Realschule Miesbach, von der einige hundert Schüler nach Holzkirchen wechseln sollten. "Mehr als 600 Unterschriften habe ich damals in den Kreistag geschleppt, doch aus ideologischen Gründen wurde ein solches Konzept abgelehnt", sagt Negele.

Das Kultusministerium habe erklärt, man brauche das nicht, man lebe doch in einer heilen Welt. "Die Vorurteile sind bei uns auf dem Land viel extremer als in der Stadt", sagt Negele. Mittlerweile sitzt Christine Negele nicht mehr im Elternbeirat, sondern für die SPD im Kreistag. Sie geht davon aus, dass die vergangenen Jahre der CSU eine Lehre waren. "Mittlerweile haben wir ja auch eine Kinderkrippe, die war vor kurzem noch Teufelswerk."

Auch der schärfste Kritiker aus dem Jahr 2003 bemüht sich nun um die Ganztagsschule: CSU-Mann Georg von Preysing. Allerdings fällt es der CSU noch immer schwer, sich an die neuen Verhältnisse zu gewöhnen. Angesichts der Umwälzungen "muss ich meine persönliche Meinung zurückstellen", sagt von Preysing.

Auch sein Fraktionssprecher Bichler hat damit noch Bauchschmerzen: "Es bleibt aber unbestritten, dass die Erziehung durch die Eltern die bessere Variante ist, als die Kinder in die Hände des Staates zu geben", sagt er.

Ein sehr flexibles System

Das sieht im Übrigen der Holzkirchner Schulleiter Gall nicht recht viel anders. Doch gebe es viele Alleinerziehende und Familien, in denen beide Elternteile arbeiten müssten, räumt er ein. Deren Kinder sollten eine optimale Alternative haben. Das sei mit Ganztagesunterricht, aber auch mit dem Betreuungsmodell seiner Schule möglich. "Das ist ein sehr flexibles System. Die Eltern können auch tageweise buchen. Deshalb können wir mit den 75 Vollzeitplätzen fast 100 Kinder betreuen. Und die meisten Kinder kommen gerne."

Zum Beispiel die dreizehnjährige Sarah, die von montags bis donnerstags in die Ganztagsbetreuung geht. "Wir haben viel Spaß." Nach dem Unterricht isst sie mit ihren Freunden in der Mensa. Von 13.30 bis 15 Uhr kümmern sich Sozialpädagogen um die Hausaufgaben. Danach können die Kinder bis 16.30 Uhr aus einem Freizeitangebot wählen. Sarah mag vor allem Basteln. "Das ist mein Hobby, das ich hier machen kann." Manchmal aber, sagt sie, sei sie ein bisschen traurig, wenn Freundinnen nach der Schule nach Hause gehen und sie noch bleiben muss.

© SZ vom 09.02.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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