Rollatoren und graue Haare:Alternde Schönheit

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Das Staatsbad ist mit seinen Kurgästen in die Jahre gekommen. Deshalb hat es sich eine Verjüngungskur verordnet und setzt auf Wellness und Entschleunigung

In Bad Kissingen sehen Ferraris so aus: weniger als 1 PS, Spitzengeschwindigkeit zwischen sechs und 15 km/h, ein Sitzplatz. Vor dem Fachgeschäft für Seniorenbedarf Horst Ferrari an der Kurpromenade stehen drei Elektromobile für Senioren in Reih und Glied. Auf einem Zettel ist neben dem Preis zu lesen: "Gönnen Sie sich eine Probefahrt! Gleich Termin vereinbaren."

Bad Kissingen ist, wie so viele Kurorte, ein Seniorenzentrum. Überall Rollatoren, die vorherrschenden Haarfarben sind grau und weiß. Die Stadt, in der einst Rossini, Kaiserin Sisi oder Bismarck gesundeten, ist gemeinsam mit ihren Kurgästen in die Jahre gekommen. In so mancher Hotelvilla ist die Zeit in den Siebzigern stehen geblieben, wuchtige Polstermöbel, abgewetzte Teppiche, wild gemusterte Vorhänge, so was. Und nicht mal die angestammten Kurgäste kommen mehr so zahlreich, wie man sich das wünscht. Seit den Gesundheitsreformen der 1990er ist die Zahl der Reha-Patienten gesunken. Vom Niedergang zeugt ein Loch: Das Steigenberger, einst das erste Hotel am Ort, musste 2010 aus Brandschutzgründen schließen. Da sich bislang keiner gefunden hat, der den Kasten betreiben will, wurde ein Teil abgerissen und das dahinter liegende Kurhausbad zugesperrt.

Die Stadt hat sich deshalb selbst eine Verjüngungskur verordnet und ein neues Profil erfunden: Sie nennt sich "Chronocity", setzt auf das Modethema Entschleunigung und erwägt, aus der Sommerzeit auszusteigen. Das zweite Modethema ist Wellness, vor elf Jahren eröffnete die Therme mit Saunen, Peelings und dem Solebecken unter künstlichem Sternenhimmel, in dem der Gast sich schwerelos treiben lassen kann.

Dabei ist die Stadt nicht nur für Gesundheitstouristen, sondern auch für Tages- oder Wochenendausflügler geeignet, denn für einen Kurztrip hat sie genau die richtige Menge an Sehenswürdigkeiten: die größte Wandelhalle Europas zum Beispiel, in der man den Kurkonzerten lauschen und die Heilwässer probieren kann, die nach rostigen Nägeln schmecken; den Regentenbau mit dem wunderschönen grünen Saal; die üppig blühenden Parks; die alte Saline, in der man mitten in Unterfranken Seeluft schnuppern kann; das denkmalgeschützte Terrassen-Freibad, das neben einem Senioren- auch einen Familienbereich hat. Das alles lässt sich zu Fuß erreichen, oder mit dem Saaledampferle oder dem Kurbähnle. Und wer es ganz gemächlich mag, der sollte sich rechtzeitig einen der neun Plätze für eine Fahrt mit der Postkutsche nach Bad Bocklet oder Schloss Aschach reservieren (Donnerstag bis Sonntag, Anmeldung bei der Tourist-Information, 18 Euro). Hufgetrappel, Volkswaisen aus dem Horn des Postillons, so geht es dahin, Stund um Stund. Mehr Entschleunigung geht kaum.

Zum Ausklang sei als Alternative zum Kännchenkaffee ein Drink am Stadtstrand an der Saale empfohlen. Aber Vorsicht: Menschen mit Kniegelenksarthrose können die tiefen Klappstühle nur mit Hilfe wieder verlassen.

© SZ vom 26.05.2015 / nas - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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