Reichenhall-Prozess:30 Jahre Schlamperei

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Die Stadt hat bei der Wartung der Eishalle geschlampt, darüber sind sich die Gutachter im Prozess um den Einsturz einig. Doch ob das die Ursache für das Unglück war, bleibt weiter offen.

Heiner Effern

Die Stadt Bad Reichenhall hat bei der Wartung des undichten Daches ihrer Eishalle mehr als 30 Jahre lang geschlampt. Darüber waren sich die fünf Gutachter im Prozess um den Halleneinsturz, bei dem im Januar vergangenen Jahres 15 Menschen ums Leben kamen, weitgehend einig.

Die Gutachter zeigten im Prozess unterschiedliche Auffassungen über die Ursachen des Halleneinsturzes. (Foto: Foto: ddp)

Die Tatenlosigkeit des Bauamts könnte jedoch ohne rechtliche Folgen bleiben. Denn keiner der Gutachter wollte sich am Montag vor dem Landgericht Traunstein darauf festlegen, dass das wegen der Schlamperei eintretende Regenwasser hundertprozentig einer der Gründe für den Halleneinsturz war. Ohne diese Aussage sieht die Staatsanwaltschaft keine Möglichkeit, gegen die verantwortlichen Mitarbeiter der Stadt vorzugehen.

Die Befragung der fünf Sachverständigen zog sich über den gesamten Prozesstag hin. Während sich das Gericht mit wenigen punktuellen Fragen begnügte, versuchte die Staatsanwaltschaft, die Anklage gegen den Statiker Walter G., 68, den Architekten Rolf R., 64, und den Bauingenieur Rüdiger S., 55, wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen Punkt für Punkt festzuklopfen.

Inwieweit dies gelang, darüber herrschte im Verhandlungssaal Unsicherheit. Das lag neben der komplizierten Materie auch an den Aussagen der Gutachter. Nach einer Reihe von Prozesstagen, an denen sie als homogener Block auftraten, zeigten sie in ihrer Befragung zum Teil deutlich unterschiedliche Auffassungen.

So favorisieren die Gutachter der TU München ein Einsturzszenario, das vom Bruch des zweiten Trägers am Auflager ausgeht, worauf sich die Gruppe vom TÜV Süd keinesfalls festlegen will. Oder die Probleme mit der Feuchtigkeit in der Eishalle: Während einige Gutachter davon ausgehen, dass spätestens nach einem Artikel im Jahr 2002 die klimatische Sondersituation in Eishallen in der Fachwelt bekannt gewesen sei, wussten sogar zwei der Sachverständigen nach eigener Aussage bis ins Jahr 2006 nichts davon. Die Feuchtigkeit hatte aber entscheidenden Anteil am Einsturz.

"Stark entlastende Aussagen"

Die Staatsanwaltschaft zeigte sich nach ihrer Befragung der Gutachter zufrieden. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Antworten von fünf Experten konnten allerdings alle Parteien Positives für sich aus dem Verhandlungstag ziehen.

Als "stark entlastend" wertete Anwalt Thomas Pfister die Aussagen für seinen Mandanten Rolf R., dem das Wissen um die fehlende Statik zum Vorwurf gemacht wird. Pfister sieht nach den Aussagen der Gutachter nur den Bauleiter und den Bürochef in der Pflicht. Auch Harald Baumgärtl, der den Statiker G. vertritt, konnte kein Ergebnis erkennen, das seinen Mandanten eindeutig belastet. "Natürlich hat er Fehler gemacht, aber dass die für den Einsturz der Halle ursächlich waren, kam nicht heraus."

Einig waren sich die Gutachter über die Rolle von vier am Bau beteiligten Personen, die schon gestorben sind: des zuständigen Prüfingenieurs für den Holzbau, des Bauleiters, des Inhabers der Weilheimer Spezialfirma für die Kämpfstegbauweise und eines unbekannten Mitarbeiters der Holzbaufirma aus Rosenheim, die die Dachträger montiert hatte.

"Der Prüfingenieur kam seinen Pflichten nicht uneingeschränkt nach", sagte Stefan Winter, Professor an der TU München. Der Prüfingenieur hatte die deutlich zu hohen Bauteile für die Träger, die die Weilheimer Firma ohne Genehmigung herstellte, für unbedenklich gehalten. Zudem war die Rosenheimer Holzbaufirma, die diese Bauteile zusammenleimte, von den Plänen abgewichen. Sie wiederum pflegte sehr gute Kontakte zum Prüfingenieur.

© SZ vom 30.06.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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