Regionalkrimi im BR:Mörderisches Niederbayern

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Die Szene täuscht. Johanna Bittenbinder spielt in "Paradies 505" durchaus kein schießwütiges Weib. Als Kommissarin feuert sie lediglich auf einen Wagen, um ihren ängstlichen Begleiter von dessen Sicherheit zu überzeugen. (Foto: BR/Christian Hartmann)

In Niederbayern hat selbst der gewaltsame Tod ein regionaltypisches Flair - zumindest im Fernsehen. Der BR zeigt am Samstag einen neuen Heimatkrimi, der den wohligen Titel "Paradies 505" trägt und trotzdem ziemlich gruselig ist. Das Drehbuch stammt vom Straubinger Tatort-Autor Limmer.

Von Hans Kratzer

Die Niederbayern sind ein gottesfürchtiges Volk, sie lieben die Frauen und machen gerne Brotzeit, aber leider hauen sie gelegentlich auch zu. Schon in den 7000 Jahre alten Gräbern der frühesten Stammesangehörigen liegen Ermordete, denen seinerzeit die Schädel eingeschlagen wurden. Die Tradition des Totmachens hat bis heute überlebt, nur werden die Leichen immer origineller entsorgt. So atmet in Niederbayern selbst der gewaltsame Tod ein lokaltypisches Flair - zumindest im Kriminalroman. Entweder wird der Tote aus einer Odelgrube und einer Wurstküche gezerrt, oder er hängt droben auf einem Jägerstand.

Am Samstag wird im Bayerischen Fernsehen ein neuer Niederbayern-Krimi zu sehen sein, der den wohligen Titel "Paradies 505" trägt. Trotzdem reiht er sich stimmig in die Gruselgalerie ein, indem er zwei Buben präsentiert, die im Wald einen aus der Erde ragenden lackierten Zeh entdeckt haben. "'S muas a Frau sei, wei da Zäha is ogmoit", lautet ihre Einschätzung (übersetzt: Es muss eine Frau sein, weil der Zeh angemalt ist), bevor deutlich wird, dass die Frau gewaltsam ums Leben kam und dann hierher transportiert und verscharrt wurde.

Sieht man einmal von dem betörenden Klassiker "Jagdszenen aus Niederbayern" aus den 60er Jahren ab, so ist das mörderische Niederbayern erst vor gut fünf Jahren so richtig von der Filmbranche entdeckt worden. Der vom Bayerischen Rundfunk (BR) organisierte Dreh für den ersten Niederbayern-Krimi ("Sau Nummer vier") kam überraschend, denn bis dahin sorgten vor allem die Allgäu-Krimis mit dem Bestseller-Kommissar Kluftinger für volle Kassen und hohe Quoten.

Überdies hatte das Filmteam im abgelegenen Rottal gedreht, also aus Großmünchner Sicht in einer "terra incognita", wo der Transformationsprozess in Richtung Moderne noch nicht abgeschlossen ist. Das Risiko wurde dennoch belohnt, eine Zuschauerquote von fast 21 Prozent für "Sau Nummer vier" bescherte dem BR anno 2010 einen beachtlichen Erfolg - wenngleich die Bevölkerung das Ergebnis zwiespältig bewertete. Nicht wenige reagierten erbost, weil sie sich im Krimi überwiegend als Tölpel und Dummköpfe charakterisiert fühlten.

Der landesweiten Würdigung des Films tat diese Kritik keinen Abbruch. Der Regisseur, Grimme-Preisträger Max Färberböck, wurde im Jahre 2011 für "Sau Nummer vier" mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Färberböck begründete seine Hinwendung zum Heimatkrimi mit dem Argument, dass die Charaktere der Menschen mehr im Vordergrund stünden als die Frage, wer der Mörder ist. "In Wirklichkeit geht es um die Verhaltensweisen der Leute", sagt er.

Wer dies herausarbeiten will, für den ist das ländliche Niederbayern in der Tat ein Paradies. Während der Dreharbeiten habe er großen Respekt vor dem dortigen Menschenschlag entwickelt und vor allem den niederbayerischen Humor schätzen gelernt, sagt Färberböck, der für Filme wie "Bella Block" und "Anonyma - eine Frau in Berlin" weitere bedeutende Auszeichnungen erhalten hat.

In "Paradies 505" werden die meisten Figuren aus "Sau Nummer vier" weiterentwickelt. Dass die von der Kabarettbühne bekannte Bettina Mittendorfer von einer Nebenrolle ins Zentrum der Erzählung rückt, zeigt die Richtung auf. Der Regisseur serviert zwar einen Krimi, aber nicht ohne eine gehörige Prise Humor und Poesie. Überhaupt leben die BR-Heimatkrimis von ihren starken Figuren und ihrer glaubhaften Verwurzelung, die auch im Dialekt zum Ausdruck kommt, der sich hier - ARD-untypisch - kraftvoll entfalten darf.

Besonders stark kommt diese lokale Authentizität in der Rolle der Polizeihauptkommissarin Gisela Wegmeyer zum Ausdruck. Diese wird von Johanna Bittenbinder dargestellt, die mittlerweile zu den beeindruckendsten Größen der bayerischen Schauspielerzunft zählt. Die Wegmeyer-Rolle wurde ihr praktisch auf den Leib geschrieben. "So was passiert in einem Schauspielerleben ned so oft. Ich hab mir gedacht, das ist jetzt Ostern und Weihnachten auf einen Tag", sagt sie zu ihrem Glück, das sie sich mit einer brillanten Nebenrolle im Tatort "Mord in der Au" verdient hatte. Damals beschloss die Crew der Roxy Film: "Die braucht unbedingt eine Hauptrolle!"

Auf die Frage, warum der Boom der Heimatkrimis nicht nachlässt, weiß Frau Bittenbinder eine einfache Antwort: "Sie sind einfach authentisch." Der Dialekt, so findet sie, biete für solche Filme die beste Basis. "Weil alles plötzlich viel anschaulicher wird und weil man damit einfach gute Geschichten erzählen kann."

Das Drehbuch stammt aus der Feder des Straubinger Tatort-Autors Christian Limmer, dem die Verhältnisse in Niederbayern mitsamt ihrer Abgründigkeit wohlvertraut sind. Deshalb lässt er Johanna Bittenbinder und ihre Kollegen nun nicht mehr im Schweinestall wie in "Sau Nummer vier" recherchieren, sondern in der Wellnessoase Paradies 505. Niederbayerische Flächenphänomene wie Sauhaltung und Thermalbad sind eben ideale Parameter für einen Heimatkrimi, der auch komische Seiten haben darf. Gerade deshalb wirken solche Filme auch wie eine Liebeserklärung an Gegenden, die den Menschen eine Lebenshaltung einträufeln, eine eigene Sprache und eine lebhafte Bockigkeit.

Seit 2007 lässt der BR jährlich einen Heimatkrimi produzieren. Die mit vielen Preisen dekorierte Reihe geht abwechselnd in die verschiedenen Regionen Bayerns. "Paradies 505" ist der sechste Film der BR-Heimatkrimireihe.

Paradies 505, BR-Heimatkrimi, Bayerisches Fernsehen, Samstag 20.15 Uhr

© SZ vom 18.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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