Regionale Rivalitäten in der CSU:Die da unten, wir hier oben

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"Jetzt haben wir einmal einen aus Franken gehabt ..." Rivalitäten und Folklore haben in Bayern schon immer eine wichtige Rolle gespielt.

Georg Seiderer

Die bayerische Landtagswahl scheint tiefe Gräben zwischen Franken und Altbayern freigelegt zu haben. Der aus Franken stammende Ministerpräsident Günther Beckstein wurde, so scheint es, von der Phalanx innerparteilicher Gegner aus Ober- und Niederbayern zu Fall gebracht.

Der Franke ist weg: Günther Beckstein. (Foto: Foto: dpa)

Die Medien berichteten, dass es "massive Verwerfungen" zwischen Franken und Altbayern in der CSU-Landtagsfraktion gebe. Und in der Umgebung Nürnbergs lässt sich Volkes Stimme mit dem betrübten Stoßseufzer vernehmen: "Etz hammer amal an aus Franggn ghabt, und etz schmeißt der es Handduch."

Der ehemalige bayerische SPD-Vorsitzende Wolfgang Hoderlein - bereits der Name lässt auf die fränkische Herkunft schließen - sprach gar von einem "Kulturkampf" und riet der CDU, sich bis an die Grenzen Altbayerns auszudehnen - die Vorstellung einer rein weiß-blauen CSU lässt offenbar sogar die SPD hoffen, eine mehr als nur marginale Rolle in der Landespolitik zu spielen.

Der Beckstein-Bonus

Tatsächlich lassen sich im Ergebnis der Landtagswahl deutliche Abweichungen zwischen Franken und Altbayern ausmachen: Zwar verlor die CSU flächendeckend an Stimmen, doch lagen die Verluste in den drei fränkischen Regierungsbezirken "nur" zwischen 11,7 und 14,5 Prozentpunkten, während sie sich in Altbayern (also in der Oberpfalz, in Nieder- und Oberbayern) von Nord nach Süd in ansteigender Höhe zwischen 18,1 und 20,9 Prozentpunkten bewegten. (Schwaben hielt mit einem Verlust von 16,8 Prozentpunkten einen unentschiedenen, leicht zu Altbayern tendierenden Mittelwert.)

In Mittelfranken - der Großraum Nürnberg zählt nicht gerade zu den traditionellen Hochburgen der CSU - hielt vielleicht auch ein Beckstein-Bonus die Verluste in den relativ engsten Grenzen; in Oberbayern dagegen scheint sich eher ein Beckstein-Malus - oder der Ärger über den Abgang Stoibers - ausgewirkt zu haben. Droht nun womöglich ein Aufbrechen Bayerns entlang geographischer Konfliktlinien, mit dem rot-weißen Franken auf der einen und dem weißblauen Bayern auf der anderen Seite?

Unter Maximilian Joseph von Montgelas war das neue Bayern zu Beginn des 19. Jahrhunderts rigoros und zentralistisch zusammengeschmiedet worden. Den fränkischen und schwäbischen Territorien, Reichsstädten und Reichsritterherrschaften, die zwischen 1802/03 und 1817 an Bayern fielen, wurden bayerische Verwaltungseinrichtungen übergestülpt. Die Grenzen der Kreise, der Vorläufer der heutigen Regierungsbezirke, durchschnitten willkürlich einstige Territorien. Ihre nach französischem Vorbild verliehene Namen - Rezatkreis oder Pegnitzkreis zum Beispiel - sollten keinerlei Reminiszenzen an einstige Zugehörigkeiten aufkommen lassen.

"Bayerische Nation" als Ziel

Der aufgeklärte bürokratische Staatsabsolutismus unter Montgelas leitete einen Integrationsprozess auf verschiedenen Ebenen ein, der die neubayerischen Gebiete in Franken und Schwaben (und, nicht zu vergessen, in der Rheinpfalz) mitsamt ihren Bewohnern in das neugeschaffene und neugeformte Königreich Bayern eingliederte. Das Ziel war eine "bayerische Nation", zu deren Schöpfung noch unter König Maximilian II., nach der Revolution von 1848/49, forcierte Anstrengungen unternommen wurden.

Auf der anderen Seite war es der bayerische Staat selbst, der in Franken und Schwaben die Erinnerung an die vorbayerische Zeit wach hielt. Die von König Ludwig I. im Jahr 1837 neuformierten Kreise lehnten sich in ihren - seither mehrfach veränderten - Grenzen teilweise an diejenigen des alten Fränkischen beziehungsweise Schwäbischen Reichskreises an.

Damit tauchten die Begriffe "Franken" und "Schwaben" in der staatlichen Gliederung Bayerns wieder auf, und in das bayerische Staatswappen wurde unter anderem der "fränkische Rechen" aufgenommen, dem seither die Rolle eines Symbols für Franken zukommt. Die Neubenennung der nordwestlichen Kreise in Unter-, Ober- und Mittelfranken (wenigstens dies letztere war eine sprachliche Neuschöpfung) trug dazu bei, dass ein "Franken-Bewusstsein" fortlebte - und sich zugleich in die neuen Regionalismen auffächerte.

Die Gliederung Bayerns in die drei fränkischen und die drei altbayerischen Regierungsbezirke sowie Schwaben stellt seither ein zentrales Strukturmerkmal Bayerns dar, das auch politisch wirksam blieb: Den meist sorgsam beachteten "Regionalproporz" zu vernachlässigen, hieße auch in der scheinbar so monolithisch wirkenden CSU, Konflikte heraufzubeschwören.

Ein wie auch immer begründetes regionales Bewusstsein ist nicht einfach gegeben, sondern dem Wandel unterworfen. Es beruht auf Konstruktionen, und dabei überlagern sich unterschiedliche Identitäten - gleich, ob es sich dabei um die nachwirkende Erinnerung an die einstige reichsstädtische Selbstständigkeit handelte, um die Orientierung an der deutschen Nation, oder eben um die Loyalität gegenüber dem Königreich Bayern.

Dieses regionale Bewusstsein ist in unterschiedlichen Zusammenhängen aktualisierbar. So konnte ein Rückgriff auf ein fränkisches Regionalbewusstsein im Rahmen konfessioneller Konflikte unter Ludwig I. erfolgen, aber auch in der Revolution von 1848/49, oder, eher unpolitisch, in der - wie der Historiker Werner K. Blessing sagte - "folkloristischen Entdeckung Frankens" im späten 19. Jahrhundert. Parallel dazu war damals selbst in Nürnberg das alpenländische Zitherspiel in Kostümen des bayerischen Oberlands populär.

Die wiederkehrende Klage über die angebliche oder tatsächliche Benachteiligung Frankens erscheint aus dieser Perspektive beinahe als Teil eines Folklorismus, in dem sich ein eingewurzeltes Misstrauen gegen den Münchner Zentralismus ebenso zeigt wie die Aktualisierbarkeit eines von Fall zu Fall ausgespielten Regionalismus. Dergleichen ist - wie auch die nun sichtbar gewordenen Gräben - nicht überzubewerten.

Es ist Teil eines Spiels, in dem politische Interessen von Regionen, Bezirken oder Kommunen formuliert und vertreten werden, und mitunter auch Klischees, Ressentiments und andere identitätsstiftende Elemente aus dem Arsenal der Gruppenbildung und Binnendifferenzierung bei Bedarf ausgepackt und auch wieder eingepackt werden können. Weil jeder auf mehrere Identitäten zurückgreifen kann, kann man auch flexibel mit ihnen umgehen. Eine Konstante bayerischer Politik dürfte der Bezug auf die Regionen aber wohl bleiben: Seine ungebrochene Popularität zeigt sich in den Reaktionen auf die "Verwerfungen" nach dem Wahlsonntag.

Georg Seiderer, Jahrgang 1961, ist Professor für Neuere Bayerische und Fränkische Landesgeschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg.

© SZ vom 08.10.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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