Rechter Terror:Bayerns braunes Spinnennetz

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Kooperation statt Konkurrenz: Unter dem Neonazi Martin Wiese schlossen sich mehrere bayerische Kameradschaften zusammen. Die Ambitionen der neuen Führungsfigur in der bayerischen Neonazi-Szene, die bereits 2003 wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden war, gehen offenbar weit über die Grenzen Bayerns hinaus.

Frederik Obermaier

Der Prozess wegen der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" lief noch, da kündigte Martin Wiese bereits seine Pläne für die Zukunft an: Nach der Haft werde er "neue Wege im nationalpolitischen Kampf" gehen, die "Judenrepublik" plattmachen und erst Ruhe finden, wenn der "Endsieg" gefeiert wird, schrieb er in mehreren Briefen und unterzeichnete mit "Heil Hitler".

Sieben Jahre saß Wiese in Haft, das Bayerische Oberste Landesgericht hatte es als erwiesen angesehen, dass der heute 35-Jährige 2003 einen Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in München geplant hatte. Seit August 2010 ist der verurteilte Rechtsterrorist wieder auf freiem Fuß - und schart seither frühere Mittäter und neue Kameraden um sich.

Statt Konkurrenz fordert Wiese von Bayerns Neonazi-Kameradschaften Kooperation. Offenbar mit Erfolg: Die Zahl öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene sei zuletzt "deutlich gestiegen", schreibt der Bayerische Verfassungsschutz in seinem ersten Halbjahresbericht 2011. "Ihm gelingt es zunehmend, alte Strukturen wieder aufzubauen und inaktive Protagonisten zu reaktivieren. Bislang selbständig agierende Kameradschaften beteiligen sich nunmehr an gemeinsamen Aktionen."

Wiese war kaum aus der Haft entlassen, da schlossen sich drei Münchner Kameradschaften zu einer "Kameradschaft München-Nord" zusammen. Münchens etwa 100 Rechtsextreme scheinen seinen Führungsanspruch zu akzeptieren. Beobachter der rechten Szene berichten von besten Kontakten mit Kameradschaften aus dem Umland - etwa dem "Aktionsbund Freising" und der "Jagdstaffel D.S.T." aus Geretsried.

In Wieses Wohnort Geisenhausen (Landkreis Landshut) wurde im Juli die "Kameradschaft Geisenhausen" gegründet, wenig später demonstrierten 250 Neonazis in Wunsiedel gegen die Auflösung des Grabes von Rudolf Heß. Zum Schulbeginn verteilten Neonazis vor Münchner Schulen Flugblätter. Immer dabei: Martin Wiese.

Nach Angaben von Verfassungsschützern ist er die neue Führungsfigur in der bayerischen Neonazi-Szene - seine Ambitionen jedoch gehen offenbar weit über die Grenzen des Freistaats hinaus. Im Herbst 2010 startete Wiese das Internetportal nsb-deutschland.de. Es sollte der "Nationalen Sozialistischen Bewegung" als Plattform dienen. Ziel ist die Vernetzung sämtlicher Organisationen der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Wie weit Wiese damit bereits gekommen ist, lässt sich schwer sagen.

Eine braune Truppe mit terroristischem Potential hat der Mann mit der bulligen Statur und dem Hakenkreuz-Tattoo auf der Brust schon einmal gegründet. Die "Kameradschaft Süd" sah sich in der Tradition der Wehrsportgruppe Hoffmann, aus deren Umfeld auch der Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler stammte. 1980 hatte er mit einer Bombe 13 Menschen getötet, mehr als 20 Jahre später wollte Wiese es ihm gleichtun. Bei der Feier zur Grundsteinlegung des jüdischen Zentrums in München wollte er eine Bombe zünden oder die Gäste mit Granaten beschießen.

Helfen sollte ihm die "Schutzgruppe": Etwa 15 Männer und Frauen aus München und Umgebung, die sich als rechtsextremistische Elite sahen. In den Wäldern südlich von München trainierten sie für den Kampf ums Vierte Reich und sprachen über Selbstmordattentate auf dem Marienplatz. Der Verfassungsschutz jedoch hörte mit, die braune Truppe wurde festgenommen. Die Polizei fand mehr als ein Kilogramm TNT, eine Handgranate und zwei Waffen. Wo vier weitere Pistolen abgeblieben sind, ist bis heute unklar. Vor dem Staatsschutzsenat wollte Wiese dazu keine näheren Angaben machen.

Ein Teil der Schutzgruppe ist mittlerweile wieder aktiv: Wieses Adlatus leitet seit 2008 die Kameradschaft München, ein anderer Verurteilter ist beim "Freien Netz Süd" aktiv, der frühere Waffenlieferant Wieses traf sich mit Mitgliedern der Geretsrieder "Jagdstaffel" und Skinheads der "Kraken München" zu Schießübungen in Tschechien.

Wiese selbst muss sich eigentlich von seinen früheren Mittätern fernhalten. Bis 2015 haben die Richter ein Kontaktverbot verhängt. Bei Zuwiderhandlung droht dem Rechtsextremen Gefängnis. Bislang jedoch tut sich die Justiz schwer, Wiese einen Verstoß gegen seine Auflagen nachzuweisen. Nur weil Wiese mit seinen früheren Terror-Kumpanen zusammen auf einer Demo marschiere, bedeute noch nicht, dass sie auch kommuniziert hätten. Um die Kontaktaufnahmen gehe es jedoch, die rechte Gesinnung könne man ihm ja nicht verbieten.

© SZ vom 14.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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