Prozesse - Karlsruhe:Arzthaftung für hinausgezögerten Tod?

Prozesse - Karlsruhe: Eine Statue der Justitia hält eine Waage und ein Schwert in der Hand. Foto: Arne Dedert/dpa/Symbolbild
Eine Statue der Justitia hält eine Waage und ein Schwert in der Hand. Foto: Arne Dedert/dpa/Symbolbild (Foto: dpa)

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Karlsruhe (dpa) - Ein Mann will Schmerzensgeld von einem Arzt, der das Leiden seines demenzkranken Vaters am Lebensende aus seiner Sicht unnötig verlängert hat - jetzt ist er damit auch beim Bundesverfassungsgericht gescheitert. Die Karlsruher Richterinnen und Richter nahmen seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Beschluss hervorgeht.

Der aufsehenerregende Fall war vor einigen Jahren durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gegangen. Der 2011 gestorbene Vater hatte seine letzten Lebensjahre in einem Münchner Pflegeheim verbracht - bewegungsunfähig im Bett, außerstande sich mitzuteilen, mit Schmerzen und Fieber. Der in die USA ausgewanderte Sohn hielt das für sinnlose Quälerei. Seiner Meinung nach hätte der Arzt die Ernährung per Magensonde irgendwann stoppen und den Vater sterben lassen müssen. Er wollte als Erbe mindestens 100.000 Euro Schmerzensgeld und mehr als 52.000 Euro für Pflegekosten.

Der BGH hatte eine derartige Haftung aber grundsätzlich ausgeschlossen. "Das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten zu", hatte die Vorsitzende Richterin bei der Urteilsverkündung im April 2019 gesagt. Deshalb verbiete es sich, ein Weiterleben als Schaden anzusehen - auch wenn es leidensbehaftet sei.

Gegen dieses Urteil hatte der Sohn noch Verfassungsbeschwerde eingelegt. Ohne Erfolg: Die Richter verweisen zwar auf ihr Grundsatzurteil zur Suizidhilfe aus dem Februar 2020 und das darin verankerte Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Der BGH setze das Leben "in einer Weise absolut, die Zweifel daran wecken könnte, ob das Selbstbestimmungsrecht hinreichend Beachtung findet", schreiben sie. "Es ist daher auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass eine lebenserhaltende Maßnahme, die gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt wird, haftungsrechtliche Folgen haben kann." In diesem Fall hier sei der tatsächliche oder mutmaßliche Wille des Verstorbenen aber nicht feststellbar gewesen.

Bei dem demenzkranken Vater war unklar, ob und wie lange er die 2006 gelegte Sonde gewollt hätte. Er hatte keine schriftlichen Behandlungsanweisungen in einer Patientenverfügung hinterlassen, und selbst äußern konnte er sich später nicht mehr. (Az. 1 BvR 1187/19)

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, die Entscheidung zeige einerseits: "Was würdiges Leben ist, entscheidet nur der Betroffene selbst." Äußere sich jemand aber nicht, habe eine Behandlung und Ernährung so lange zu erfolgen, bis der Sterbeprozess einsetze. "Jeder, der das nicht haben will, muss sich diesem Thema stellen - auch wenn es unangenehm ist."

© dpa-infocom, dpa:221129-99-707962/3

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