Prozess um Amoklauf:Blutbad im Wirtshaus

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"Ich hatte irgendwie schon mit allem abgeschlossen": Der Amokläufer von Saltendorf rätselt vor Gericht, warum er einen Menschen tötete und sechs verletzte.

Hans Holzhaider

Am Abend des 30. November 2005 - es war ein Sonntag - gegen 21.45 Uhr betrat der ledige Landwirt und Maschinenbauer Johann Michael Meier die Gastwirtschaft Schlosser in Saltendorf, einem Ortsteil der Gemeinde Wernberg-Köblitz.

Er trug eine mit mindestens 15 Schuss geladene Pistole vom Kaliber 9 mm bei sich. In der Gaststätte Schlosser ging eine Pfarrversammlung zu Ende, die ersten Teilnehmer wollten gerade aufbrechen.

Manfred G. stand an der Garderobe, er wurde von zwei Schüssen in den Bauch getroffen, die seine linke Niere zerrissen und einen Lendenwirbel verletzten. Er kann sich seitdem nur noch im Rollstuhl fortbewegen.

Die Eheleute Andreas und Hildegard W. versuchten, sich durch die Tür zum Flur zu retten. Johann Meier feuerte einen Schuss auf die Tür, der das Türblatt glatt durchschlug und Andreas W. tödlich ins Herz traf. Weitere Schüsse trafen Hildegard W., die Wirtsleute Johann und Maria S. und deren Tochter Christine, die in den Bauch getroffen wurden, und einen weiter Gast, der mit einem Unterarmdurchschuss davonkam.

Missglückter Selbstmord

Vier Stunden lang schilderte der 41-jährige Johann Meier am Dienstag vor dem Landgericht in Amberg seine Lebensgeschichte und die Tage und Stunden vor der Tat, die in der Oberpfalz Entsetzen und Ratlosigkeit ausgelöst hatte. Wenn man ihm glauben dürfte, dann war der Amoklauf von Saltendorf in Wirklichkeit gar kein Amoklauf, sondern ein missglückter Selbstmord.

Aus schierer Verzweiflung und Hilflosigkeit habe er sich erschießen wollen, und die öffentliche Kulisse habe er nur gewählt, damit alle sehen sollten, in welch einer ausweglosen Situation er sich befand. Dann sei, er wisse auch nicht wie, alles außer Kontrolle geraten: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, jemanden zu töten oder zu verletzen", beteuerte der Angeklagte einem offensichtlich sehr skeptischen Vorsitzenden Richter Klaus Demmel.

Die Geschichte, die Johann, genannt "Hansl" Meier erzählte, ist in der Tat die eines durch und durch unglücklichen Lebens. 1956 als Sohn eines Bauern in Damelsdorf geboren, gab es für ihn nie eine wirkliche Perspektive. Nach neun Jahren Volksschule habe er unter dem massiven Druck der Eltern eine Ausbildung als Landwirt gemacht, obwohl ihm dieser Beruf nie Freude gemacht habe.

Nach dem Wehrdienst arbeitete er weiter auf dem elterlichen Hof ohne einen Pfennig Lohn und musste dann, da war er schon 30, ohnmächtig hinnehmen, das die Eltern den Hof seinem sieben Jahre jüngeren Bruder überschrieben. Der habe dann, nachdem die Eltern im Austrag waren, die Landwirtschaft aufgegeben, das Land verpachtet oder verkauft und alles getan, um seinen älteren Bruder, dem die Eltern ein auf zehn Jahre befristetes Wohnrecht eingeräumt hatten, vom Anwesen zu vergraulen.

"Extrem heimatverbunden"

Hansl Meier schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, lebte aber hauptsächlich von Leistungen des Arbeitsamts. Deshalb musste er sich auch im Dorf allerlei abfällige Bemerkungen gefallen lassen. Wegziehen aber wollte er auf keinen Fall, er sei "extrem heimatverbunden", er könne sich einfach nicht vorstellen, anderswo zu leben.

Die Situation verschärfte sich, nachdem die Mutter 1998 gestorben war und der Vater schwer erkrankte und schließlich pflegebedürftig wurde. Er habe den Vater ganz allein gepflegt, vom Bruder und dessen Frau aber nur Spott und Undank geerntet, berichtet Meier. Als der Vater schließlich im August 2005 starb, habe der Bruder ihm nur ein paar Wochen Frist gegeben, um sich eine neue Bleibe zu suchen - am 2.November hätte er das elterliche Anwesen verlassen müssen. "Ich war zutiefst gekränkt", sagt Meier.

Das alles habe er in sich hineingefressen und mit niemandem besprechen können, nicht einmal mit seiner Freundin Gerlinde, mit der er sich zwar regelmäßig traf, mit der er aber doch nicht zusammenziehen wollte. "Gab es denn gar keinen Lösungsansatz?", fragt der Vorsitzende Richter. "Ich hatte immer einen Suizid in Erwägung gezogen", sagt der Angeklagte. Seit dem Tod des Vaters habe er das Gefühl gehabt, dass alles sinnlos geworden sei. Nicht einmal auf die Jagd sei er mehr gegangen - die Waffen, sein einziges Hobby, blieben im Schrank.

Am Sonntag, dem Tag der Tat, hatte er die Messe und danach das Familiengrab besucht. Nach Einbruch der Dunkelheit habe er auf dem Kanapee gelegen und Zeitung gelesen, da sei ihm die Notiz von der Pfarrversammlung in Saltendorf aufgefallen. Irgendwann habe er sich dann entschlossen, sich dort coram publico das Leben zu nehmen. Gegen 20Uhr kam ein Anruf von der Freundin, deren Enkelkinder ihn anbettelten, er möge zu Besuch kommen - "aber ich hatte irgendwie schon mit allem abgeschlossen".

In der Gastwirtschaft traf er dann in der Garderobe auf Manfred G., der mit den Worten "Gib das Ding her" nach seiner Pistole gegriffen habe. Da, so Johann Meier, habe er durchgedreht und geschossen, "ich weiß nicht warum". Danach habe er in Panik fliehen wollen, habe die Tür nicht aufbekommen und deshalb auf die Tür geschossen; dass ein Mensch dahinterstand, habe er nicht gewusst. An die weiteren Schüsse könne er sich nicht mehr erinnern.

© SZ vom 18.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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