Prozess in Passau:Wenn der Staatsanwalt unter die Theke schaut

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Ein solides Stück deutscher Rechtspflege: Ein Passauer Anzeigenblatt berichtet, ein "Manager der Stadt hatte Sex in der Kneipe", niemand erstattet Anzeige, der Richter zweifelt, doch der Staatsanwalt beharrt auf einer Verhandlung.

Hans Holzhaider

Es geht nichts über eine wirklich freie Presse; durch sie erfahren die Bürgerinnen und Bürger alles, was sie unbedingt wissen müssen über die Zeitläufte in der großen weiten Welt und in ihrer eigenen kleinen Stadt. Am 8. Juli dieses Jahres zum Beispiel informierte das Passauer Anzeigenblatt Am Sonntag seine Leser über einen ungeheuerlichen Vorgang: "Geschockte Gäste: Manager der Stadt hatte Sex in Kneipe!" stand in fetten Lettern auf der Titelseite. Das Ausrufezeichen signalisierte einen Vorgang jenseits jeden vernünftigen Zweifels, im Inneren des Blattes kam die Story nicht ganz so hart daher. "Wenn die Geschichte stimmt, ist sie ein Skandal", hieß es da.

Zugetragen haben soll sich, wenn die Geschichte denn stimmt, Folgendes: Gegen halb vier Uhr in der Nacht zum vorangegangenen Samstag sei der "prominente Passauer" in Begleitung einer Dame in die Kneipe "Big Ben" in der Passauer Innenstadt gekommen. Das Paar nahm in einer schmalen Nische hinter dem Bartresen Platz und bestellte ein Weißbier und einen Schoppen Weißwein.

An der Theke schräg gegenüber, durch den Schankraum getrennt, saßen mehrere andere Gäste. Kurze Zeit später habe die Bedienung, als sie sich beim Gläsereinräumen über die Theke lehnte, bemerkt, dass die Frau ihren Kopf über den Schoß des Mannes gebeugt hatte und ihn rhythmisch auf und ab bewegte.

Nachdem sie den Schankkellner auf den Vorgang aufmerksam gemacht habe, so berichtete das Sonntagsblatt weiter, habe dieser die Gäste kurzerhand aufgefordert, zu zahlen und das Lokal zu verlassen. Der Gast wurde zwar nicht namentlich genannt, aber mit so vielen Hinweisen auf seine berufliche Stellung etikettiert, dass er für Kenner der politischen Szene in Passau unschwer zu identifizieren war.

Gleich am nächsten Tag zog die seriöse Tageszeitung Passauer Neue Presse die Geschichte nach, nicht ohne den Hinweis, der anstößige Akt habe sich "unübersehbar für die restlichen acht Gäste, darunter auch Frauen" abgespielt.

Aufmerksame Leser fanden die beiden Artikel auch in der Passauer Staatsanwaltschaft. Der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walch ist ein zupackender Mann. Er hat als Staatsanwalt in Deggendorf überregional einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt durch seine außerordentliche Hartnäckigkeit bei der Verfolgung eines jungen Vaters wegen einer vermeintlichen Kindstötung, welche sich vor Gericht jedoch als plötzlicher Kindstod herausstellte.

Mittlerweile zum Behördenleiter in Passau aufgestiegen, fackelte er beim "Sexskandal um Topmanager" nicht lange. Es hatte zwar niemand Anzeige erstattet, "aber wenn die Staatsanwaltschaft Kenntnis von einer Straftat erhält, dann muss sie tätig werden", sagt Walch. Schon am 9. Juli ließ er eine Akte anlegen wegen des Verdachts der Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Fotomappe vom Tatort

Die Passauer Kriminalpolizei nahm die Ermittlungen auf, die Bedienung und der Schankkellner aus dem "Big Ben" wurden als Zeugen vernommen, die Namen der übrigen Gäste ermittelt und auch diese ausführlich befragt, eine maßstabsgetreue Skizze des "Tatorts" wurde gefertigt und eine Fotomappe angelegt, die jeder Mordermittlungsakte zur Ehre gereichen würde: Das Lokal von außen und von innen, der Tatort aus der Sicht des Herrn H. und des Herrn K. und der Frau A., der Standort der Bedienung und ihr Blickwinkel auf die Bank, auf welcher das verdächtige Paar gesessen hatte.

Die Aussagen der Bedienung und des Schankkellners lassen wenig Zweifel daran, dass die Zeitungsberichte im Kern das Geschehen leidlich korrekt wiedergeben. Die 23-Jährige, die nur aushilfsweise im Big Ben bedient, schildert anschaulich den Vorgang, den sie dann mit dem Ausruf "Pfui Deifi'' und einer volkstümlich-derben Charakterisierung des Geschehens dem Kellner weitergemeldet habe.

Dieser bestätigt, dass er die Gäste noch in Aktion beobachtet habe, ehe er die "Schweinerei" durch einen Schlag mit der flachen Hand auf den Tresen und die Aufforderung "Zahlen und gehen" beendet habe. Lediglich die Aussage in der Sonntagszeitung, dass der Pfui-Deifi-Gast "seine Hose bis auf die Oberschenkel heruntergezogen" hatte, war offensichtlich dem Bemühen des Autors um anschauliche Darstellung entsprungen.

Nun stellt sich aber die Frage, ob eine sexuelle Handlung, begangen nachts um halb vier in einer schwer einsehbaren Nische in einer schummrigen Bar den Tatbestand der "Erregung öffentlichen Ärgernisses" erfüllen kann. Die anderen Gäste erklärten den Polizeibeamten nämlich unisono, von sich aus hätten sie nichts Anstößiges bemerkt; erst durch den Ausruf der Bedienung, sozusagen post festum, seien sie aufmerksam geworden.

Der Vorwurf der Erregung öffentlichen Ärgernisses scheitere deshalb, so argumentiert der Münchner Rechtsanwalt Stephan Tschaidse, schon an der nicht vorhandenen Öffentlichkeit. Darüber gehen die Meinungen auseinander - auch wenn sich nur einer ärgert, heißt es in den einschlägigen Kommentaren, sei das Kriterium "öffentlich" bereits erfüllt, und der Rausschmiss durch den Kellner, so Oberstaatsanwalt Walch, belege ohne jeden Zweifel, dass zumindest dieser ein Ärgernis genommen habe.

Leider, aus Sicht des Staatsanwalts, ist für den Tatbestand des Paragraphen 183a aber auch ein Vorsatz erforderlich - der oder die Täter müssen also absichtlich und wissentlich ein Ärgernis erregt haben. Die Annahme aber, ein stadtbekannter Manager habe sich absichtlich des nachts beim außerehelichen Oralverkehr beobachten lassen, ist nicht nur angesichts des den allgemeinen Blicken entzogenen Tatorts schwer nachvollziehbar.

Vom Dienst suspendiert

Der Anregung des Anwalts, das Ermittlungsverfahren mangels Tatverdachts einzustellen, mochte Oberstaatsanwalt Walch dennoch nicht folgen. Er ließ beim Amtsgericht Passau einen Strafbefehl über 25 Tagessätze à 200 Euro beantragen, insgesamt also 5000 Euro. Amtsrichter Hans Wastlhuber aber legte sich quer.

Die Frage des Vorsatzes und damit der Verwirklichung des Tatbestandes sei allenfalls "offen" zu nennen, gab er zu bedenken. Er regte an, das Verfahren gegen die Zahlung von 1800 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung einzustellen. Oberstaatsanwalt Walch indessen blieb unerbittlich. Eine Einstellung kommt für ihn nicht in Frage, schon deshalb nicht, weil der Beschuldigte sich zu keinem Geständnis bereitgefunden hatte.

Also muss verhandelt werden, ein Termin im Dezember ist schon bestimmt. Es wird dabei, wenn der Richter bei seiner Einschätzung bleibt, nur noch um eine Ordnungswidrigkeit gehen: Paragraph 118 Ordnungswidrigkeitengesetz, "Belästigung der Allgemeinheit". Die Akte ist inzwischen fast 200 Seiten stark, ein solides Stück deutscher Rechtspflege. Vom persönlichen Erscheinen ist der Angeschuldigte entbunden. Die städtische Tochtergesellschaft, in deren Geschäftsführung er tätig war, hat ihn bis auf Weiteres vom Dienst suspendiert. Politisch und gesellschaftlich ist der Mann erledigt.

© SZ vom 5.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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