Prozess in Nürnberg:Stich ins Herz

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Wegen einer Depression wurde die Mutter behandelt. Bei einem Heimbesuch erstach sie ihre 15-jährige Tochter und versuchte, sich zu töten. Nun ist die Frau wegen Mordes angeklagt.

Olaf Przybilla

Nein, gestritten hat Griseldis L. am Abend des 11. August 2007 nicht mit ihrer Tochter. Die 15 Jahre alte Lisa sei aus dem Gröbsten längst heraus gewesen, berichtet ihre Mutter, Anlass für Streit gab es da kaum mehr. Lisa habe sich auch rührend um die zwei Hunde und die vier Hauskatzen gekümmert, wenn ihre Mutter in die psychiatrische Klinik musste. So auch im August, als Griseldis L., 42, im Nürnberger Nordklinikum psychologisch behandelt wurde, einer schweren Depression wegen.

Die Angeklagte Griseldis L. während der Verhandlung in Nürnberg. (Foto: Foto: dpa)

An jenem 11. August, einem Samstag, hatte die Mutter für ein Wochenende nach Hause gedurft. Am Sonntag sollte sie wieder in die Klinik zurück. Dazu aber kam es nicht mehr. In den Morgenstunden des Sonntags erstach sie ihre schlafende Tochter mit einem Küchenmesser. Ein Gerichtsmediziner spricht im Nürnberger Schwurgerichtssaal von "einem Stich ins Herz mit massiver Wucht".

Brief vom Arbeitsamt

Griseldis L., seit fünf Jahren vom Vater ihrer Tochter geschieden, berichtet von einem Abend, der auf Lisa harmonisch gewirkt haben muss. Gemeinsam sind Mutter und Tochter im Wohnzimmer eingeschlafen, auf der Fernsehcouch. Für beide hatte die Mutter zuvor ein Fertiggericht gekocht. Zu mehr will sie an diesem Tag "keine Kraft mehr" gehabt haben. Denn am Nachmittag, kurz nach ihrer Rückkehr aus der Klinik, habe sie Post von der Arbeitsagentur auf dem Tisch liegen sehen, einen dickleibigen Brief.

Die einstmalige Maschinenarbeiterin will nur die ersten Zeilen des Briefes gelesen und dabei den Eindruck bekommen haben, man wolle ihr die Bezüge streichen, sollte sie bestimmte Dokumente nicht nachliefern. In diesem Moment sei sie innerlich zusammengebrochen. Nach mehrmaligem Aufwachen in der Nacht will sie gegen sechs Uhr früh beschlossen haben, sich selbst und die neben ihr liegende Tochter zu töten, "um diesem Scheißleben ein Ende zu machen".

Mit aufgeschnittenen Pulsadern, verursacht durch ein kleineres Küchenmesser, verständigte sie später die Nachbarn. Nach dem Tod ihrer Tochter habe sie keine Kraft mehr gehabt, sich auch selbst zu töten, sagt sie. Ihre Tochter sei das Beste gewesen, "was mir in meinem Leben gelungen ist".

Hartnäckige Fragen des Staatsanwalts

Angeklagt ist Griseldis L. wegen Mordes. Sie habe die "Arg- und Wehrlosigkeit" ihrer Tochter heimtückisch ausgenutzt, erklärt der Staatsanwalt. Der Vorsitzende Richter erspart der verstörten Frau keine Frage. Warum sie das große Messer, mit dem sie ihrer Tochter das Leben nahm, "nicht auch gegen sich selbst gerichtet" habe, will er mehrmals wissen.

Und ob sie in der Klinik schon einmal mit anderen Patienten über Selbsttötung geredet habe. Ja, sagt Griseldis L., mit einer Frau, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. "Und - hat es bei dieser Frau geklappt?", fragt der Richter.

Wegen des Zustands der Angeklagten muss der Prozess mehrmals unterbrochen werden. Zum ersten Mal bricht die Beschuldigte in Tränen aus, als sie berichtet, wie ihr ein Kommissar den ganzen Inhalt des Schreibens von der Arbeitsagentur mitgeteilt habe. In dem Brief wurde der Frau keine Streichung, sondern eine Nachzahlung angekündigt.

© SZ vom 4.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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