Prozess gegen Russen-Mafia:Die unerträgliche Lässigkeit des Seins

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Im Russenmafia-Prozess zeigen sich die Angeklagten gut gelaunt, ihre Anwälte halten das Gericht für befangen.

Stefan Mayr

Die Stimmung ist bestens auf der Anklagebank. Der Hauptbeschuldigte Tigran K. lächelt immer wieder, er sieht seine mutmaßlichen Komplizen Valentin P. und Reinhold R. an, dann schmunzeln sie gemeinsam und schütteln den Kopf. Die drei aus Armenien und Kasachstan stammenden Männer sind nach Ansicht der Staatsanwaltschaft die Köpfe der bayerischen Russenmafia, seit Freitag müssen sie sich vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts München I wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten verantworten.

Der Hauptangeklagte Tigran K. betritt den Gerichtssaal der Staatsschutzkammer des Landgerichts München I. (Foto: Foto: dpa)

Der erste Prozesstag endet aber, ohne dass überhaupt die Anklageschrift verlesen wird. Stattdessen stellen die sechs Verteidiger gleich fünf Anträge, in denen sie alle Richter ablehnen und die sofortige Einstellung des Verfahrens fordern.

Die Sicherheitsvorkehrungen im Münchner Justizzentrum an der Nymphenburger Straße sind hoch. Bevor Prozessbeteiligte und Zuhörer in den Saal B277 gelassen werden, durchsucht ein Spürhund der Polizei den Raum. Die Polizisten kopieren die Personalausweise aller Zuschauer, danach muss jeder Besucher hinter einer Stellwand eine gründliche Leibesvisitation über sich ergehen lassen. Die Angeklagten werden mit Handschellen hereingeführt.

Die Blitzlichter der Pressefotografen setzen ein, der Angeklagte Valentin P. ruft: "Das reicht!" Auch Reinhold R. versucht zunächst, sich von den Kameras abzuwenden. Nur einer gibt sich von Anfang an höchst gelassen; Tigran K., der Hauptangeklagte und mutmaßliche Rädelsführer der Bande, die 200 Straftaten von räuberischer Erpressung über Drogenhandel bis zu Geld- und Urkundenfälschung begangen haben soll.

Gewaltsame Vorgeschichte

Tigran K., ein 39 Jahre alter gebürtiger Armenier mit graumeliertem Haar, legt lässig seinen Ellbogen über die Lehne des Stuhles neben ihm und lässt sich ablichten. Er trägt einen grauen Rollkragenpulli, seinen dunklen Mantel legt er bis zum Ende der Sitzung nicht ab. Konzentriert lauscht er der Dolmetscherin, die vor ihm sitzt und jedes Wort simultan übersetzt. Mitunter lacht er halblaut auf, dabei verbirgt er mit der Hand sein Gesicht vor den drei Berufsrichtern und zwei Schöffen.

Tigran K. selbst kommt an diesem Tag nicht zu Wort, denn noch bevor die Personalien der Angeklagten aufgenommen werden, verlesen deren Verteidiger ihre ausführlichen Anträge. Rechtsanwalt Helmut Mörtl fordert sogar die Einstellung des Verfahrens, weil das Gericht "in eklatantem Maße" gegen die europäische Menschenrechtskonvention verstoßen habe.

Die Ermittlungsbehörden hätten durch ihre Öffentlichkeitsarbeit über den Fall "Panikmache" betrieben und ein "aufgeputschtes Klima der Vorverurteilung" hergestellt. In dieser für die Angeklagten "unerträglichen Situation" sei ein faires Verfahren "illusorisch". Die Erfolgsaussichten dieses Antrags sind wohl eher als gering zu erachten, doch alle weiteren Anträge scheinen durchaus ihre Berechtigung zu haben.

So fordert Pflichtverteidiger Hubertus Werner die Aussetzung des Verfahrens, weil er die Akten nicht rechtzeitig und nur unvollständig erhalten habe. Werner spricht von einem "heillosen Durcheinander", das eine ordnungsgemäße Akteneinsicht unmöglich gemacht habe. Nach seinen Angaben habe ihm das Gericht nahegelegt, er solle sich die Akten doch bei einem seiner Kollegen holen, die mit dem Fall befasst seien. Doch auch diese kritisieren, dass sie nicht alle Unterlagen erhalten hätten.

Den größten Raum des ersten Verhandlungstages nehmen die Befangenheitsanträge gegen alle drei Richter ein. Den Vorsitzenden Richter und seinen Beisitzer lehnen die Verteidiger ab, weil diese bereits im August bei einem ähnlichen Verfahren gegen einen mutmaßlichen Statthalter von Tigran K. das Urteil sprachen.

Dieses Urteil, so lautet der Vorwurf, sei so formuliert, dass sich beide Richter über die Tatbeteiligung der aktuell Angeklagten "bereits präjudizierend eine abschließende Überzeugung gebildet haben".

Die zweite Beisitzerin wird abgelehnt, da sie im Jahre 2004 in einem Verfahren gegen den mutmaßlichen Hintermann der Bande, Alexander Bor, als Staatsanwältin beteiligt war. Damals hatte die Russenmafia auf die Ermittler angeblich ein Kopfgeld von 200 000 Euro ausgesetzt. "Ob man bei dieser Vorgeschichte unbefangen urteilen kann, wage ich zu bezweifeln", sagt Anwalt Werner.

Der Vorsitzende Richter lauscht drei Stunden lang mit versteinerter Miene allen Anträgen, dann vertagt er die Sitzung auf den 20. November. Über die Befangenheitsanträge muss nun eine andere Kammer des Landgerichts befinden, die Entscheidung wird zu Beginn des nächsten Termins verkündet.

© SZ vom 15.11.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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