Prozess gegen Jin Wang:Das verhängnisvolle Treffen nach dem Dirigat

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Wer hat zuerst geküsst? Jin Wang, ehemaliger Generalmusikdirektor in Würzburg, steht wegen sexueller Belästigung vor Gericht.

Olaf Przybilla, Würzburg

Jin Wang gibt zunächst ein Interview, bevor er den Gerichtssaal betritt. Seitdem er vor mehr als zwei Jahren Hausverbot am Würzburger Mainfranken-Theater bekommen hat und seit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen der sexuellen Nötigung einer Musikstudentin, sei er zum Schweigen verdammt gewesen, beklagt der frühere Generalmusikdirektor (GMD) des Theaters. Nun aber dürfe er sprechen, er freue sich darauf.

Sein Fall als Oper: Das Libretto hat Jin Wang schon mal geschrieben. (Foto: dpa)

Seit seiner Entlassung, auch das betont der Dirigent, sei er nicht tatenlos gewesen: Das Libretto zu einer Oper habe er geschrieben, die Musik dazu sei zwar noch nicht ganz fertig komponiert, der Name des Stücks aber stehe längst schon fest: "Provinztheater" soll Wangs Oper heißen, der Maestro will darin seine Erlebnisse von Würzburg verarbeiten. Nun suche er ein Haus, das diese auch aufführen will.

Das alles klingt wie ein Scherz, Wang aber meint das ernst. Er habe moralisch nichts Verwerfliches getan, schuldig im Sinne der Anklage sei er schon gar nicht, beteuert er später im Gerichtssaal. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 50-Jährigen vor, im Mai 2007 nach einer Aufführung des "Freischütz" eine damals 21 Jahre alte Studentin im Hausflur ihrer Wohnung gegen ihren Willen geküsst, sie an eine Wand gedrängt und ihr unter die Kleidung gefasst zu haben.

Wang hat sich an diesem Tag offenbar vorgenommen, wirklich alles zur Sprache zu bringen. Der Richter stellt kurze Fragen, Wang antwortet in mäandernden Sätzen. Zur Sache - dem Vorwurf sexueller Nötigung - äußert er sich erstmals nach zwei Stunden, in einer vorläufigen Kurzfassung. Vorab geht es um Themen wie den in Würzburg fehlenden Orchestermanager, darum, wie dem jungen Wang in China die Lehre von Mao gelehrt wurde, ein wenig um Konfuzius geht es, und wie ihn Leonard Bernstein gelehrt habe, die wichtigen von den unwichtigen Dingen zu unterscheiden. Die Richter versuchen, Wang aufs Thema zu lenken, bald lässt ihr Widerstand nach.

"Im positiven Sinne naiv"

Wang hat die Studentin an einer Tramhaltestelle kennengelernt. Der GMD machte dort Lockerungsübungen nach einem "Freischütz"-Probe, die Studentin kam hinzu und soll erklärt haben, dass er - Wang - sie kurz zuvor dirigiert habe. Die 21-Jährige war Mitglied im Hochschulorchester, mit den Studenten studierte Wang die zweite Symphonie von Mahler ein, die "Auferstehung". Wang schildert, die 21-Jährige habe auf ihn "sehr rein, im positiven Sinne naiv" gewirkt. Dass er vier Kinder hat und verheiratet ist, habe er ihr bei einem von zehn gemeinsamen Restaurant-Besuchen berichtet. Gefragt danach habe sie nicht.

Nach einem weiteren "Freischütz"-Dirigat hat Wang die Studentin nach Hause gebracht, so viel steht fest. Wang erklärt, er habe zuvor Stroh besorgt für ein Kaninchen, das neue Haustier der Studentin. Auf dem Weg zur Wohnung sei die Sprache auf diesen Hasen gekommen und darauf, was das Tier mit Wangs Stroh mache. Im Hausflur habe die Studentin ihm erklärt, ihr Zimmer sei unaufgeräumt, er könne nicht mit nach oben kommen, um das Kaninchen anzuschauen.

Dann soll sie ihn auf den Mund geküsst haben, er sei völlig überrascht worden davon, sagt Wang. Weil der intensive Kuss ihm unangenehm gewesen sei, habe er begonnen, sie am Körper zu küssen.

Die Studentin erzählt die Geschichte der beiden später ganz anders. Ihre Aussage wird auf eine Video-Leinwand übertragen, ein Gutachter hat ihr eine schwere Depression attestiert, sie soll Wang nicht sehen müssen. Sie sagt, der Dirigent habe ihr gleich beim ersten Treffen seine Liebe gestanden. Sie habe nicht anders zu reagieren gewusst, als zu lachen. Dass sie es gewesen sein soll, die im Hausflur sexuell aktiv wurde, bestreitet sie.

© SZ vom 03.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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