Bayern: Hausärzteprotest:Die Wunden der Ärzte

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Steigen Bayerns Hausärzte aus dem Kassensystem aus? Durchaus möglich. Doch so einen radikalen Weg wählt nur, wer sich aufs Äußerte provoziert fühlt. Und die Mediziner haben allen Grund zum Ärger.

Nina von Hardenberg

Im Märchen vom Fischer und seiner Frau angelt ein Mann einen Fisch, der eigentlich ein verwunschener Prinz ist. Weil er ihn wieder frei lässt, erfüllt der Fisch ihm fortan jeden Wunsch: erst ein Haus, dann ein Schloss und schließlich einen Palast. Am Ende aber wird der Mann maßlos in seinen Wünschen - und verliert alles.

Bayerns Hausärzte haben eine wichtige Entscheidung zu treffen: Sollen sie ihre Kassenzulassung zurückgeben? Der Ausgang der Abstimmung am Mittwoch ist ungewiss. (Archiv) (Foto: dpa)

Wer die Proteste der bayerischen Hausärzte beobachtet, kann sich fragen, ob den Medizinern Ähnliches droht. Auch sie haben viel erkämpft: Unter den Hausärzten in Deutschland verdienen die bayerischen am besten. Sie haben außerdem Extra-Honorare mit den Krankenkassen durchgesetzt, die ihre Umsätze nochmal um 25 Prozent verbessert haben und die Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler nun abschafft. Deshalb wollen die Ärzte aus dem System aussteigen - und könnten darüber am Ende all ihre Privilegien verlieren.

In Bayern tobt ein Kampf, den viele Patienten nicht mehr verstehen, den aber Ärzte in ganz Deutschland genau beobachten. Ausgerechnet jene Mediziner, die so viel erstritten haben, wollen nun kollektiv ihre Kassenzulassung zurückgeben. Der so provozierte Notstand soll die Kassen zwingen, ihnen weiterhin die Extra-Honorare anzubieten. Sollten die Ärzte den Schritt wirklich wagen und Erfolg haben, könnten andere Arztgruppen in Deutschland folgen.

Für die Hausärzte steht viel auf dem Spiel: Wer im überversorgten Bayern einmal seine Zulassung abgibt, bekommt sie nicht mehr zurück. Verlieren die Ärzte also den Machtkampf, verlieren sie auch ihre Existenzgrundlage.

Einen derart radikalen Weg schlägt nur ein, wer sich aufs äußerste provoziert fühlt. Tatsächlich haben die Allgemeinmediziner Grund zum Ärger. Schließlich hat Minister Rösler ihnen eine ihrer größten Errungenschaften genommen. Damit ist eine wunderschöne Einnahmequelle der Ärzte erst einmal tot. Das schmerzt und passt auch nicht zu dem Loblied, das der Minister sonst auf die Landärzte singt. Seine Idee, Hausärzte mit allerlei Anreizen aufs Land zu locken, müssen die Mediziner als Hohn empfinden, da er zugleich ihre Verdienste beschränkt.

Der Schmerz über den Verlust der gerade erkämpften Privilegien allein erklärt die Wut der Mediziner aber nicht. Die Hausärzte fühlen sich in dem System der ärztlichen Selbstverwaltung seit jeher benachteiligt. Tatsächlich hatten in der Interessenvertretung der Ärzte lange die Fachärzte das Sagen. Gerätemedizin wurde höher angesehen und auch besser bezahlt als die sprechende Medizin.

Die Politik hat aber erkannt, wie wichtig die Hausärzte gerade für die Versorgung einer älter werdenden Bevölkerung sind, für Menschen, die intensiv betreut werden müssen und die zu gebrechlich sind, um weite Strecken zum nächsten Ärztehaus zu fahren. Schon die frühere Ministerin Ulla Schmidt hat daher versucht, den Beruf des Hausarztes aufzuwerten. Und auch in der Ärzteschaft selbst haben sich die Allgemeinmediziner längst besser positioniert. Bei den durchschnittlichen Honoraren haben sie manchen Facharzt überholt, darunter die Hautärzte und Anästhesisten.

Bayerns Hausärzte haben eine wichtige Entscheidung zu treffen: Sollen sie ihre Kassenzulassung zurückgeben? Der Ausgang der Abstimmung am Mittwoch ist ungewiss. (Archiv) (Foto: dpa)

Der Arztberuf ist für viele Mediziner auch heute noch nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. Das Motiv, helfen zu wollen, geben Medizinstudenten nach wie vor als wichtigsten Grund für ihre Studienwahl an. Das heißt nicht, dass sich Ärzte deshalb ausbeuten lassen sollten. Aber es heißt doch, dass für sie offenbar andere Motive als nur das Geld leitend sind. Ein Motiv sind die Patienten, für die sie Verantwortung tragen. Wer von den Patienten her denkt, sollte ein System, das ihnen seit knapp 80 Jahren immer genügend Ärzte garantiert, nicht leichtfertig aufgeben.

Doch auch die Kassen tragen Verantwortung. Es ist unklug, dass sie noch über den Gesundheitsminister hinausgehen und die Extra-Honorare bereits 2011 streichen wollen - während der Minister den Ärzten eine längere Übergangszeit zugestehen wollte. Damit provozieren die Kassen alle Ärzte zusätzlich. Das Argument, die Ärzte verletzten die Vertragsgrundlage, weil sie zum Systemausstieg aufrufen, ist vorgeschoben: Die Kassen sind vielmehr froh, die teuren Verträge los zu sein. Doch kein Frieden ist so teuer wie der Krieg, der noch folgen kann, wenn die Ärzte tatsächlich das System verlassen.

Alte Wunden heilen schwer, und das Gefühl, im derzeitigen System schlecht aufgehoben zu sein, sitzt bei manchem Hausarzt tief. Doch zu den Tugenden des Arztberufes gehört auch die prudentia, die kluge Voraussicht. Die Ärzte müssen sich also fragen, ob ein Systemausstieg die richtige Antwort auf die gefühlte Zurücksetzung ist. Ob sie ein System aufgeben sollten, das ihnen, bei allen bürokratischen Zwängen, doch eine Existenzsicherung bietet, von der andere Freiberufler nur träumen können.

In einem gut organisierten Verband könnten die Hausärzte zwar vielleicht ihre Interessen alleine sogar besser vertreten als derzeit im Kollektiv. Da es im Gesundheitswesen insgesamt aber nur eine begrenzte Summe Geld zu verteilen gibt, würde das aber immer zu Lasten anderer Arztgruppen gehen. Die Geschichte zeigt, dass die Ärzte immer gemeinsam am stärksten waren, aber nicht, wenn jeder auf eigene Rechnung sein Glück versuchte.

© SZ vom 22.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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