Prien:Bürgermeister verzweifelt gesucht

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Ein Priener Bürgerverein engagiert seinen Bewerber per Stellenanzeige - andere Gemeinden finden gar keinen Kandidaten.

Heiner Effern

Die politische Karriere des Jürgen Seifert schien nach nur 90 Minuten beendet zu sein. "Das war's", dachte er, als er zu seiner Frau ins Auto stieg und heim nach Kulmbach fuhr. Denn irgendwann in diesem Vorstellungsgespräch war es Jürgen Seifert zu viel geworden. Da saß er vier Leuten gegenüber, die per Zeitungsinserat einen Bürgermeisterkandidaten für ihre Marktgemeinde Prien am Chiemsee suchten, und immer wieder musste er sich anschießen lassen. "Da ist es dann richtig zur Sache gegangen, aber verstellen hat bei so einer Aufgabe keinen Zweck", sagt er heute. "Die mussten mich so nehmen wie ich bin."

Genau das haben sie zu seiner Überraschung getan. Dabei hatte Seifert, der bislang als Kämmerer der Stadt Kulmbach arbeitet, den Traumberuf "Bürgermeister am Chiemsee" abgehakt, weil er nach dem Gespräch wochenlang nichts mehr hörte. Doch dann lud ihn der Verein "Mehr Demokratie für Prien" nochmal ein und eröffnete ihm, dass er der Beste war. "Seifert war der einzige der vier Kandidaten in der Endausscheidung, der auf Aggressionen reagiert und widersprochen hat. Leute, die den Schwanz einziehen, brauchen wir nicht", sagt der Vereinsvorsitzende Joachim Helm, 69.

Seine Gruppe hat die Kandidatenstelle für das Bürgermeisteramt bayernweit ausgeschrieben. "Prien hat ein Haushaltsvolumen von 18 Millionen Euro im Jahr. Mit 80 Angestellten und mehr als 50 im privatisierten Tourismusbetrieb gleicht es einem mittleren Unternehmen. So muss die Gemeinde auch geführt werden", sagt Helm.

Allerdings gibt es keinen Priener, dem Helm und seine Mitstreiter diesen Job zutrauen und der dazu auch bereit wäre. Mit dem amtierenden Bürgermeister Christian Fichtl von der CSU sind sie äußerst unzufrieden. Also entwarf der Verein eine Stellenausschreibung, die am 6. Juli 2007 in der Bayerischen Staatszeitung erschien.

Das Anforderungsprofil war klar umrissen. Der Kandidat darf nicht älter als 50 und nicht jünger als 35 sein, er muss ein Verwaltungsstudium und mehrjährige Berufserfahrung als Kämmerer vorweisen. Und er muss parteipolitisch ungebunden sein. Dafür habe Prien einiges zu bieten: Gehaltsklasse B2 (Grundgehalt 5716 Euro), einen Dienstwagen und einen Chefposten in einer der schönsten Regionen Oberbayerns.

"Fürchterliche Tritte"

Im Internet stieß Jürgen Seifert auf die Anzeige. "Wahnsinn, habe ich gedacht, da hat einer meinen Lebenslauf reingeschrieben", sagt der 45-Jährige. Das geforderte Studium schloss er 1995 an der Fachhochschule in Hof ab. Anschließend übernahm er als Verwaltungsfachmann das Hochbauamt im Kreis Erlangen-Höchstadt, "weil dort die Kosten aus dem Ruder liefen".

Nach drei Jahren wechselte er als Geschäftsleiter zur Gemeinde Pommersfelden im Kreis Bamberg und führte dort den Abwasserzweckverband. Seit 2005 arbeitet er als Kämmerer in Kulmbach und verantwortet als Betriebsleiter den Tourismus- und Veranstaltungsservice. In der Anzeige sah er eine einmalige Chance. "Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich an eine politische Karriere überhaupt nicht gedacht, aber so ein Angebot bekommt man normalerweise in meiner Laufbahn nicht."

Gegen 13 Bewerber setzte er sich durch. "Wir waren schon überrascht, dass sich so viele äußerst qualifizierte Kandidaten gemeldet haben", sagt Joachim Helm. Seifert hätte mit seinem Lebenslauf und seiner starken Persönlichkeit überzeugt. "Wir wussten, er muss im Wahlkampf mit fürchterlichen Tritten rechnen, auch auf unsachlicher Ebene." Denn in Prien herrsche seit Jahrzehnten die CSU.

Wenn Priener Geschäftsleute aus seinem Demokratie-Verein austräten, weil sie finanzielle Einbußen fürchten müssten, sei dies ein Zeichen der Unterdrückung. "Der Ort wird schon lange von einigen wenigen regiert." Deshalb suchte der Verein nicht nur einen Bürgermeisterkandidaten, sondern stellte auch eine Gemeinderatsliste auf. "Kluge und mutige Leute müssen dort sitzen. Und ein Bürgermeister im Rathaus, der es kann", sagt Helm.

Die Priener CSU wehrt sich gegen den Angriff von außen mit der Berufung auf Heimatgefühle. In ihrem Ortsblättchen steht: "Ist es Sinn der Kommunalpolitik, bei fehlendem Personal Kandidaten über Stellenanzeigen zu suchen? Wollen wir Priener wirklich einen möglicherweise gar nicht ortsansässigen Bürgermeister? Wollen wir einen Kandidaten, der mit den Sorgen und Wünschen der Bürger nicht aus eigener Erfahrung vertraut ist? Der nicht hier aufgewachsen ist und nicht in den Vereinen, Institutionen und dem Priener Leben verwurzelt ist?"

Für Helm sind diese Fragen nur ein neues Zeugnis der Engstirnigkeit seiner Gegner. "Diese Leute haben nicht begriffen, dass das hier kein Kaff mehr ist. Wo liegt denn die Wertigkeit bei einem Kandidaten? In der Herkunft oder in der Kenntnis und im Charakter?"

Im Gegensatz zur Priener CSU hält der Bayerische Gemeindetag die Suche nach geeigneten Kandidaten per Anzeige für ein probates Mittel. "Neben der Aufstellung von Kandidaten durch Parteien und Wählergruppen werden in Bayern mehr und mehr Kandidaten mit einer Anzeige gesucht", sagt ein Sprecher.

Für eine Gemeinde mit mehr als 10 000 Einwohnern sei das jedoch ungewöhnlich. Meist suchen kleine Kommunen, die mehr als einen Kandidaten zur Wahl stellen wollen oder überhaupt keinen finden können. Auch die Allgäuer Gemeinde Bad Hindelang schaltete eine Anzeige. Zehn Bewerber meldeten sich, sagt Bürgermeister Roman Haug. Aufgestellt worden seien aber drei Einheimische, die sich erst nach dem Inserat nominieren ließen.

Manchmal fruchtet aber nicht einmal eine Anzeige. Bei der Kommunalwahl 2002 fanden 13 Gemeinden in Bayern keinen Kandidaten. Sie verteilten leere Wahlzettel, auf die jeder seinen Favoriten schreiben durfte. Wie viele Gemeinden dieses Mal so vorgehen müssen, ist noch nicht bekannt.

In Kraftisried (Landkreis Ostallgäu) will bisher niemand Bürgermeister Johann Hartmann nachfolgen. Man habe im Gemeinderat gefragt, einzelne Bürger angesprochen, vergeblich, sagt Hartmann. Von einer Anzeige in der Zeitung habe man abgesehen. "Bei uns wussten es alle, und für Außenstehende ist das ehrenamtliche Bürgermeisteramt in einer Gemeinde mit 750 Einwohnern nicht interessant."

Anders ist das in einem Ort wie Prien mit einem hauptamtlichen Bürgermeister. Joachim Helm wertet die Aktion als Erfolg, egal wie die Wahl ausgeht. Zwei weitere freie Wählergruppen unterstützen Seifert, auch die SPD hat eine Wahlempfehlung ausgesprochen. Nach der ersten Vorstellung im gut besetzten Kursaal standen interessierte Priener bei Seifert Schlange. "Dabei hatte ich ihn drauf vorbereitet, dass wir nachher allein im Foyer stehen könnten", sagt Helm.

© SZ vom 18.02.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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