Premiere mit Ruckeln:Live aus dem Rathaus

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In Neuburg an der Donau wurde erstmals eine Stadtratssitzung im Internet gestreamt

Von Thomas Balbierer, Neuburg

Man stelle sich vor, man sitzt als Zuschauer einer Stadtratssitzung in einem Rathaussaal irgendwo in Bayern. Man lauscht den Redebeiträgen von Lokalpolitikern und Verwaltungsexperten, beobachtet, wie die Lautstärke anschwillt und abebbt, wie die Gesichtsfarben zwischen blass und tiefrot mäandern. Die Diskussion nimmt Fahrt auf - doch bei der nächsten Wortmeldung fällt plötzlich ein Vorhang herab, der Sicht und Ton verschluckt. Ein paar Minuten später hebt er sich wieder, die Debatte ist enteilt. Undenkbar?

Was am Dienstag im oberbayerischen Neuburg an der Donau geschah, ist davon gar nicht so weit weg. Zum ersten Mal sendete der Stadtrat eine Sitzung live ins Internet. Technisch lief es, wie man hört, ganz gut - wäre da nicht ein Problem gewesen. Mehrmals wurde das Bewegtbild aus dem Sitzungssaal unterbrochen, auch der Ton wurde abgedreht. Sendepause. Nanu, wird sich manch ein Zuschauer am heimischen PC vielleicht gedacht haben. Was die gewählten Volksvertreter da im virtuellen Raum wohl zu verbergen haben? Doch wer Verschwörer an der Macht wähnt und eine Demonstration vor dem Neuburger Rathaus anmelden will, sollte wissen, dass hier nichts vertuscht wurde. Im Gegenteil: Es offenbarte sich ein Dilemma, vor dem Kommunalparlamente im ganzen Land stehen. Das analoge Politiksystem tut sich schwer beim Wandel ins Digitale. Manche Kommunen lehnen die Liveübertragung aus Kostengründen ab, andere haben sich noch nicht entschieden, auch technische Probleme kommen vor.

In Neuburg lag der Datenschutz quer. Sämtliche Verwaltungsmitarbeiter sowie ein paar wenige Abgeordnete hatten es abgelehnt, dass ihre Beiträge ins World Wide Web gesendet werden. Wenn sie redeten, blendete der Livestream aus dem Geschehen aus, dazu der Hinweis: "Aus Datenschutzgründen darf der aktuelle Redebeitrag nicht übertragen werden." Stattdessen wurden zum Beispiel lange Verwaltungsvorlagen zum Mitlesen gezeigt. Nun wäre es beim einen oder anderen Lokalpolitiker kein Verlust, wenn seine Tonspur für immer stumm bliebe. Nur machen es die schwarzen Löcher unmöglich, einer Stadtratssitzung vollständig zu folgen. Von einer "Farce" schrieb die Neuburger Rundschau. Im Donaukurier gab sich Oberbürgermeister Bernhard Gmehling (CSU) zerknirscht: "Die Situation war ungewohnt, mir sind einige Fehler unterlaufen und es ist einfach kompliziert." Man sei noch in der Testphase. Dass in der Spitze 452, und durchschnittlich mehr als 200 Zuschauer das Geschehen verfolgten, wertet SPD-Stadtrat Bernd Schneider als hoffnungsfrohes Signal. "Das sind mehr, als jemals in den Sitzungssaal passen würden." Dennoch müsse man korrigieren, etwa dass alle Beteiligten zumindest einer Tonübertragung zustimmen. Dass man online nicht erkenne, wer wie abstimmt, sei auch bedenklich, so Schneider. "Besser geht's immer."

Eine gute Nachricht für digitalisierungswillige Kommunen kommt nun aus der bayerischen Landesregierung. Mit einer Gesetzesänderung soll es Bezirks-, Stadt- und Gemeinderäten ermöglicht werden, auch virtuell an Sitzungen teilzunehmen - inklusive Stimmrecht. Für den Infektionsschutz ist das ein überfälliger Schritt. Für das schwarze Loch öffnen sich dagegen ganz neue Welten.

© SZ vom 26.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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