Präsident der Landesärztekammer:"Keiner ist davor gefeit"

Lesezeit: 2 min

Der Chef der Landesärztekammer, Gerald Quitterer, 64, betreibt selbst in Eggenfelden eine Hausarztpraxis. Er sieht in einer Herdenimmunisierung durchaus auch Vorteile. (Foto: oh)

Gerald Quitterer über Nutzen und Risiken von Ausgangsregeln

Interview von Dietrich Mittler

Mehr als tausend Covid-19-Patienten sind mittlerweile in Bayern gestorben. Gerald Quitterer, der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, warnt vor einer zu schnellen Abkehr von den Ausgangsbeschränkungen. Andererseits würden auch diese gesundheitliche Risiken bergen.

SZ: "Wir sind nicht über den Berg", so hat Ministerpräsident Söder seinen neuen Maßnahmenkatalog im Kampf gegen die Pandemie eingeleitet. Was sagen Sie?

Gerald Quitterer: Die Pandemie wird uns noch viele Monate begleiten. Ich beneide die Politik nicht, nun Entscheidungen treffen zu müssen. Einerseits: Es war an der Zeit, Lockerungen einzuleiten. Andererseits stehe ich Lockerungen ambivalent gegenüber, denn das Infektionsrisiko bleibt hoch. Was aber oft übersehen wird: Auch durch Ausgangsbeschränkungen entstehen gesundheitliche Probleme.

Ja?

Ich denke dabei an gesundheitliche Probleme, die durch Vereinsamung, Entbehrung und Isolation entstehen. Da muss man einen Mittelweg finden. Dennoch: Ziel muss immer bleiben, dass sich die Lungenerkrankung Covid-19 möglichst langsam ausbreitet.

Vor wenigen Tagen haben Sie erklärt: "Das Erzielen einer sogenannten Herdenimmunität ist ein wichtiger Schritt zur Überwindung der Covid-19-Erkrankung." Wie passt das jetzt zusammen?

In der Tat kann eine Herdenimmunität - also wenn 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung mit einem Erreger infiziert sind - zur Eindämmung einer Erkrankung führen. Nur, wir wissen nicht, ob das beim Coronavirus funktioniert. Deshalb muss man auf eine verzögerte Ausbreitung setzen, damit unser Gesundheitssystem das bewältigen kann. Wofür ich aber auf keinen Fall plädiere: der Erkrankung freien Lauf zu lassen.

Warnendes Beispiel Großbritannien ...

Ja. Warnendes Beispiel Großbritannien. Es kommt immer darauf an, welchen Weg eine solche Herdenimmunität wählt. Wenn ein Erreger schwere Krankheitsverläufe verursacht, so wie jetzt, ist das mit Vorsicht zu betrachten. Aber auch das sei gesagt: Wir brauchen schnellere Testergebnisse, damit wir Infizierte rascher identifizieren können. Und wir brauchen ein konsequenteres Quarantäne-Management, damit die Kranken auch wirklich isoliert werden.

Bayern hat früh damit begonnen, sein Gesundheitssystem auf die neue Bedrohung auszurichten. Die Zahl der Intensivbetten in den Krankenhäusern wird aufgebaut, Hausärzte werden zum Dienst in Altenheimen eingeteilt, es entstehen eigene Corona-Versorgungspraxen - rekrutiert aus niedergelassenen Ärzten. Alles gut so?

Das ist der augenblicklichen Situation geschuldet, darf also nicht zu einer Dauereinrichtung werden. Außerdem: Die aktuell stark auf Covid-19-Patienten konzentrierte Versorgung darf nicht zu einer Unterversorgung anderer Patienten führen.

Sie praktizieren im niederbayerischen Eggenfelden als Hausarzt. Wie bekommen Sie die Corona-Krise zu spüren?

Auch wir mussten unseren Praxisbetrieb umorganisieren. Augenblicklich bin ich dabei, über die bereits bestehende Telefonsprechstunde in meiner Praxis zusätzlich eine Video-Sprechstunde zu ermöglichen. Was mich menschlich doch tief berührt - eine meiner Patientinnen, eine junge Frau, ist nun ebenfalls schwer an Covid-19 erkrankt. Keiner ist davor gefeit. Jeder von uns kann sich bereits morgen mit Sars-CoV-2 infizieren.

Lässt sich dieser Erreger besiegen?

Ich bin zuversichtlich, dass es bald gelingen wird, einen Impfstoff zu entwickeln. Dann haben wir bessere Chancen.

© SZ vom 17.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: