Polizei:Das braune Netz

Lesezeit: 3 min

Im Landkreis Neustädt hat sich eine Serie von Anschlägen mit rechtsextremem Hintergrund ereignet. Die Polizei sieht tatenlos zu - und sich dem Vorwurf ausgesetzt, die Taten zu verharmlosen.

Olaf Przybilla

Ein jüdischer Friedhof wird verwüstet. Die Schänder müssen so lange gewütet haben, bis ihnen die Kraft ausgegangen ist. Binnen weniger Minuten fallen 63 Grabsteine, die meisten sind so stark beschädigt, dass sie kaum mehr zu rekonstruieren sind. Die Polizei gibt bekannt, es seien keine rechten Schmierereien auf Grabsteinen gefunden worden, "es könnte die Tat von Vandalen ohne politischen Hintergrund gewesen sein".

Spur der Verwüstung auf dem jüdische Friedhof bei Diespeck. (Foto: Foto: dpa)

Wenige Kilometer entfernt brennt ein Haus. Mehrere Brandsätze sind an die Hauswand geschleudert worden. Eine der Flaschen explodiert, ein kurzes heftiges Feuer verkohlt den Hauseingang. In dem Mehrfamilienhaus befinden sich 50 Menschen, nahezu alle ausländischer Herkunft.

Die Bewohner haben Glück, ein Brandsatz landet auf einem Dachvorsprung, ohne dass ein weiteres Feuer ausbricht. Die Polizei erklärt, ein fremdenfeindlicher Hintergrund könne "nicht ausgeschlossen" werden. Allerdings habe es zuletzt "vermehrt Streitigkeiten zwischen den Hausbewohnern verschiedener Nationalitäten" gegeben.

Wenige hundert Meter weiter wird ein Mann aus einer Kneipe gebeten. Als er draußen ist, stehen da zehn Personen, einer prügelt auf ihn ein. Das Opfer, ein Mann türkischer Herkunft, erleidet Prellungen am ganzen Körper. Im Polizeibericht ist zu lesen: "Weiterhin" sei der Mann "mit den Worten ,Ausländer raus' beschimpft" worden. Die Ermittler erklären, es gebe keine eindeutigen Hinweise auf ein politisches Motiv.

"Scheiß Zeckenzucht"

Dies alles ist geschehen im Umkreis von zwanzig Kilometern, im Landkreis Neustadt/Bad Windsheim, innerhalb von sieben Monaten. Mittlerweile ist klar, dass es zwei Neonazis waren, die den Friedhof von Diespeck verwüstet haben. Einer der beiden hatte Kontakt zu einer rechten Kameradschaft, der andere gab sich in den Vernehmungen als "Judenhasser" zu erkennen.

Klar ist auch, dass der Brandanschlag auf das Wohnhaus keineswegs auf einen Streit unter "Bewohnern verschiedener Nationalität" zurückzuführen war. "Das war kein dummer Jungenstreich, das war ein Mordanschlag der Rechtsextremen", sagen Hayati Hurman und Güngör Önder, zwei Bewohner des Hauses.

Gefasst wurden mehrere rechtsradikale Täter, darunter die beiden Neonazis, die den jüdischen Friedhof in Diespeck verwüsteten. Am Tag, als dies bekannt wird, betont die Polizei, es gebe "keine organisierte rechtsextremistische Gewalt im Landkreis Bad Windsheim".

Für Corinna Gräßel vom Windsheimer Bündnis für Toleranz sind solche Sätze unfassbar. Im Herbst hat sie begonnen, alle rechten Übergriffe zu dokumentieren. Gesammelt hat sie auch die Artikel in der Lokalzeitung, in denen Polizeisprecher immer wieder mit einem Wort zitiert werden: Einzelfälle. Allein im vergangenen Monat gab es sehr viele Einzelfälle in dem ländlich geprägten Landkreis: Am 4. Mai schlagen Rechtsextreme vor einem Feuerwehrhaus auf Punks und Ausländer ein.

Einen Tag später greifen sie wieder an. Eines der Opfer erleidet einen Knochenbruch, ein anderes Schnittwunden im Gesicht. Am selben Tag wird ein Jugendtreff bedroht. "Ihr braucht euch ned wundern, wenn in euer scheiß Zeckenzucht mal a Molli nei knallt und ihr alle erbärmlich verreckt", schreibt der Autor im Internet.

"Strategie der Verharmlosung"

Er lässt sich dabei ablichten, wie er die Hand zum Hitlergruß hebt. Sieben Tage später will sich das Bündnis für Toleranz in einem Gasthaus treffen. Die Polizei muss eingreifen, weil Rechtsextreme, angeführt von der NPD-Stützpunktleiterin, den Saal besetzen. Ganz im Gegensatz zu den Erklärungen der Polizei "waren diese Leute sehr gut organisiert", sagt Bündnischef Dietmar Leberecht. Der Kreisvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt wirft der Polizei "eine permanente Strategie der Verharmlosung" vor.

Immer wieder würden politische Hintergründe relativiert und bagatellisiert. Die Täter von Diespeck, sagt Leberecht, waren zunächst Vandalen. Dann dumme Jungen. Mittlerweile sind es rechte Terroristen, die einen Mordanschlag auf Ausländer verübt haben.

Auch für den Regensburger Professor Andreas Angerstorfer, einer der Macher der Ausstellung "Rechtsradikalismus in Bayern", kann der Fall in Diespeck als exemplarisch gelten: Weil die Zahl rechter Übergriffe überall ansteige, versuchten die Ermittler "nur das zur rechten Gewalt hinzuzurechnen, was sie zwingend dazurechnen müssen".

Der Leiter der Kripo Ansbach, Hermann Lennert, widerspricht. Dass die Zahl "fremdenfeindlicher Aktivitäten" im und um das Kurstädtchen Windsheim zunehmen, werde von der Polizei "nicht bestritten".

Von organisierter rechter Gewalt könne man aber nur bei Strukturen reden, die "hierarchisch und arbeitsteilig organisiert sind und strafrechtlich relevant handeln". Dies sei in Bad Windsheim nicht der Fall. Deswegen versuche man, "nicht alles gleich hochzukochen und damit noch Öl ins Feuer zu gießen".

Rechte Tradition

Rechtsextremismus-Forscher Eckart Dietzfelbinger hält diese Strategie für falsch. Längst habe sich gezeigt, "dass die Beschwichtigung rechter Gewalt keinen Sinn2 mache. Eine historische Parallele will er gleichwohl nicht ziehen. Zwar gelte der Kreis Windsheim in der NS-Forschung als die "am schwersten durch den Nationalsozialismus kontaminierte Region Deutschlands".

In der Gegend erzielte die NSDAP Wahlergebnisse von über 80 Prozent - lange vor der Machtergreifung. Das rechte Milieu sei damals jedoch ein ganz anderes gewesen. Leberecht will dem nicht widersprechen. Er glaubt aber, dass sich "das rechte Gedankengut hier in manchen Familien über Generationen hinweg" tradiert habe.

Am Donnerstag veröffentlichte die Polizei eine neue Erklärung zum Fall des verprügelten Deutschtürken. Dass dabei die Parole "Ausländer raus" gefallen sei, habe sich bislang nicht bestätigt, heißt es. Dass es sich bei dem Schläger um einen Mann aus der rechten Szene handelt, wird in der Erklärung verschwiegen.

© SZ vom 2.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: