Politikum:Frau Wanka und ihre Thesen

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Die Bundesbildungsministerin vertritt in einem Interview Positionen über die Auswirkungen der Reformation, die gut zum Kulturkampf des 19. Jahrhunderts passen würden.

Von Hans Kratzer

Aus Berliner Sicht ist Bayern ein Reich der Finsternis, das dem deutschen Wohlergehen von Natur aus im Wege steht. Dass auch Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) solche Vorurteile hegt, hat sie kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung offenbart. Wanka reflektierte über die Auswirkungen der Reformation auf die heutige Bildungs- und Wissenslandschaft, vertrat dabei aber Positionen, die eher zum Kulturkampf des 19. Jahrhunderts passen als zu einer Bundesministerin im 21. Jahrhundert. "Das, was die Italiener Dante Alighieri mit der Göttlichen Komödie verdanken, einen einheitlichen Sprachraum, verdanken wir Luther mit seiner Bibelübersetzung", behauptete Wanka und ignorierte dabei, dass diese nationalprotestantische Sichtweise in der Forschung längst überholt ist. Aus heutiger Sicht ist die Schriftsprache bereits vom 14. Jahrhundert an vor allem aus süddeutschen Kanzleisprachen herausgewachsen. Luther erzielte eben deshalb eine immense publizistische Wirkung, weil ein deutscher Sprachraum schon längst existierte - der allerdings auch nach Luther nicht einheitlich war.

Wanka schob freilich eine noch steilere These nach. Den entscheidenden Schritt zu einer Wissensgesellschaft ohne Standesunterschiede sieht sie in der Begründung des evangelischen Pastorenhaushalts (Luthers Ehe mit Katharina von Bora), woraus sie folgert: "Es ist kein Zufall, dass im 19. Jahrhundert katholische Gegenden oft rückständiger waren als evangelisch geprägte." Tatsächlich bot aber schon die vorreformatorische Kirche (Klöster, Bettelorden, Spitäler, Bruderschaften) breite Bildungschancen für alle Stände und vor allem für beide Geschlechter. Das änderte sich erst nach der Reformation. Im protestantischen Pfarrhaus wurde zwar viel für die Bildung getan, aber Frauen wurden eben auch in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter gedrängt.

Erst die Zerstörung des klösterlich geprägten Bildungssystems durch die Säkularisation dünnte das Bildungsangebot in den katholischen Gebieten vorübergehend aus. Das gewährte den protestantischen Regionen im Zeitalter der Industrialisierung entscheidende Vorteile. Der Freistaat Bayern hat aber zum Glück so stark aufgeholt, dass er imstande ist, die Organisation des Lutherjahres 2017 kräftig mitzufinanzieren.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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