Paralympic-Gewinnerin Birgit Kober:Mutmacherin mit Goldmedaille

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Neue Aufgabe für Birgit Kober: Sie soll künftig die BRK-Kreis- und Bezirksverbände besuchen und für den Ausbau der offenen Behindertenarbeit werben. (Foto: privat)

Bei den Paralympics hat sich Birgit Kober im Jahr 2012 zwei Goldmedaillen erkämpft, jetzt vertritt sie das Bayerische Rote Kreuz als Botschafterin. Sie soll anderen Menschen Mut machen - doch nach vielen Schicksalsschlägen hilft die neue Aufgabe auch Kober selbst.

Von Dietrich Mittler

Ein Händedruck von Birgit Kober ist nichts für Weicheier. Es ist viel Kraft in dieser Hand, die 2012 bei den Paralympics in London den Speer 27,03 Meter weit schleuderte und damit Gold holte. Und dann erst Kobers Blick. Der transportiert eine klare Botschaft: "Ich gebe nicht auf! Und ihr, liebe Mitmenschen, solltet das auch niemals tun!" In Zukunft wird die schwerbehinderte Münchnerin noch oft mit ihrem Rollstuhl bei Vorträgen, Empfängen und Tagungen nach vorne zum Mikrofon fahren und Worte der Ermutigung in den Saal hinein proklamieren - mit fester Stimme, unüberhörbar laut. Birgit Kober soll das Bayerische Rote Kreuz (BRK) künftig als Botschafterin vertreten.

Sie ist damit die BRK-Botschafterin Bayerns. Nur auf Bundesebene hat sie bereits Kolleginnen, die das Deutsche Rote Kreuz repräsentieren - darunter etwa die Schauspielerin Christine Neubauer oder die ZDF-Moderatorin Maybrit Illner.

Kobers Wangen glühen, als BRK-Präsidentin Christa Prinzessin von Thurn und Taxis die Gründe aufzählt, die die Speerwerferin und Kugelstoßerin zu diesem Ehrenamt befähigen: "Sie hatte selbst mit ihrem schweren Schicksal den Mut weiterzumachen." Zu diesem Mut, so sagt die 71-jährige Präsidentin, geselle sich eine erstaunliche Lebensenergie.

Die bewies die Athletin etwa kurz vor ihrer Ernennung zur Botschafterin bei ihrem Auftritt vor den neuen Auszubildenden des BRK. "Die Bühne, auf der Frau Kober auftreten sollte, war fünf Stufen höher als der Saal. Ich hatte also zwei starke Männer geordert, die sie samt Rollstuhl da hinauftragen sollten", erinnert sich BRK-Landesgeschäftsführer Leonhard Stärk. Kober lehnte dankend ab, rutschte aus dem Rollstuhl, krabbelte aus eigener Kraft die Stufen hinauf und hielt oben schließlich eine gut siebenminütige Ansprache.

Ihre eigentliche Botschaft aber bedurfte keiner Worte: Ich bin vielleicht körperlich beeinträchtigt, aber die Stufen in meinem Leben, die nehme ich selber. Und das könnt ihr auch. "Die Jugendlichen sind am Ende vor Begeisterung von den Stühlen gesprungen und haben applaudiert", sagt Stärk.

Aber noch eines beeindruckte den BRK-Landesgeschäftsführer: Kober holte eine ihrer zwei Goldmedaillen hervor und ließ sie von Hand zu Hand durch den Saal gehen. "Ich war sehr erleichtert, als die wieder zurückkam", sagt Stärk. Birgit Kober antwortet darauf auf ihre ganz eigene Weise: "Erstens waren das ehrliche Rotkreuzler, und zweitens waren die Saaltüren verschlossen." Manchmal, so räumt sie ein, hilft ihr dieser Humor auch durch Situationen, in denen andere wohl vor Schmerz aufheulen würden.

"Und behindert san S' a no"

Im April 2011 etwa. Als sie da so im Rollstuhl am Grab der Mutter saß, sprach sie von hinten ein Mann an: "Mei, is' immer traurig am Friedhof, gell? Ja, und behindert san S' a no!" Birgit Kober nahm das auf ihre ganz eigene Weise: "Die Kombination dieser beiden Fakten, das war schon irgendwie witzig", sagt sie, "ich war schlagartig aufgeheitert."

Wenn sie zurückblickt auf ihr Leben, dann fallen ihr natürlich auch Höhepunkte ein: Als 14-Jährige erzielte sie in München erste sportliche Erfolge als Speerwerferin, in ihrer Lieblingsdisziplin. Später wurde sie mit einem 42-Meter-Wurf bayerische Jugendmeisterin. Doch dann schlug das Leben das erste Mal in einer Härte zu, die Birgit Kober noch oft zu spüren bekam - stets dann, wenn sie kurz davor war, ihr gestecktes Ziel zu erreichen.

Ein Schlag nach dem anderen

Der erste Hieb traf die junge Frau, die bereits damals an epileptischen Störungen litt, während ihrer Ausbildung als Kommunikationselektronikerin. "Ich verlor an einer Hand die Greiffähigkeit. Man braucht aber zwei Hände, um die Ausbildung zu Ende zu bringen", sagt sie. Um Schlimmeres zu verhindern, musste sie sich einer Antibiotikum-Therapie unterziehen - zu einem hohen Preis.

Das Mittel kann die Haarzellen im Innenohr zerstören. Kober verlor zu einem beträchtlichen Teil ihre Hörfähigkeit. Aber auch da sagte sie sich: "Weitermachen!" Ein Intelligenztest ergab, dass sie hochbegabt ist. Kober fand für sich in Essen ein passendes Hörgeschädigten-Gymnasium und legte dort ein so passables Abitur ab, dass sie anschließend mit dem Medizinstudium beginnen konnte. Vier Semester lang träumte sie davon, Ärztin zu werden. "Ich musste das Studium wegen meiner schweren Epilepsieanfälle aufgeben", sagt sie.

Kober gab aber sich selbst nicht auf. Sie schwenkte um auf Pädagogik. Dann aber kam es im Klinikum rechts der Isar in München nach einem heftigen Epilepsieanfall zu jener Katastrophe, die ihr Leben vollständig auf den Kopf stellte. "Durch den Fehler einer Krankenschwester lief über zehn Stunden lang eine vielfach erhöhte Dosis des Mittels Phenytoin in mich rein", erzählt sie. Das, so sagt Kober, habe ihr Kleinhirn geschädigt.

Was Kober seitdem an den Rollstuhl bindet, beschreibt sie so: "Wenn jemand auf dem Oktoberfest zu viel trinkt, dann torkelt er. Und ich bin genauso, ich habe quasi einen permanenten Vollrausch." Darunter leide die Feinmotorik. Zum Glück sei beim Wettkampf vor allem die Grobmotorik im Spiel, wenn sie mit voller Kraft den Speer wegschleudert.

Kober gab auch dieses Mal nicht auf, studierte weiter. Kurz vor Abschluss ihrer Diplomarbeit erkrankte die Mutter an Krebs. So zog Kober 2008 trotz Behinderung nach München, brach die Diplomarbeit ab, fing hier stattdessen eine Magisterarbeit an. Aber die Pflege forderte zu viel, sie überschritt die zulässige Studienzeit - da half auch ein Schnitt von 1,5 nicht weiter.

Wurftraining im Keller

Nach dem Tod der Mutter wäre wohl auch Birgit Kober am Ende ihrer Kraft gewesen. Aber da war ja noch der Sport. 2008 hatte sie im Fernsehen die Paralympics in Peking mitverfolgt. Und da sagte sie sich: "Mensch, das wär's doch eigentlich." Im Kellergang zur Tiefgarage steckte sie mit Klebeband aus dem Baumarkt erste Distanzen ab, besorgte sich über Internet eine Hallenkugel, und los ging es.

Später traute sie sich mit einer Freundin in einen Park, um mit dem Diskuswerfen zu beginnen. Da aber musste sie sich rasch nach einem anderen Trainingsgelände umsehen. "Die Hundebesitzer haben sich beschwert, meine Treffsicherheit war noch nicht so hoch", sagt sie. Auf einer abgelegenen Wiese schimpfte niemand, und so kam zum ersten Mal der Speer zum Einsatz.

Heute ist Birgit Kober zweifache Paralympicssiegerin und fast so etwas wie ein Star. Allerdings, da gibt es noch ein Leben jenseits der Scheinwerfer und der Pressekonferenzen. Kober lebt von Hartz IV. "Die Leute sehen in mir immer nur die Starke, die Kugelstoßerin, die vor Kraft strotzt", sagt sie. Aber so sei es eben nicht.

"Die hat eben nicht Kraft ohne Ende!"

Sie wechselt plötzlich in die dritte Person: "Die hat eben nicht Kraft ohne Ende! Die fällt zu Hause hin, ist kurz davor, sich etwas zu brechen, hat blaue Flecken überall!" Das Training könne sie ja stets abbrechen, wenn es ihr schlecht gehe. Aber das gehe eben nicht im Berufsalltag - schon gar nicht parallel zur Sportlerkarriere, die sie nicht aufgeben will. Als eine weitere Ausbildung wegen Kräftemangels scheiterte, war Kober - deren Fehlbehandlung im Rechts der Isar noch immer vor Gericht verhandelt wird - schließlich doch kurz davor zu resignieren.

Da kam plötzlich das Bayerische Rote Kreuz auf sie zu. Sie soll nun künftig die BRK-Kreis- und Bezirksverbände besuchen, dort für den Ausbau der offenen Behindertenarbeit werben. Und vor allen Dingen soll sie anderen Menschen Mut machen - auch jenen mit schweren Behinderungen. Das muss auf Birgit Kober gewirkt haben wie ein Kraftmittel: "Anscheinend kann man mich hier wirklich brauchen", sagt sie. Einen Moment verharrt sie still, dann fügt sie hinzu: "Es ist schön, wenn man ein Stück weit Spuren hinterlässt."

© SZ vom 07.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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