Oberndorf:Geburtsort eines Klassikers

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Stille-Nacht-Kapelle erinnert an die Uraufführung des Weihnachtsliedes

Am Stille-Nacht-Platz in Oberndorf ist das ganze Jahr Weihnachten - zumindest für die Gäste, die extra deswegen in die ansonsten unspektakuläre österreichische Gemeinde kommen. Kombinierte Fachgeschäfte für Ostereier und Christbaumkugeln wie in der nahen Touristenmetropole Salzburg gibt es hier zwar nicht, aber über Geschmack ließe sich natürlich auch anhand des Souvenir-Angebots in Oberndorf streiten. Dafür liegt rund um die Stille-Nacht-Kapelle schon seit Anfang Dezember Schnee. Der wurde vom Großglockner herbeigeschafft, auf dass der Österreichische Rundfunk seine Stille-Nacht-Sendung auch dieses Mal wieder stimmungsvoll in den Kasten bringe. Wenn sie kurz vor dem Fest ausgestrahlt wird, ist für Rudi Pronold die Hochsaison vorbei.

Die beginnt Mitte November, und in der Adventszeit gibt Pronold dann im Wechsel mit einem Kollegen drei bis vier Führungen am Tag; an den besonders beliebten Wochenenden in der ersten Dezemberhälfte sind es auch mal acht. Die Gruppen können sich Musiker dazubuchen, die ihnen in der Kapelle "Stille Nacht" in der Originalversion für zwei Stimmen und Gitarre vortragen. Wenn sie Glück haben, erwischen sie vielleicht einen Sänger, der vor ein paar Jahren die Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" gewonnen hat. Viele Reisegruppen singen mit, denn das Lied ist an jedem Heiligen Abend der Gänsehaut-Klassiker schlechthin. Und zum ersten Mal erklang der Lied eben hier in Oberndorf.

Die schlichte, achteckige Kapelle auf einem aufgeschütteten Hügel ist nicht mehr das Original-Gotteshaus, in dem der Hilfspfarrer Joseph Mohr und der Lehrer Franz Xaver Gruber 1818 den späteren Welterfolg uraufführten. Die damalige Kirche wurde 1906 abgerissen, weil sie von einem Hochwasser schwer mitgenommen war und außerdem der weiter südlich neu gebauten Kirche keine Konkurrenz machen sollte. Der alte Wasserturm blieb stehen und auch das Bruckmannhaus, das einst das Spital der Salzachschiffer war und heute ein Heimat- und Stille-Nacht-Museum sowie jeweils im Dezember ein Postamt beherbergt, in dem es jährlich neue Sondermarken und Weihnachtsstempel gibt. 1937 entstand die heutige Kapelle zum Gedenken an das Stille-Nacht-Lied, das sich zunächst über Zillertaler Sänger erst im deutschen Sprachraum und dann längst weltweit verbreitet hatte. Mohr hatte den Text 1816 zunächst als Weihnachtsgedicht geschrieben und seinen Freund Gruber später um eine Vertonung gebeten. Es zeugt von der Friedenssehnsucht nach den Napoleonischen Kriegen, fiel aber bei den reformfreudigen Theologen der 1960er-Jahre als gefühlige Schnulze ohne großen geistlichen Gehalt vorübergehend in Ungnade. Die Menschen sangen es trotzdem weiter, in mehr als 300 Sprachen. Manche davon sind in Oberndorf zu hören, wenn gerade wieder ein Reisebus vorgefahren ist. Doch stille Momente lassen sich für Weihnachtsselige in Oberndorf auch erleben. Am besten von Januar bis Oktober.

© SZ vom 15.12.2015 / kpf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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